Die digitale Werbeindustrie befindet sich in einer radikalen Transformation. Denn einerseits werden die Datenschutzbestimmungen zunehmend strikter, was bislang vorhandene Spielräume einengt. Andererseits werden Verbraucher immer sensibler dafür, wie Marken mit ihren persönlichen Daten umgehen. Hinzu kommt: Neue, noch schärfere Richtlinien sind nur eine Frage der Zeit.
Persönlich identifizierbare Informationen (PII) beziehungsweise – je nach genauer Definition – personenbezogene Daten können aus diesen Gründen nur noch sehr eingeschränkt und unter bestimmten Bedingungen im Marketing verwendet werden. All dies ist Marketing-Verantwortlichen heute durchaus bewusst. Weniger klar scheint jedoch, welche konkreten Lösungen für diese Herausforderung in Betracht kommen, etwa auch im Rahmen des nahenden Endes für Third-Party-Cookies. So gaben bei einer Yougov-Umfrage im Auftrag von Adform beispielsweise 64 Prozent der deutschen Marketing-Entscheider:innen an, sich „der verfügbaren Ersatzstoffe nicht vollständig bewusst“ zu sein.
Höchste Zeit also, sich mit Tools zu beschäftigen, die nicht vollständig auf personenbezogene Daten angewiesen sind, um relevante Inhalte zur richtigen Zeit an die richtigen Zielgruppen auszuspielen. Die gute Nachricht: Kontextuelle Lösungen und aktuelle Entwicklungen hinsichtlich Künstlicher Intelligenz können bei dieser Herausforderung helfen.
Reichen die noch verfügbaren personenbezogenen Daten aus?
Einige personenbezogene Daten können auch weiterhin verwendet werden, ohne den Datenschutz zu untergraben. Es ist daher davon auszugehen, dass insbesondere First-Party-Daten auch zukünftig wertvolle Ressourcen für Marken darstellen werden – immer vorausgesetzt, die entsprechende Zustimmung dafür liegt vor. Typischerweise wird es sich hier zum Beispiel um E-Mail-Adressen und Anschriften, Namen, Telefonnummern, eine Kaufhistorie oder Daten zur Websitenutzung handeln. Solche Informationen können genutzt werden, um die digitale Interaktion zu optimieren, etwa durch maßgeschneiderte Ads und ein angepasstes Benutzererlebnis.
Daten dieser Art werden innerhalb bestimmter Parameter gesammelt und sollten auch weiterhin genutzt werden, um das wirtschaftliche Potenzial des Werbeinventars zu maximieren. Allerdings ist den meisten Marketing-Verantwortlichen gleichzeitig auch klar: Eine wirklich dauerhafte Lösung für die Zukunft der Online-Werbung stellen First-Party-Daten leider nicht dar. Sie enthalten beispielsweise kaum Informationen über mögliche neue Zielgruppen, die bislang noch nicht mit dem Unternehmen interagiert haben.
Zurück in die Zukunft
Kontextbezogene Lösungen gibt es schon sehr lange. Doch durch die Popularität des Behavioral Targetings sind sie zwischenzeitlich etwas in den Hintergrund getreten. Dies liegt zum Teil auch daran, dass ältere kontextbezogene Lösungen meist noch auf eher simpel gestrickten Keyword-Blocklisten basierten. Um die Brand Safety zu gewährleisten, wurden diese Blocklisten dazu genutzt, Content auszufiltern, der als „schädlich“ oder unsicher angesehen wurde. Allerdings waren solche Lösungen noch nicht in der Lage, innerhalb des analysierten Contents verschiedene Nuancen und Zwischentöne zu erkennen und zu unterscheiden.
Ein konkretes Beispiel für den englischen Sprachraum: Enthält eine solche Liste das englische Wort „Bullet“, das in Verbindung mit Schusswaffen für die Patrone beziehungsweise das Geschoss verwendet wird, so werden automatisch alle Inhalte markiert, in denen das Wort „Bullet“ irgendwo auf der Seite vorkommt. Dies führt in der Konsequenz aber dazu, dass beispielsweise jede Seite, die Informationen oder einen Trailer zur erfolgreichen US-Actionkomödie „Bullet Train“ aus dem Jahr 2022 enthält, automatisch als unsicher eingestuft wird. Und dies, obwohl der Begriff „Bullet“ in diesem Kontext in keinerlei Verbindung zu Schusswaffen steht. Hinzu kommt: Geht es um Bilder und Videos, helfen Keyword-Blocklisten nicht weiter.
Erfreulicherweise fallen solche Einschränkungen heute aber viel geringer aus. Dies liegt vor allem an den technologischen Fortschritten in den Bereichen Künstliche Intelligenz (KI) und Maschinelles Lernen (ML). Diese unterstützen Werbetreibende dabei, den richtigen Inhalt zur richtigen Zeit an die richtige Zielgruppe zu bringen.
Wer, wann, wo
Dank der Fortschritte in der maschinellen Verarbeitung natürlicher Sprache (Natural Language Processing / NLP) sind Computer heute in der Lage, deutlich über eine starre Abfolge von Wörtern hinauszudenken und auch den Gesamtkontext des Beitrags, einschließlich der Tonalität, mit einzubeziehen. In der Praxis führt dies dazu, dass Seiten mit Inhalten, die sich mit dem Film „Bullet Train“ beschäftigen, für die meisten Marken vermutlich nicht mehr als unsicheres Umfeld eingestuft würden. Natural Language Understanding (NLU), also das Verstehen natürlicher Sprache, wird in Verbindung mit neuronalen Netzen und verbessertem Lernen die Grundlage für eine wahre Revolution mit Blick auf Personalisierung und hochpräzises Kohorten-Targeting schaffen. Die Grundidee hinter dieser Form des Targetings: Benutzer werden nicht als Einzelpersonen betrachtet, sondern in Kohorten (Gruppen) von Menschen mit ähnlichen Interessenschwerpunkten zusammengefasst. Diese Herangehensweise kann präzises Targeting ermöglichen, während der einzelne Nutzer dennoch vollständig anonym bleibt.
Mit Blick auf Audio-Content und Videos gilt Vergleichbares: Aktuelle Fortschritte in der maschinellen Bildverarbeitung und bei der automatischen Spracherkennung ermöglichen eine kontextbezogene Analyse von Bildern, Videos und Audiodateien. Auf diese Weise kann der Kontext richtig erkannt und eingeordnet werden. Das wiederum ist beispielsweise im Programmatic Advertising eine Voraussetzung dafür, die Eignung des jeweiligen Inventars für Werbetreibende zu bewerten, die ein Gebot für Inventar abgeben möchten.
Neben den richtigen Werbeplätzen können kontextbasierte Lösungen auch dazu beitragen, die richtigen Zielgruppen zu finden. Auf Basis einer Vielzahl von Signalen – von den Mauszeiger-Bewegungen auf einem PC bis hin zur Wetterprognose für eine bestimmte Stadt – sind solche Lösungen in der Lage, das erwartete Verhalten eines Publikums und die potenziellen Ergebnisse einzuschätzen. Dies trägt dazu bei, die optimale Platzierung von Anzeigen zu bestimmen und dadurch sicherzustellen, dass größtmögliche Brand Safety und eine maximale Interaktion mit Verbrauchern erzielt werden. Die positiven Effekte einer kontextbasierten Herangehensweise werden auch durch Studien untermauert. So zeigte sich in einer Untersuchung von Seedtag bei kontextuellem Targeting ein um den Faktor 2,5 gesteigertes Verbraucherinteresse. Zudem lag die Wahrscheinlichkeit, dass auf eine Anzeige geklickt wird, um 60 Prozent höher.
Work in Progress
Kontextbezogene Lösungen haben sich in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt, unter anderem durch die bereits erwähnten technologischen Fortschritte im Bereich der Sprachverarbeitung. In diesem Zuge haben sich auch die Möglichkeiten, die entsprechende Lösungen bieten, völlig verändert.
Doch gleichzeitig werden sich auch die Datenschutzbestimmungen kontinuierlich weiterentwickeln, was sich in jüngerer Zeit zum Beispiel auch an den Bemühungen rund um eine striktere Durchsetzung der Datenschutzgrundverordnung (EU-DSGVO) gezeigt hat. Brands, die im Rahmen ihrer Marketingstrategie stark auf personenbezogene Daten angewiesen sind, könnten sich schnell auf der „falschen“ Seite der Richtlinien wiederfinden.
Unternehmen, die langfristig erfolgreich sein möchten, müssen sich deshalb spätestens jetzt mit alternativen Lösungen vertraut machen. Dazu gilt es, solche Lösungen in die Strategien einzubeziehen und zu testen, welche davon am besten zu den jeweiligen Geschäftszielen und KPIs passen. Wird die letztlich unvermeidliche Abkehr von personenbezogenen Daten hingegen hinausgezögert, besteht die Gefahr, dass Unternehmen unvorbereitet sind – und sich dann erst einmal auf eine mühsame Aufholjagd von den hinteren Plätzen aus einstellen müssen.
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