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PERFORMANCE

Dunkel-Marketing für alle

Karsten Zunke, 20. April 2007

In europäischen Großstädten erfreuen sich Dunkel-Restaurants größter Beliebtheit. Der Kunde bestellt bei Tageslicht im Vorraum und begibt sich zum Essen ins absolute Dunkle. Wer den Braten an den Tisch bringt, sieht der Esser nicht. Aber es mundet und man wird satt.

Nach ähnlichem Prinzip sollen auch blinde Online-Netzwerke den Werbehunger von Marketern stillen. Im Vorfeld werden Werbemittel und Umfang gebucht, über welche Seiten die Banner ausgeliefert werden, bleibt das Geheimnis der AdNet-Betreiber. Und davon gibt es bereits einige: Advertising.com, Oridian oder die jetzt in Adconion Media umbenannte Euroclick gehören hierzulande zu den bekanntesten Anbietern dieser sogenannten Blind Networks. Doch es gibt auch Frischlinge: Mit Adviva Media wagte sich im vergangenen Jahr ein neues Werbenetzwerk auf den deutschen Markt. In UK gibt es dieses Blind Network schon seit dem Jahr 2000. "Laut Nielsen Netratings besucht der durchschnittliche Internetuser im Monat schon fast 100 Websites. Dieses Surfverhalten kann man nicht mit den üblich verdächtigen großen Portalen und Websites abdecken. Das Abbilden dieses Surfverhaltens kann man nur mit einem Netzwerk realisieren", erläutert Eddie Meisel, Geschäftsführer von Adviva. Bei seriösen Vermarktern seien Netzwerke nicht blind, weil man was verstecken wolle, sondern weil die regulären Preislisten von vielen Teilnehmern im Netzwerk geschützt werden müssten. So liegen dann auch die Preise in einem blinden Werbenetzwerk deutlich unter denen eines transparenten Netzwerkes.

Mehr Targeting, weniger Website

"Die Vorteile und die Akzeptanz von Blind Networks werden in Zukunft noch steigen. Das Behavioral Targeting ist hier nur ein Stichwort", sagt Meisel. Denn so können User einer bereits ausverkauften Website mittels IP-Targeting oder über Cookie-based User Id's in einem reichweitenstarken Netzwerk wiedergefunden und gezielt mit Werbung angesprochen werden.
"Blind Networks sind ein sinnvoller Marketing-Kanal. Zumal einerseits vor allem kleinere Unternehmen mit schmalen Budgets dadurch die Chance haben, auch in größeren Portalen gesichtet zu werden", meint auch Thomas Brommund, Geschäftsführer des Agentur- und Hersteller unabhängigen Online-Marketing-Beratungsunternehmens Contentmetrics im oberbayerischen Hohenbrunn. "Andererseits werden die Marketer hierzulande dank immer besserer Targeting-Möglichkeiten Online-Werbung künftig noch zielgruppenorientierter buchen", so Brommund. Nicht die genau adressierbare Internetseite, sondern die Affinität der Besucher zum beworbenen Produkt werde zunehmend in den Fokus der Werber rücken, um die themengetriebenen Surfer auf beliebigen Websites zu erreichen.

Sag mir, wo der Banner wirbt ...

Doch mit einem Problem haben alle blinden Netzwerke zu kämpfen: Sie müssen das Vertrauen der Media-Einkäufer gewinnen. Vielen Marketern bereitet es Unbehagen, Werbung zu schalten, ohne zu wissen, auf welchen Seiten sie zu sehen ist. Doch dieses Problem ist lösbar. Beim Borkener Werbedienstleister Accomm gibt es beispielsweise drei verschiedene Buchungsvarianten: Neben der klassischen Einzelbuchung sind blinde Reichweiten-Kampagnen im Accomm-Werbenetz oder über große Channel-Rotationen bereits seit Unternehmensgründung im Jahr 1994 möglich, außerdem gibt es sogenannte Premium-Mini-Rotationen. "Die Mini-Rotationen haben wir eingeführt, weil einige Werbekunden gern wissen möchten, auf welchen Seiten die Anzeigen geschaltet werden, aber trotzdem keine teure Einzelbuchung vornehmen möchten", erläutert Marc Sickau, einer der drei Accomm-Geschäftsführer. Dazu kann der Kunde ein Portfolio mit seinen Wunsch-Websites buchen, erhält allerdings eine kumulierte Auswertung, um die Preise der Anbieter für Einzelbuchungen zu schützen. Es ist eine Lösung zwischen einer Einzel- und einer Rotationsbuchung. "Wir gehen davon aus, dass die imageträchtigen und somit relativ teuren Einzelbuchungen kurz und mittelfristig auf dem heutigen Niveau stagnieren werden, während blinde Reichweitenkampagnen und halb offene Mini-Rotationen in Deutschland ein großes Potenzial haben", meint Sickau.

Überfluss in Übersee

Jenseits des Atlantiks ist man schon einen großen Schritt weiter. "In Deutschland sind Blind Networks nur eine Weiterentwicklung der Restplatzvermarktung. Das ist in den USA komplett anders", sagt Sickau. Hierzulande konnten Agenturen und Werbungtreibende aufgrund des Überangebots an Werbeflächen die Preise drücken. Rotationen und blinde Werbeplatzierungen waren die Konsequenz, um niedrige Preise gegenüber den Websites zu rechtfertigen und eine Abgrenzung gegenüber hochwertigen Einzelbelegungen zu schaffen. "In den USA haben wir eine hohe Auslastung der Werbeplätze, dort ist die Ertragssituation eine andere. Es ist von den Seitenbetreibern häufig sogar erwünscht, dass Blind Networks entstehen, weil sich damit unter Umständen höhere Erträge erzielen lassen", sagt Sickau. Aufgrund der nahezu 100-prozentigen Werbeplatzauslastung etabliere sich in Übersee immer mehr ein Bietersystem à la Google Adsense. Wenn ein Werbekunde mehr bietet, wird er auch eingeblendet - egal welche Abrechnungsmethode dahintersteckt. "Damit fahren alle Beteiligten sehr gut. Aber das funktioniert erst dann, wenn es eine hohe Grundauslastung der Werbeplätze gibt", sagt Sickau. Hierzulande gebe es jedoch noch immer ein generelles Überangebot an Werbeflächen.

Marketer mit Bedenken

"Wir denken über Buchungen in Blind Networks durchaus nach. Aber das Problem für uns und unsere Kunden ist die mangelnde Transparenz. Kein markenbewusster Kunde schaltet bedenkenlos blind Werbung", sagt Nils Hachen, Leiter der dieser Tage frisch gegründeten Media-Unit bei Denkwerk in Köln. Auch mögliche Überschneidungen könnten ein Problem werden. Wer die von den Anbietern angegebenen Reichweiten addiert, landet schnell jenseits einer 200-prozentigen Reichweite der hiesigen Blind Networks.

Der Grund: Es gibt nur noch wenige Websites, die den Begriff Exklusivvermarktung verdienen. Häufig arbeiten Seitenbetreiber heute mit zwei oder drei Vermarktern zusammen - auch wenn dies nicht immer nach außen kommuniziert wird. Selbst auf zahlreiche angeblich exklusive Seiten können andere Vermarkter nach Absprache mit dem Sitebetreiber oder dem Exklusiv-Vermarkter zugreifen, um Restplätze zu belegen. Da viele Website-Betreiber mit mehreren Vermarktern zusammenarbeiten und die entsprechenden Ad-Networks ihre Publisher nicht preisgeben, kann es so theoretisch zu Überlappungen bei den Werbebuchungen kommen, wenn Kunden in mehreren blinden Werbenetzen buchen wollen.

Sehbehindert statt blind

"Wir sind den Blind Networks nicht abgeneigt, aber noch zurückhaltend", so Hachen. Vor allem große Unternehmen, die neben TV- und Print- nun auch Online-Marketing einsetzen, würden gerade einen Lernprozess durchlaufen. "Viele dieser Firmen haben lange gebraucht, um Suchmaschinen- und Affiliate-Marketing überhaupt für sich zu entdecken und schätzen zu lernen. Blind Networks sind nun ein neues Thema, wobei alle Beteiligten zunächst schauen müssen, welche Chancen und Risiken es wirklich bietet", so der Media-Chef. Es sei eine ähnliche Entwicklung, die beim aufkommenden Affiliate-Marketing zu beobachten war. "Die Kunden wollen wissen, auf welchen Seiten ihre Werbung erscheint. Und sie sind nicht nur preissensitiv, sondern vor allem informationshungrig", sagt Hachen.

Erste Blind Network-Anbieter ziehen nun Konsequenzen. So will Advertising.com sein Netz jetzt teilweise öffnen. "Das Netzwerk von Advertising.com in Deutschland wird insoweit offengelegt werden, dass man Seitengruppen und Branchen auswählen kann", kündigt Harald R. Fortmann, Managing Director Advertising.com Deutschland an. So sollen beispielsweise die Top 100 der Nielsen Netratings Seiten als Grundlage für Gruppe eins genommen werden, die Top 200 für Gruppe zwei et cetera. "Somit können wir insbesondere Agenturen offenlegen, auf welchen Seiten ihr Kunde erscheinen kann. Dies bedeutet jedoch nicht, dass wir mit allen Seiten zusammenarbeiten und auch nicht, dass der Kunde unbedingt dort erscheint", erläutert Fortmann. Die Optimierungs- und Auslieferungstechnologie Adlearn entscheide aufgrund einer Vielzahl von Algorithmen, welches Werbeformat von welchem Anzeigenkunden auf welcher Platzierung bei welcher Webseite erscheint. "Die Kriterien sind einzig und allein nach Performance-Gesichtspunkten gewählt. Daneben bieten wir natürlich auch Branding-Kampagnen an, die zielgerichteter ausgeliefert werden", erklärt Fortmann das Modell. Die Frage, wohin die Marketing-Reise in Deutschland geht - ob hin zu blinden Werbenetzen oder eher zur offenen Einzelbuchung - scheint also noch nicht entschieden. "Beides hat seine Daseinsberechtigung. Auch wir werden weiter die blinde Netzwerk-Variante anbieten, die deutlich günstiger ist, als die Entscheidung in bestimmten Seitengruppen oder Branchenbereichen zu erscheinen", sagt Fortmann.

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