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PROGRAMMATIC

Ein Rezept für mehr Unabhängigkeit in Programmatic

Anton Priebe, 3. Juni 2025
Bild: Luke Stackpoole – Unsplash

Die Dominanz von Big Tech in Programmatic Advertising lässt sich nicht wegdiskutieren. Doch abseits der Megaplattformen mit ihren Walled Gardens gedeiht im Open Internet ein Werbeökosystem, das besonders in Europa derzeit Rückenwind bekommt. Einer der Player in diesem System ist Connectad. Das Adtech-Unternehmen mit Hauptsitz in Wien betreibt eine unabhängige Supply-Side-Plattform und hält seit jeher die Fahne für europäische Werbetechnologie hoch. Charles Duchesne ist frisch gebackener General Manager Germany & Global Platform Success Lead bei Connectad und damit zuständig für die hiesige Plattform und die Qualität der Supply-Partnerschaften. Im Interview spricht Duchesne über die Herausforderungen, die es aktuell zu meistern gilt, um das Open Web weiter zu stärken. Dabei geht er insbesondere auf die Bedeutung von Transparenz in der programmatischen Werbung ein.

Bild: Connectad Charles Duchesne, Connectad

ADZINE: Charles, das Wachstum in Programmatic Advertising scheint fast ausschließlich auf das Konto von Big Tech zu gehen. Wie steht es um das unabhängige, programmatische Werbeökosystem in Deutschland?

Charles Duchesne: Unabhängig im Programmatic Advertising zu agieren, ist heute selten geworden und in vielerlei Hinsicht ein mutiger Schritt. Unabhängige Anbieter stehen vor der großen Herausforderung, sich gegen Big Tech zu behaupten, das den Großteil des Marktes dominiert.

Trotz dieser Herausforderungen wächst innerhalb des programmatischen Ökosystems in Deutschland und auch in der EU das Bewusstsein dafür, die Abhängigkeit von Big Tech zu verringern, idealerweise durch Partnerschaften mit lokaleren Anbietern, denen man zunehmend Vertrauen schenkt.

Unabhängig zu agieren, sendet ein klares Signal. Während Programmatic bei Big Tech oft nur ein Nebenaspekt größerer Geschäftsmodelle wie Datensammlung oder Content-Monetarisierung ist, steht es bei uns im Mittelpunkt. Unsere volle Aufmerksamkeit gilt dem Erfolg unserer Partner durch nachhaltige, ergebnisorientierte Zusammenarbeit. Gerade in einem Markt wie Deutschland, in dem Transparenz, Datenschutz und Vertrauen zentrale Werte sind, fällt diese Haltung besonders auf.

ADZINE: Welches sind die größten Herausforderungen, die es für die Marktteilnehmer aktuell anzupacken gilt, damit mehr Budget in das sogenannte Open Web fließt?

Duchesne: Die größte Herausforderung besteht darin, das Vertrauen der Werbetreibenden zurückzugewinnen und zu zeigen, dass das Open Web nicht nur eine Alternative, sondern eine effiziente und sichere Umgebung für Markenkommunikation ist.

Dieses Vertrauen muss entlang der gesamten Lieferkette aufgebaut werden und beginnt bei den Publishern. Die entscheidende Frage lautet nicht, wie kurzfristig Umsätze maximiert werden können, sondern, wie man ein Umfeld schafft, in dem Werbetreibende langfristig erfolgreich sein können. Das bedeutet, Qualität statt Quantität, wenige, gut platzierte Formate, hohe Sichtbarkeit und ein Verzicht auf aggressive Taktiken wie Auto-Refresh. Weniger kann hier deutlich mehr sein.

Auch SSPs tragen Verantwortung, sie müssen das Open Web aktiv gestalten und klare Maßstäbe setzen für das, was akzeptabel ist und was nicht. Eine sichere und effiziente Plattform entsteht nicht von allein, sondern durch gezielte Entscheidungen. Wir prüfen jede einzelne Domain, bevor sie aufgenommen wird. Käufer müssen keine Qualität „targeten“, denn diese ist bei uns selbstverständlich.

DSPs wiederum sollten auf vollständige Transparenz bestehen, um sicherzugehen, dass ihre Ausgaben effizient eingesetzt werden und die Kampagnenziele erreichen. Wenn jeder Beteiligte seinen Beitrag leistet, bleibt das Open Web nicht nur relevant, sondern wird zur klügeren, strategischeren Wahl für Werbetreibende.

ADZINE: Dass ein Teil der Werbegelder in der undurchsichtigen Adtech-Infrastruktur versickert, ist seit Jahren ein großes Thema. Wo genau liegt das Problem?

Duchesne: Früher fehlten der Branche schlichtweg die Tools, um solche Intransparenz zu verhindern, geschweige denn effizient aufzudecken. Und da viele Akteure vom Status quo profitierten, wurde das Problem lange ignoriert.

Mit der Einführung von Ads.txt durch das IAB Tech Lab im Jahr 2017 und später Sellers.json und dem Supply Chain Object (schain) wurde ein großer Schritt in Richtung Transparenz gemacht. Diese Standards adressieren verborgene Arbitrage und bieten eine technologische Grundlage für Kontrolle.

Die Einführung erfolgte jedoch nicht über Nacht. Es dauerte Jahre, bis eine kritische Masse erreicht war, und selbst heute beobachten wir noch ein erhebliches Maß an Unverständnis sowie eine uneinheitliche Umsetzung im Markt.

Ein zentrales Problem: Die Mechanismen basieren ausschließlich auf Selbstauskunft. Das bedeutet: Die Transparenzkette funktioniert nur, wenn jeder Teilnehmer korrekt und ehrlich implementiert.

ADZINE: Wie können die Pfade und Gebühren transparenter werden?

Duchesne: Pfadtransparenz beginnt bei der ehrlichen und genauen Selbstauskunft jedes Beteiligten in der Lieferkette. Das klingt einfach, erfordert in der Praxis aber kritische Selbstprüfung, was oft unbequem ist.

Laut Definition des IAB ist ein Publisher der Betreiber oder Eigentümer digitaler Inhalte, nicht mehr und nicht weniger. Ein Vermarkter mit exklusiven Verkaufsrechten, auch innerhalb desselben Unternehmens, ist ein Reseller, kein Publisher.

Diese klare Definition wird oft unterschiedlich interpretiert, sowohl von Resellern als auch von SSPs in Ads.txt und Sellers.json. Teilweise liegt das an der Präferenz von Käufern, die Inventar bevorzugen, das als „direkt“ vom Publisher gekennzeichnet ist, weil es als hochwertiger und vertrauenswürdiger gilt. Wenn ein Publisher einem Vermarkter Exklusivität einräumt, ist der direkte Weg über diesen Vermarkter – der dann laut Definition ein Reseller ist – völlig legitim. Das ist kein Fehler, sondern Teil des Systems.

Gebührentransparenz ist eng mit Pfadtransparenz verknüpft. In einem leistungsorientierten Umfeld, in dem das höchste Gebot zählt und Kampagnen über mehrere SSPs angeboten werden, hat der effizienteste Weg mit wenigen Zwischenstationen und niedrigen Gebühren einen natürlichen Vorteil. Je geringer die Kosten, desto mehr des Budgets kommt beim Publisher an, was allen Beteiligten zugutekommt.

ADZINE: Das IAB hat sich bereits Industriestandards für Transparenz angenommen – tragen diese Bemühungen Früchte?

Duchesne: Ja, eindeutig. Ich erinnere mich gut an die Zeit vor Ads.txt – das war ein regelrechter Wildwuchs. Mit der Einführung von Ads.txt, Sellers.json und dem Supply Chain Object wurde endlich eine technische Grundlage für Transparenz geschaffen.

Doch das allein reicht nicht aus. Um die verbleibenden Lücken zu schließen, muss das gesamte Ökosystem Verantwortung übernehmen.

Unternehmen, die Inventar auf den Markt bringen, müssen sich korrekt als Publisher oder Reseller kennzeichnen. SSPs müssen diese Angaben prüfen und korrekt in Sellers.json widerspiegeln und entsprechend dem, was im Ads.txt der Publisher steht. Und DSPs sollten verstehen, dass das Label „DIRECT“ allein keine Garantie für Transparenz ist, im Gegenteil, es kann sogar irreführend sein.

Wenn wir es nicht schaffen, uns selbst wirksam zu regulieren, dann braucht es vielleicht mehr Durchgriff seitens des IAB.

ADZINE: Was tut ihr, um das Ökosystem als unabhängiger Adtech-Player voranzubringen?

Duchesne: Wir gehen über die Rolle einer Plattform hinaus und agieren als beratender Partner. Wir helfen bei Themen wie Performance-Steigerung und IAB-Konformität. Compliance ist für uns selbstverständlich, aber wir brauchen auch die Unterstützung unserer Partner.

Wir analysieren das Inventar unserer Partner, identifizieren Schwächen und geben gezieltes Feedback. Auch bei uns selbst kuratieren wir das Inventar, um Qualität und Ressourcenschonung sicherzustellen.

Ende letzten Jahres haben wir die Nachhaltigkeits-Zertifizierung Greenline eingeführt, die Publisher mit nachhaltigen Praktiken auszeichnet. Diese Publisher haben Zugang zu einem privaten Marktplatz für grüne Umfelder.

ADZINE: Was können Publisher tun, um für mehr Qualität zu sorgen?

Duchesne: Der erste Schritt: die Website optimieren. Weniger ist oft mehr. Wenige, gut platzierte Formate schlagen Seiten mit überladenem, minderwertigem Inventar. Fokus auf Sichtbarkeit und Nutzererlebnis. Das ist nachhaltig.

Wählt Partner, die Transparenz fördern und sicherstellen, dass das Inventar nicht in intransparente Kanäle gelangt. Das kann nicht nur Einnahmen kosten, sondern auch zu Problemen mit Verifizierungsdiensten oder Blacklists führen, und verlorenes Vertrauen lässt sich nur schwer zurückgewinnen.

Setzt auf offene, faire Technologien wie Prebid, die Chancengleichheit schaffen und versteckte Vorteile einzelner Akteure verhindern.

Und: Sammelt und teilt die richtigen Daten. Datenschutzkonforme Identifier wie die Prebid Shared ID sind eine starke Alternative zu Cookies. Sie ermöglichen Adressierbarkeit bei gleichzeitiger Wahrung der Privatsphäre. Je besser die Datenbasis, desto stärker das Inventar.

ADZINE: Wie wird sich Programmatic Advertising deiner Meinung nach in Deutschland in den nächsten Jahren entwickeln?

Duchesne: Die kommenden Jahre werden entscheidend sein, besonders in Bezug auf den wachsenden regulatorischen Druck auf Big Tech. Eine zentrale Frage ist: Führt dieser Druck endlich zu faireren Wettbewerbsbedingungen?

Amazon hat kürzlich angekündigt, einen eigenen Prebid-Adapter zu entwickeln. Was wäre, wenn Google diesem Beispiel folgen würde? Das würde viele der strukturellen Vorteile, die sich aus der engen Verzahnung mit GAM ergeben, spürbar relativieren.

Gleichzeitig wirft ein solcher Schritt Fragen auf. Die gleichzeitige Rolle als DSP und SSP erfordert eine sehr feine Balance – denn wer beide Seiten der Marktlogik bedienen will, steht zwangsläufig in einem Interessenkonflikt. Eine klare Trennung von Funktionen und Verantwortlichkeiten ist aus unserer Sicht essenziell, um Fairness, Neutralität und volle Markttransparenz sicherzustellen.

Im Fall von Amazon nimmt diese Entwicklung eine besondere Wendung, da sie beabsichtigen, eine zweite Auktion serverseitig über TAM zu steuern und anschließend an der Prebid-Auktion teilzunehmen. Aus meiner Sicht widerspricht das dem eigentlichen Grundgedanken von Prebid. Es ist durchaus berechtigt, sich zu fragen, ob nicht auch andere Motive als Transparenz hinter diesem Schritt stehen, insbesondere da Amazon eine der größten DSPs auf dem Markt betreibt.

Für Deutschland sehe ich eine anhaltende Bewegung hin zu lokalen und unabhängigen Anbietern – gerade in Zeiten komplexerer internationaler Beziehungen.

Unsere Nachhaltigkeitsinitiative Greenline stieß schon bei ihrer Einführung auf enormes Interesse. Für uns ein klares Zeichen, dass dieser Trend anhalten wird.

Gleichzeitig müssen wir ressourcenschonender und gezielter arbeiten. Kuratierung wird eine noch wichtigere Rolle spielen – sowohl für die Performance als auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Hier kann KI echten Mehrwert bieten, etwa bei der Optimierung von Inventar oder Kampagnenausspielung.

Gleichzeitig birgt KI auch Risiken, zum Beispiel durch sogenannte Crawler, die Inhalte aus dem offenen Netz sammeln und weiterverwerten, ohne echten Traffic zu generieren. Das schwächt das Geschäftsmodell des Open Internets. Der Rückgang ist bereits spürbar. Umso mehr kommt es darauf an, mit weniger mehr zu erreichen – durch Qualität, Effizienz und Innovation.

ADZINE: Danke für das Gespräch, Charles.

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