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PLATTFORMEN & NETZWERKE

Raus aus Social und Search – aber wohin mit den Budgets?

Anton Priebe, 15. Mai 2025
Bild: M.Dörr & M.Frommherz – Adobe Stock Bild: M.Dörr & M.Frommherz – Adobe Stock

Big Tech dominiert das digitale Werbeökosystem. In Deutschland fließt mehr als die Hälfte der Werbebudgets in die Walled Gardens von Google, Meta und Amazon. Jedoch wird die Kritik an ihrer Vormachtstellung lauter. Die wachsende Abhängigkeit und Intransparenz bei vermeintlich sinkender Werbewirkung verursacht Sorgenfalten auf den Stirnen der Marktteilnehmer. Ein buntes Mediaökosystem, das durch die Übermacht der Plattformen gefährdet wird, ist nicht zuletzt auch für die Erhaltung der Demokratie notwendig. Gleichzeitig stellen Werbetreibende fest, dass die Performance der Kanäle Social und Search nicht an die Ergebnisse von einst heranreichen können. Doch wenn nicht Search und Social, wohin mit den Werbeeuros? Sind die Spielarten der Plattformen überhaupt zu ersetzen?

Nachlassende Ergebnisse bei den Plattformgiganten?

Bild: Linkedin Sven Metz, Add2

Search und Social Advertising sind fest in den Mediaplänen verankert. Denn sie liefern nach wie vor enorme Reichweiten, bestätigt Sven Metz, Managing Partner der Düsseldorfer Full-Service-Agentur Add2. Die Frage sei nur, „zu welchem Preis – vor allem in Bezug auf Transparenz, Brand Safety und inkrementelle Wirkung.“ Die Kennzahlen, auf die sich viele Werbetreibende verlassen, stammen meist von den Plattformen selbst. Dadurch werde die tatsächliche Werbewirkung oft verzerrt dargestellt.

Wer objektive, plattformübergreifende Metriken anlege, merke schnell, dass sich das System gerne selbst bestätige. Das ist problematisch, weil dadurch Werbewirkung suggeriert wird, wo keine ist, und Budget weiter in Kanäle fließt, die längst an Effizienz verloren haben. „In vielen Fällen sehen wir stark rückläufige Effizienzwerte bei gleichbleibendem oder wachsendem Spend“, so Metz. Diese Einschätzung deckt sich zumindest in Sachen Social Media mit einer aktuellen Umfrage in den USA. So verzeichnen drei von vier US-amerikanischen Performance-Werbetreibenden einen abnehmenden ROI ihrer Social-Media-Werbung.

Beratung Richtung unabhängiger Technologien

Bild: TK-One Thomas Koch, TK-One

Trotz aller Kritik steigen die Spendings auf den Plattformen munter weiter an. Der Mediaplaner Thomas Koch, auch als “Mr. Media” bekannt, sieht darin ein strukturelles Problem der Branche: „Die Mediaagenturen, verantwortlich für die Steuerung der Mediagelder, wollen in diesem Jahr Google 5 Prozent mehr Umsatz schenken, Meta 10 Prozent, Amazon 13 Prozent und Tiktok gar 40 Prozent mehr – obwohl die Beteiligten ein zunehmendes Sinken der Aufmerksamkeit und Werbewirkung beklagen.“ Er spricht von einem irrationalen Marktverhalten: “Mit Logik ist das nicht zu erklären. So verhalten sich Lemminge, die es nicht besser wissen. Man wirft gutes Geld schlechtem hinterher.“

Eine unabhängige Beratung finde kaum statt, weil viele Agenturen ihre eigenen Produkte verkaufen wollen oder an den Plattformen verdienen würden. „In der Haut von Marketingentscheidern auf Kundenseite möchte man nicht stecken“, so Koch. Ohne eigene Expertise sei man der Agenda anderer weitgehend ausgeliefert. “Was im Milliardenmarkt der Onlinewerbung ganz offensichtlich fehlt, ist mehr unabhängige Beratung ohne Fremd-Agenda, ohne Fallstricke, ohne Parasiten, ohne Schmarotzer.”

Bild: OMD Jenny Görlich, OMD

Harte Worte des Planungsurgesteins, doch Jenny Görlich, Managing Partner Commerce & Performance der OMD Germany, hält dagegen. Zumindest sei die Beratung ihrer Agentur technologieoffen und dabei immer zielgerichtet. Dieses Ziel sei, für die Kunden die beste Lösung zu finden, die wirkt, steuerbar bleibt und nicht in technische Abhängigkeit führt. „Unabhängige Technologien sind dabei ein wichtiger Hebel. Sie geben Marken Kontrolle über Daten, Reichweiten und Budgets – gerade im Open Web.“ Gleichzeitig müsse man jedoch Komplexität reduzieren. “Wir übersetzen technologische Vielfalt in strategische Klarheit und setzen auf Setups, die verlässlich messbar und nachhaltig skalierbar sind.”

Sind die Plattformen überhaupt ersetzbar – oder nur ergänzbar?

Die Suche nach Alternativen für die Plattformen wird oft falsch angegangen. Statt „Ersetzen“ gehe es vielmehr um „Ergänzen“, so der Tenor mehrerer Experten und Expertinnen. Thomas Koch verdeutlicht: „Medien sind keine Ersatzteile, die man beliebig austauschen kann. Diesen Stockfehler haben Digitalagenturen lange genug gemacht.“ Jeder Kanal habe seine Stärken und Schwächen im berühmten Marketing-Trichter, digitale Medien eher im Lower, klassische Medien im Upper Funnel. “Wer analoge Medien dennoch durch digitale ersetzt, wie es Tag für Tag geschieht, schwächt die Marke bei Aufbau und Pflege.” Gefragt sei stattdessen eine ausgewogene Balance zwischen Branding und Performance. “Wer derzeit nur zwei Medien einsetzt, setzt künftig drei ein; wer drei Medien im Plan hat, ergänzt seinen Mix um ein viertes. Je mehr Medien im Mix, desto höher Reichweite und Werbewirkung”, ist Koch überzeugt.

Bild: Adnomaly Max von Weber, Adnomaly

Max von Weber, Gründer des Adtech-Startup Adnomaly und ehemaliger Paid-Social-Berater auf Agenturseite, betont, dass es weniger um Schwarz-Weiß-Denken gehe, sondern um situative, methodisch fundierte Entscheidungen. „Social und Search erfüllen zweifelsohne zentrale Funktionen im digitalen Marketing – insbesondere, wenn es um Reichweite, Zielgruppenpräzision und unmittelbare Performance geht.“ Andere Kanäle wie Digital-Out-of-Home, Audio oder CTV könnten diese Leistungen nicht 1:1 ersetzen, aber gezielt ergänzen. Entscheidend sei die richtige Methodik und eine exzellente Umsetzung, um Medienbudgets wirksam zu investieren.

Auch Mustafa Mussa, Gründer & CEO von Adtron und damit Spezialist für Display-Ads, hält die Plattformen nicht für komplett verzichtbar, sieht ihre Dominanz aber durchaus als gefährlich an. „Gerade bei sinkender Attention und steigenden CPMs auf Meta & Co. lohnt sich der Blick auf Alternativen.“

Mögliche Ergänzungen für die Plattformen

Bild: Adtron Mustafa Mussa, Adtron

Vor allem hochwertige Publisher-Umfelder mit hoher Markenwirkung, Transparenz und Kontrolle seien zunehmend interessant, etwa im Bereich Display und DOOH, sagt Mussa. Display-Werbung jenseits klassischer Standardformate biete enormes Potenzial, insbesondere wenn sie in kuratierten Publisher-Netzwerken mit hohen Qualitätsstandards ausgespielt werde. „High Impact Ads bieten eine echte Bühne für Marken – vor allem, wenn Attention ein KPI ist.“ Die Verbindung aus aufmerksamkeitsstarken Formaten und First-Party-Daten schaffe die Kontrolle, die Marken in Walled Gardens oft fehle. “Besonders spannend wird’s, wenn kreative Datenmodelle und First-Party-Ansätze die Mediaplanung steuern. Dann entsteht echte Unabhängigkeit.”

Sven Metz von Add2 sieht in Retail Media, ebenso wie in Programmatic Audio, Addressable TV oder Out-of-Home mögliche Hebel. Diese Kanäle böten „gezielt eingesetzte Touchpoints, die performen und Markenwerte stärken.” In den USA hingegen scheinen Agenturen die Budgets aus Social und Search zunehmend in Richtung Connected TV zu schieben.

Wie ein Mediaplan mit weniger Plattformanteil aussieht

Die Plattformbudgets lassen sich also nicht einfach streichen. Thomas Koch fordert jedoch, dass man zumindest die nachgewiesene und identifizierte Menge an nicht sichtbar, nicht wirksam und falsch ausgelieferter Werbung entfernt. Er spricht in diesem Zusammenhang von bis zu 50 Prozent der Anzeigen. „Da nur unwirksame Werbung aus dem Mediaplan entfernt wurde, entsteht nach der Kürzung kein Wirkungsverlust, sondern ein deutlicher Wirkungsgewinn durch zusätzliche Medien und Maßnahmen.“ Der frei gewordene Spielraum nach der Optimierung könne für Experimente mit Retail Media, Podcasts, Employer Branding oder Out-of-Home genutzt werden – “alles, was man schon immer ausprobieren wollte”, meint Koch.

Für Jenny Görlich von der OMD ist klar, dass Vielfalt im Mediaplan kein Selbstzweck sein kann. Sie müsse immer skalierbar, planbar und messbar bleiben. Sie setzt auf “kuratierte Vielfalt”, also bewusst gewählte Kanäle, die sich sinnvoll in ein Set von KPIs einfügen ließen. Görlich betont die strategische Bedeutung kuratierter Umfelder, vor allem in Peakseasons. „Wir wollen Wirkung ohne Auktionsstress – nicht getrieben von Gebotsspiralen, sondern gesteuert durch Qualität, Kontext und Verlässlichkeit.“

KI als Schlüssel zu mehr Vielfalt?

Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz in der Mediaplanung wird heiß diskutiert. Dadurch könnte der Mediaplan ebenfalls vielfältiger werden. Die Agenturfachfrau Görlich sieht in KI jedenfalls ein entscheidendes Werkzeug, um die Komplexität medialer Vielfalt zu meistern: „Die eigentliche Wirkung entsteht dort, wo Nutzerverhalten und Umfelder intelligent zusammengeführt werden.“ Genau hier könne KI helfen, etwa durch die Analyse von Longtail-Umfeldern, Bewertung von Nischenangeboten oder die automatische Prüfung auf Brand Suitability. So bekäme relevante Reichweite “plötzlich echten Glanz” und damit den “Impact, den starke Marken heute brauchen”.

Mit mehr Mut zum vielfältigen Mediamix

Die Kritik am Plattform-Oligopol ist nicht neu, doch sie wird lauter. Gleichzeitig wächst das Verständnis dafür, dass nicht weiter nach dem Prinzip “Viel hilft viel” vorgegangen werden kann. Jenny Görlich ist sich sicher, dass das nötige Handwerkszeug für effektive Werbung jenseits der Plattformen vorhanden ist. “Die Standards im Open Web entwickeln sich. Unsere Agentur-Tools, First-Party-Data, semantisches Targeting und Data Clean Rooms bringen uns auf Augenhöhe mit den Plattformen.” Die Entscheidung, wo Marken werben, sei immer auch ein Statement. “Im Open Web bedeutet es: pro Vielfalt, pro Transparenz, pro Freiheit.”

Wer sich von Search und Social emanzipieren will, braucht jedoch mehr als nur neue Kanäle. Oder wie es Thomas Koch formuliert: „Wem die Performance nicht reicht, darf nicht noch mehr Performance machen – sondern stattdessen die Marke im vorderen Funnel stärken. Dann klappt das auch mit der Performance.“

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