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PROGRAMMATIC - Interview mit Ekkehardt Schlottbohm, Pubmatic

Wie das Curation-Business Programmatic Advertising verändert

Anton Priebe, 16. April 2025
Bild: DuangphonKPR – Adobe Stock Bild: DuangphonKPR – Adobe Stock

Das Programmatic Advertising ist ein schnelllebiger Industriezweig, deren Technologien und Prozesse sich kontinuierlich in beeindruckender Geschwindigkeit wandeln. Aktuell geistern die Begriffe Curation und Sell-Side Targeting durch die Branche, die für allerlei Verwirrungen sorgen. Verbirgt sich dahinter lediglich alter Wein in neuen Schläuchen? Mitnichten, sagt Ekkehardt Schlottbohm, Regional VP Northern Europe des Adtech-Unternehmens Pubmatic. Im Interview erklärt der Experte, was es mit der Kuratierung des Werbeinventars und der Verlagerung des Targetings auf die Sell-Side auf sich hat. Dabei beleuchtet Schlottbohm, welchen Stellenwert diese Entwicklungen in Deutschland haben und inwiefern sie die Beziehungen zwischen Demand-Side- und Supply-Side-Plattformen mit ihren Marktpartnern verändern.

Bild: Pubmatic Ekkehardt Schlottbohm, Pubmatic

ADZINE: Ekke, du hast für uns kürzlich in einem eigenen Artikel die Begriffe Sell-Side Targeting und Curation definiert. Dort bezeichnest du Curation als einen Service und Sell-Side-Targeting als eine technologische Implementierung – magst du unserer Leserschaft noch einmal genauer erklären, was du mit dieser Unterscheidung meinst? Was genau muss wo implementiert werden?

Ekkehardt Schlottbohm: Lass es mich so erklären: Aus Agentursicht ist Sell-Side-Targeting eine Strategie und Curation eine Taktik. Wenn eine Agenturgruppe beispielsweise einen privaten Marktplatz eröffnet, trifft sie auf strategischer Ebene die Entscheidung, eine Supply-Side-Plattform in ihren Workflow zu integrieren. Sie wird also technologisch implementiert. Auf diesem Marktplatz kann die Agentur Kontrolle über die einzukaufenden Inventare ausüben, Daten hinzufügen und bei Bedarf auch ihre programmatische Kette verkürzen – Stichwort Supply-Path-Optimization.

Curation hingegen kann jeder Player anbieten, der eigene Daten besitzt, zum Beispiel aus dem Commerce-Sektor. Diese Daten können im Zusammenspiel mit einer Plattform und ihren Inventaren kuratiert werden. Das übernimmt dann aber nicht die Agentur, sondern eben der Partner. Eine Agentur kann jedoch auch selber Curation betreiben, indem sie zum Beispiel die Daten – die eigenen Daten oder die eines Commerce-Anbieters – in eine selbst aufgesetzte Sell-Side-Targeting-Lösung hineingibt.

Es geht bei der Unterscheidung also auch darum, wie viel direkte Kontrolle und Einflussnahme man auf die Inventare nimmt, die verwendet werden.

ADZINE: Weiterhin sprichst du davon, dass Sell-Side-Targeting den Tradern eine “Self-Activation” bietet. Warum brauchen die Agenturen das? Man könnte sein Targeting ja auch klassisch auf der Demand-Side draufsetzen und trotzdem kuratiertes Inventar einkaufen, oder?

Schlottbohm: Ja, momentan geht der Trend in Programmatic jedoch hin zu einer kürzeren Kette. Beide Seiten wollen Mittler herausnehmen, die Wertschöpfungskette verdichten, Working Media verbessern und die Kontrolle erhöhen.

Auf der einen Seite setzen die Demand-Side-Plattformen auf Direktintegrationen mit Publishern und ihren Inventaren. Auf der anderen Seite bewegen sich viele ehemalige Full-Stack-Plattformen stark in Richtung Sell-Side. Beide befinden sich somit in der gleichen Plattform wie der Publisher. Derjenige, der die Inventare kuratiert, kann auf der Plattform auch in die Aktivierung gehen. Du gehst also nach dem Sell-Side-Targeting und der Curation ohne eine DSP direkt in die Exekution der Kampagne.

Die Technologien in Digital und Programmatic haben sich bisher immer in Zyklen bewegt. Angefangen hat es mit dem Adserver, der ist von den Publishern hin zur Agentur und dann zum Kunden gewandert. Die DSP hat sich von der Agentur zum Kunden bewegt. Die Kunden haben dann auch angefangen, eigene DMPs aufzubauen. In diesem Sinne arbeiten Agenturen in Deutschland auch schon lange direkt mit SSPs. Die Frage ist, wie viele Funktionen einer DSP am Ende wirklich genutzt werden, um eine Kampagne effektiv zu exekutieren?

ADZINE: Welche Daten werden mit den Inventaren in der Regel verpackt? Und auf welcher Grundlage werden sie aktiviert?

Schlottbohm: Du kannst alle Daten, die du in der DSP hast, auch auf der SSP aktivieren, ob Identifier- oder Third-Party-Cookie-basiert, ob Contextual oder First-Party-Data. Viele Anbieter gehen mittlerweile beide Seiten gleichwertig bei der Implementierung an.

Beispielsweise steigen große Payment-Provider oder auch große E-Commerceler in dieses Segment ein. Da sie bestimmte Technologien und Identifier verwenden, wird es in diesem Zuge zu Konsolidierung kommen. Auch die Data-Provider fangen an, das Kuratierungsbusiness für sich zu entdecken und selbst den Service zu übernehmen.

ADZINE: Wie ist der aktuelle Stand in Sachen Curation in Deutschland? Die Tech-Anbieter treiben es stark und sagen, dass es das nächste große Ding nach Programmatic wird. In den USA wird bereits ein signifikanter Umsatz damit generiert. Andererseits höre ich, dass Curation hierzulande noch gar nicht richtig angekommen ist.

Schlottbohm: Das ist auch kein Wunder, weil der amerikanische Markt stark vom Open Market geprägt ist. Die Grundstruktur ist also eine ganz andere als in Deutschland. Open-Market-Curation lässt sich dort schneller und skalierbarer umsetzen – denn sie folgt den etablierten Open-RTB-Regeln und ist für jeden Buyer direkt zugänglich.

In Deutschland besteht Programmatic jedoch zu 70 oder 75 Prozent aus PMPs und jeder Menge I/O-Business, besonders in einer wirtschaftlich strapazierten Zeit wie jetzt. Gerade wenn es um Brandingbudgets geht, setzen Agenturen hierzulande derzeit eigene Marketplaces auf, um die Partnerschaften mit Publishern zu stärken. Diese PMPs können kuratiert und über eine übergeordnete Deal-ID gebündelt werden, die auch den Mediaplan widerspiegelt, also beispielsweise den Publisher-Share des Budgets oder die Preisstrukturen. Das sehe ich in dem hiesigen Markt sehr stark.

ADZINE: Des einen Vorteil ist des anderen Nachteil – gräbt dieser Trend den DSPs das Wasser ab?

Schlottbohm: DSPs haben die relevanten Prozesse aufgebaut und immer noch ihre absolute Relevanz. Allerdings hat sich die Marktsituation im Laufe der Zeit verändert.

Zunächst einmal sind heute die Inventare durch wenige SSPs in einer größeren Skalierung auch global verfügbar. Eine DSP muss also nicht mehr im gleichen Maße Inventare konsolidieren. Außerdem haben sich die SSPs in Richtung Omnichannel entwickelt und können damit eine andere Format-Tiefe liefern. Darüber hinaus können Buyer User Interfaces auf SSPs für den Einkauf nutzen. Vorher führte der Weg über die DSP, dann hat die Agentur PMPs bei den Publishern angefragt und in der DSP implementiert. Jetzt können sie direkt auf der SSP aufgesetzt und im nächsten Schritt auch für die Aktivierung genutzt werden.

Das bedeutet nicht, dass das eine das andere ablöst. Es ist eine Situation, die mehr Parität herstellt.

ADZINE: Wenn ich mit Data-Providern spreche, dann stellen diese die Vorteile heraus, die die Integration auf der Sell-Side mit sich bringt. Sie bekommen tiefere Einblicke in die Performance bis auf Auktionsebene und können den Dateneinsatz besser optimieren. Warum ergibt es überhaupt noch Sinn, auf der DSP-Seite den Datenlayer darüber zu stülpen?

Schlottbohm: Es kommt immer auf die Art des Targetings an. Wenn das Targeting mit Drittdaten läuft, über Third-Party-Cookies, ist es wesentlich sinnvoller über eine SSP zu aktivieren, weil du näher am Publisher bist und einen Hub weniger hast. Natürlich gehen Player aber auch mit ihren eigenen IDs in den Markt und die ID-Anbieter werden interoperabler.

Es ist eine Änderung vom Workflow, auch in den Activation-Teams, wenn du die DSP oder die SSP als Anfangspunkt der Kampagnenplanung wählst. Es ist grundsätzlich ein anderer Weg, aber beide habe ihre Berechtigung.

ADZINE: Danke für das Interview, Ekke!

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