
Omnichannel ist zum Schlagwort im Marketing geworden. Auch im Programmatic Advertising ist es überall zu hören. Doch Vorsicht: Es gibt Missverständnisse. Worauf es bei Omnichannel wirklich ankommt, welche Rolle der richtige Technologie-Ansatz für das Werbebudget spielt und warum Advertiser ihre Adtech-Partner auf Transparenz challengen sollten – darüber haben wir mit Sara Sihelnik, DACH-Chefin von Quantcast, gesprochen.

ADZINE: Sara, was verstehst du unter Omnichannel im Programmatic Advertising?
Sara Sihelnik: Omnichannel im Programmatic Advertising bedeutet, dass alle Kanäle nahtlos integriert und synchronisiert werden, um eine konsistente, personalisierte und datengetriebene Customer Journey zu ermöglichen. Bei einem klassischen Multichannel-Ansatz hingegen wird jeder Kanal individuell betrachtet. Im Gegensatz dazu sorgt Omnichannel für eine kohärente Nutzerfahrung über alle Touchpoints hinweg. Aber man muss genau hinschauen, das Schlagwort ist sehr beliebt. Oft wird Omnichannel beworben, aber tatsächlich handelt es sich nur um fragmentiertes Inventar mit einem schicken Etikett.
ADZINE: Warum ist ein echter Omnichannel-Ansatz mittlerweile so wichtig für Marken und Werbetreibende?
Sihelnik: Das ist im Konsumverhalten begründet. Laut neusten Studien nutzen 70 Prozent der Käufer mehrere Kanäle, um einen einzigen Kauf oder Buchung zu tätigen. Nahezu alle dieser Kunden erwarten auch eine konsistente Interaktion über alle diese Kanäle hinweg. Die Konsumenten bewegen sich hochdynamisch zwischen den verschiedenen Kanälen und Endgeräten. Ein isolierter Ansatz, wie beim Multi-Channel, führt zu einer ineffizienten Werbeausspielung. Wenn das Targeting jedoch über mehrere Kanäle stattfindet, ist die Wirkung deutlich größer. Es ist enorm wichtig, dass man die Werbe-Frequenz über alle Kanäle hinweg harmonisiert.
ADZINE: Das klingt in der Theorie super, aber wo stehen wir deiner Meinung nach aktuell beim Thema Omnichannel im Programmatic Advertising? Wo hakt es in der Praxis noch?
Sihelnik: Im Displaybereich, Online-Video und CTV sind wir schon sehr weit fortgeschritten. Hier funktionieren Omnichannel-Umsetzungen bereits sehr gut. Vergleichsweise neue Programmatic-Kanäle wie Digital-Out-of-Home oder Audio holen sehr rasant auf. Eine Herausforderung sind die Walled Gardens und Streaming-Plattformen, da ihre Werbeumfelder für Advertiser jeweils nur über bestimmte Technologien zugänglich sind. Diese Umfelder für Omnichannel-Ansätze zu erschließen, ist definitiv eine große Herausforderung für Werbungtreibende. Hinzu kommt, dass viele dieser Kanäle unterschiedliche Standards und Messmethoden haben, wodurch es für die Werbungtreibenden eine Herausforderung ist, den Impact solcher Kanäle zu analysieren oder vergleichbar auszuwerten.
ADZINE: Aber es wäre doch schon wichtig, kanalübergreifend sauber und vergleichbar zu messen …
Sihelnik: Ja, das ist superwichtig, weil jeder Kanal in der User Journey seine Daseinsberechtigung hat. Aber wenn zum Beispiel Netflix oder Youtube den Erfolg einer Kampagne anders definiert als ein Player im Open Web, dann ist es schwierig, die Leistungen für die Kunden am Ende vergleichbar zu präsentieren. Eine weitere Herausforderung ist, dass die Third-Party-Cookies mehr und mehr wegfallen und es schon heute Umfelder wie CTV gibt, in denen keine Cookies vorhanden sind. Die schwindenden Cookies müssen durch Alternativen, wie zum Beispiel einem Haushaltsgraphen basierend auf ID-Signalen, IP-Adressen, Device-IDs, First-Party-Daten und kontextuellen Signalen ersetzt werden, damit die Messung holistisch ist und nicht nur die Planung. In den vergangenen Monaten gab es viele Appelle, dass die Branche zusammenkommen und mehr Standards definieren sollte, was die übergreifende Messung deutlich vereinfachen würde.
ADZINE: Bis dahin scheint es jedoch ein weiter Weg zu sein. Was ist deine Empfehlung?
Sihelnik: Zunächst empfehle ich immer, sich frühzeitig mit dem Omni-Channel-Thema auseinanderzusetzen, spätestens wenn Partner evaluiert werden sollen. Mit einem Multi-Signal-Ansatz lassen sich die Erwartungen der Advertiser erfahrungsgemäß am besten erfüllen. Damit meine ich, dass man nicht nur auf eine Art von Signal setzt – zum Beispiel nur auf den Cookie, auf eine bestimmte ID oder nur auf Contextual, sondern, dass eine Technologie gewählt wird, die vielfältigste Signale verarbeiten kann. Die Welt ist nicht linear und wir sehen, dass je nach Kanal, Umfeld und Markt die verfügbaren Signale über einen User variieren. Darauf müssen sich Advertiser einstellen.
Ein weit verbreitetes Missverständnis ist übrigens, dass Omnichannel automatisch höhere Budgets erfordert. Aber das Gegenteil ist der Fall. Durch die bessere Orchestrierung und das Zusammenwirken aller Kanäle generieren Advertiser mehr Leistung aus ihrem Budget. Ein Omnichannel-Werbesystem balanciert sich selbst aus und investiert das Budget immer auf den in einem bestimmten Moment relevantesten User.
ADZINE: … oder man setzt alternativ auf Umfelder und spart sich diese Anstrengungen …
Sihelnik: Das ist leider ein weit verbreitetes Missverständnis und eher nicht ratsam. Kommen neue Kanäle hinzu, versuchen viele Werbetreibenden diese Kanäle als Umfeld abzudecken, in der Hoffnung, dort die relevanten Zielgruppen anzutreffen. Aber Umfelder allein sind keine Garantie, dass eine Person tatsächlich zur Zielgruppe gehört oder sich für das beworbene Thema interessiert. Mit einer solchen Umfeld-Strategie müsste man hohe Streuverluste in Kauf nehmen.
ADZINE: Welche Entwicklungen siehst du beim Thema Omnichannel? Worauf müssen sich Marken und Advertiser einstellen?
Sihelnik: Das kanal- und geräteübergreifende Medien-Nutzungsverhalten der Konsumenten zwingt Marken verstärkt dazu, die Kanäle aus User-Perspektive zu planen und nicht mehr aus einer Kanalperspektive. Der User rückt ins Zentrum. Sowohl für das Targeting als auch für die Messung, um festzustellen, ob dieser User wirklich wie gewünscht konvertiert hat. Entsprechend wird auch das Thema Personalisierung an Bedeutung gewinnen, das durch KI zusätzlich Fahrt aufnimmt. KI kann große Datenmengen analysieren und zusammenführen. Sie wird sich in diesem Bereich immer stärker durchsetzen. Ich gehe davon aus, dass auch die programmatischen Investments in neue Kanäle wie Connected TV, Digital Audio und Retail Media weiter wachsen werden. Sie lassen sich immer besser in den Marketing-Mix integrieren.
ADZINE: Doch einige harte Rahmenbedingungen wie die strengen Datenschutz-Anforderungen, das Auslaufen der Drittanbieter-Cookies und die technische Komplexität werden erhalten bleiben. Wie können Unternehmen ihre Omnichannel-Strategie zukunftssicher aufstellen?
Sihelnik: Unternehmen müssen bei ihren Werbeaktivitäten transparent agieren und diese Transparenz auch von ihren Adtech-Partnern einfordern. Es ist wichtig darauf zu achten, welche Datenquellen und Signale eine eingesetzte Technologie nutzt und welche Daten wie verarbeitet werden. Das Thema ist trocken, sehr technisch und hat nicht unbedingt direkt mit kreativen Marketing-Ideen zu tun, aber ich glaube, Werbetechnologie-Anbieter sind den Werbetreibenden diese Transparenz schuldig. Und Marketer sollten keine Angst haben, uns Technologie-Anbieter dahingehend zu challengen.
Vielen Dank für das Interview, Sara!
Tech Finder Unternehmen im Artikel
EVENT-TIPP ADZINE Live - SPOTLIGHT: Supply Tech Innovation am 29. April 2025, 11:30 Uhr - 12:15 Uhr
Die erste Ausgabe unseres neuen SPOTLIGHT-Formats widmen wir der Angebotsseite des Werbeökosystems. Hier gibt es derzeit besonders spannende Entwicklungen zu beobachten. Im Rampenlicht stehen drei Anbieter von Supply-Side-Plattformen (SSP) und ihre innovativen Methoden, mit den aktuellen Herausforderungen des heutigen Werbegeschäfts umzugehen. Jetzt anmelden!