Der Programmatic-Run auf das Radio ist ein Sprint
Anton Priebe, 15. April 2025
Die Digitalisierung hat das althergebrachte Radio längst erfasst und auch der damit verwobene Werbemarkt verändert sich. Mit dem Anschluss des Mediums an das programmatische Ökosystem entsteht eine frische Infrastruktur, die neue Optionen für Werbetreibende und Sender bereithält. Einer der jüngeren Player auf dem Audio-Parkett ist die Supply-Side-Plattform Aireal, eine programmatische Handelsplattform für alle Arten von Audioinventaren. Jan Poelmann, Director Demand Side von Aireal, beschreibt sein Team als einen extrem motivierten Haufen aus Radioprofis und Technologieexperten. Im Interview erklärt Poelmann, welche Potenziale in der andauernden Digitalisierung des Radios schlummern und wie sie sich heben lassen.
ADZINE: Jan, wie seid ihr im programmatischen Ökosystem vernetzt?
Jan Poelmann: Ziel unserer Plattform ist es, Schnittstellen zu jedem Teilnehmer des Werbemarktes aufbauen zu können. Also vollkommen neutral mit jeder Plattform zu interagieren, jeder DSP, jeder SSP, jedem Publisher oder Vermarkter.
Das ist gelungen! Aireal selbst ist primär eine SSP für jede Art von Audioinventar, inklusive UKW-Radio und DAB+. Insofern ist die Verbindung mit den etablierten DSPs – einige haben wir bereits direkt angebunden, Tendenz steigend – unser logischer erster Schritt. Um aber für alle Seiten den größten Mehrwert bei größtmöglicher Einfachheit herzustellen, sind wir ebenso in der Lage, uns auch mit jeder anderen SSP zu verbinden, wenn die Nachfrage danach besteht. Wir stellen hier ein vernünftiges und sehr leistungsfähiges Gesamtprodukt über marktpolitische Befindlichkeiten. Es muss ja vorangehen.
ADZINE: Von welchen Befindlichkeiten sprichst du und inwiefern verhindern sie das Vorankommen?
Poelmann: Der Audiomarkt ist im Wandel, viele Marktteilnehmer stehen vor großen Herausforderungen, technologisch, medienpolitisch, vermarkterisch. Die bereits entstandene digitale Kluft beispielsweise zwischen Publishern und Vermarktern oder Agenturen verursacht bereits merkliche Unterschiede im Zugang zu neuen Märkten, Zielgruppen und Umsätzen. Genau da setzen wir an: Wir wollen den Audiomarkt als Ganzes voranbringen und haben genau deshalb ein neutrales System gebaut, das unabhängig von bestehenden Strukturen und Marktlogiken funktioniert, diese aber gleichwohl abbilden oder bestehende technische Systeme auf Wunsch anbinden kann. Es ist nicht notwendig, dass der Markt auf ein bestimmtes technisches System oder eine bestimmte programmatische Handelslogik wechselt – wir bilden alle ab. Am Ende sind wir ein neutraler technischer Enabler, kein Vertreter von Partikularinteressen. In diesem Geist entwickeln wir unsere Technologie, unser Know-how und damit den Markt.
ADZINE: Der Audiomarkt kratzt hierzulande an der Milliarden-Marke, wobei der Löwenanteil auf Werbung im linearen Radio entfällt. Online-Audio wächst in diesem Segment jedoch kontinuierlich. Wird das lineare Radio durch die digitalen Angebote verdrängt?
Poelmann: Nein, im Gegenteil. Lineares Radio wird durch technologische Entwicklungen und Plattformen künftig unternehmerisch noch bedeutend wertvoller, ganz ohne Risiken oder Invest für Radio. Konkrete Bedürfnisse treiben seit jeher die Entwicklung und Einführung fortschrittlicher Technologien. Und diese wiederum bestimmen über das Wachstum von Märkten, denen sie entsprechen müssen.
Im Falle von Audio – und das macht es so spannend – sind das bekanntlich zum einen der Hörermarkt, also die Nutzer von Audio, denen lineare, leicht konsumierbare, kostenlose Lieblingsprogramme mit verschiedensten Formaten, Themen oder regionalen Bezügen konstant wichtig bleiben. Zum anderen die Werbewirtschaft mit großem Appetit auf zielgenau anzusteuernde Nutzer- und Kundengruppen in bester Qualität und Quantität.
Alle anderen zwischen diesen beiden Dimensionen sind lediglich „Möglichmacher“. Die einen produzieren, andere vermarkten, wieder andere bieten die systemische Basis für all das und sind technologischer Pulsschlag für das gesamte Ökosystem. Und nein, programmatische Vermarktbarkeit von linearem Audio dient dabei ja gerade NICHT dazu, eine Verdrängung durch digitale Angebote zu forcieren, sondern beiden Angeboten, volldigital und linear-terrestrisch, eine ganz spezifische, messbare und sich ergänzende Rolle zuzuweisen.
ADZINE: Wir sehen immer wieder vereinzelt Cases in den vergangenen Jahren, aber der Run auf Programmatic Audio scheint bisher auszubleiben. Muss Radio überhaupt programmatisch werden und wie programmatisch ist die deutsche Radiolandschaft bereits?
Poelmann: Da sich Aireal in seiner Genetik als Teil der Radiolandschaft begreift und wir viele progressive Publisher und Vermarkter hinter uns wissen, können wir sagen: Programmatic Advertising im Radio ist vorbereitet! Es kann also losgehen, nach IP hat linear nun nachgezogen. Wir beginnen aktuell bereits mit dem geordneten Anschluss der Häuser und Märkte, der Vermarkter und DSPs.
ADZINE: Der Run hat also doch begonnen?
Poelmann: Richtig. Aber jeder neuen Technologie gehen bekanntlich die immer gleichen Phasen voraus. Das war beim Automobil vor 140 Jahren genauso wie bei neuen Technologien heute: erst Unzufriedenheit mit Vorhandenem, der Wunsch nach Wachstum und Entwicklung, dann erste technologische Gehversuche, kleine Rückschläge und neue Wege. Die erste „Allianz der Mutigen“ bringt dann erste echte Erfolge, aus denen schnell Erfolgsroutinen werden und jeder fragt sich, wie man bis dahin eigentlich ohne all das jemals auskommen konnte. Und am Ende siegt mal wieder die „Gier nach Neuem“, die Neugier! Der Programmatic-Run hat also vor Monaten begonnen und mag sich von außen betrachtet nach Marathon anfühlen, de facto ist es längst ein Sprint.
ADZINE: Letztlich geht es den meisten Werbetreibenden um Reichweite. Wollen die hiesigen Advertiser Radio überhaupt programmatisch buchen oder müssen die zu ihrem Glück gezwungen werden?
Poelmann: Die Dominanz von GAFA hat einen zentralen Effekt: hohe Standardisierungen in den Prozessen, gelernte Abläufe und Zielparameter, klare Wirkungserwartungen im Advertising. Für Programmatic Audio fehlten bisher lediglich Vertrauen und Zutrauen in die digitale Planungs- und Steuerungslogik und die technologische Plattform, die das ermöglicht. Jetzt, da für alle Advertiser das richtige Placement und die richtige Audience programmatisch-konvergent herstellbar sind und echte Kampagneneffekte messbar entstehen, muss bald niemand mehr gezwungen werden.
Programmatisches Inventar findet man mittlerweile überall. Nun aber auch die riesigen, linear erzeugten Audiozielgruppen und -reichweiten programmatisch anzusteuern, katapultiert Radio in eine ganz neue Position im Marketingmix. Ob als Verlängerung von TV-Kampagnen und als Ergänzung zu DOOH oder solitär als starker Aktivierungskanal mit dem besten Inventar und TKP für die Kampagne.
ADZINE: Wie sieht eine moderne Audiokampagne in euren Augen also aus? Welche Bausteine gehören dazu?
Poelmann: Das zu entscheiden und zu entwickeln überlassen wir den Profis links und rechts unserer Plattform! Aireal ist trotz aller Radiogenetik weder Vermarkter noch Planer oder Agentur. Wir sind die technologische Brücke zwischen zwei Welten, die einander brauchen und voneinander unternehmerisch profitieren.
Gleichwohl, und das ergibt sich allein schon aus dem durch Programmatic deutlich besseren Zugang zu Audioinventar, kann eine moderne Audiokampagne viel besser mit anderen Gattungen integriert und orchestriert werden. Die moderne Audiokampagne findet also – wieder – im Einklang mit den bereits durchautomatisierten Medienkanälen statt. Sie ist flexibel, schnell justiert und kann punktgenau dort eingesetzt werden, wo sie benötigt wird – ohne ewig langen Vorlauf oder komplizierte, von anderen Kanälen abgekoppelte Buchungsprozesse.
ADZINE: Was wünschst du dir vom Markt?
Poelmann: Etwas mehr Gelassenheit und Vertrauen, mehr Vorfreude und Hunger auf Erfolg – und weniger Reden, mehr Machen.
ADZINE: Danke für das Interview, Jan!
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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