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Googles Meridian: Kostenlose Messung oder teures Glücksspiel?

Peter Kiefer, 24. März 2025
Bild:  Leon-Pascal Jc – Unsplash

Open Source und kostenlos – Googles Meridian klingt nach einer Revolution in der Marketingeffektivitätsmessung. Doch wer glaubt, nun umfassend Aufschluss über die Wirkung seiner digitalen Kampagnen zu erlangen, dürfte enttäuscht werden. Warum Meridian mehr Casino als neutrale Messung ist – und worauf Marketer beim Einsatz von Meridian achten sollten.

Kürzlich veröffentlichte Google mit Meridian sein eigenes Open-Source Marketing Mix Model (MMM). Damit setzt sich ein Trend in der Techbranche fort, den wir schon länger sehen. Denn auch Meta launchte sein MMM vor einiger Zeit. Brand-Lift- und Sales-Lift-Studien direkt vom Anbieter gibt es schon seit Ewigkeiten – nun also auch kostenlose MMMs. Frei nutzbare Tools zur Messung von Marketingeffektivität, Transparenz und bessere Entscheidungsgrundlagen für Marketer – klingt nach einer Revolution, oder etwa nicht? Wer sich allerdings ein wenig mit Marketing und Statistik auskennt, weiß: Ein MMM ist kein Spielzeug, sondern ein hochkomplexes Instrument. Und genau deshalb liegt der Teufel im Detail.

Lücken im Tracking

MMM ist das, was all die hyperventilierenden Performance-Marketer in den letzten 20 Jahren ignoriert haben. Statt sich auf Cookie-gebundene Attribution und digitale „Last Click“-Märchen zu verlassen, setzt MMM auf statistische Modelle wie multivariate Regressionen, um herauszufinden, welche Marketingmaßnahmen wirklich zum Umsatz beitragen.

Dass Google jetzt hier aktiv wird, ist kein Zufall. Die digitale Werbewelt steht unter massivem Druck: Datenschutzbestimmungen, Ad-Blocker und das Ende der Drittanbieter-Cookies machen es schwerer, Werbung so lückenlos zu tracken, wie es die großen Plattformen gerne hätten. Und damit fällt auch eine der großen Verkaufsargumente für digitale Channels weg: Die letzten Dekaden waren davon geprägt, dass digitale Plattformen versprachen, die Wirkung von Werbung lückenlos messbar zu machen. Nun besteht – aus Sicht von Google – die Gefahr, dass digitale Kommunikation plötzlich auf klassische Media-Metriken – wie Reichweite oder TKPs – reduziert und daran bemessen wird. Gegenüber Print mag die Reichweite von online massiv höher sein. Im Vergleich zu Out-of-Home aber eher nicht. Das hat zur Folge, dass sich Google jetzt mit anderen Playern messen muss, aber ohne die vorher vorhandenen Vorteile der genauen und lückenlosen Messbarkeit. Entsprechend wird MMM als Heilsbringer gehandelt – allerdings verbunden mit der entscheidenden Frage: Kann Google überhaupt neutral sein?

Neutralität verspricht zumindest Google selbst. Allerdings gibt es daran erhebliche Zweifel. Denn wer Google bittet, die Effektivität von Werbekanälen zu messen, fragt im Grunde einen Casino-Besitzer, ob das Glücksspiel eine lohnende Investition ist.

Die Illusion der Unabhängigkeit

Tatsächlich können Marketer bei Meridian ihre eigenen Daten importieren und die Plattform für alle Kanäle nutzen – nicht nur für Google Ads, Youtube oder Search. Klingt gut. Aber sind wir ehrlich: Datenhoheit bleibt eine Illusion. Selbst wenn Google keinen direkten Zugriff auf alle Daten hat, fehlen auf einige Fragen die Antworten: Welche Standards setzt Google? Welche Benchmarks werden genutzt? Und welche Art von „Beratung“ bietet Google seinen Nutzern an? Spannenderweise geben die Pressemitteilungen von Google bereits einen Vorgeschmack auf die Neutralität: Darin wird explizit darauf hingewiesen, dass nun endlich digitale Kanäle in den Modellen nicht mehr unterbewertet seien. Eine interessante Formulierung von einer Plattform, die digitale Werbeplätze verkauft und ein Marketing Mix Model anbietet, das objektiv die Werbeeffektivität und -effizienz messen möchte.

Hinzu kommt, dass MMMs die unangenehme Eigenschaft aufweisen, kurzfristige, einfach messbare Effekte zu bevorzugen. Search Ads und YouTube-Werbung sind gut trackbar und wirken kurzfristig. Markenaufbau durch TV, PR oder Sponsoring? Schwierig. Google spielt sich hier in die eigenen Karten. Außerdem ist – wie bei jedem MMM auch – bei Meridian die Datenqualität entscheidend. Und die ist nun einmal nur so gut wie die Daten, die es verarbeitet. Wer sich blind auf Google verlässt, wird früher oder später in einer Datensackgasse landen, in der das eigene Modell nur noch bestätigt, was Google ohnehin predigt: mehr digitale Werbung auf Google.

Google hat mit Meridian einen großen Schritt gemacht. In einer Branche, die sich oft blind auf Black-Box-Attributionsmodelle verlässt, ist ein offenes Modell grundsätzlich begrüßenswert. Aber Offenheit ist nicht gleich Unabhängigkeit.

Wer MMMs sinnvoll nutzen will, braucht eine saubere Datenstrategie, ein Verständnis für Statistik und vor allem eines: Unabhängigkeit vom Anbieter. Schließlich schlachtet niemand die Kuh, die ihm Milch gibt.

Die besten MMMs kommen von unabhängigen Anbietern. Diese Firmen haben kein Interesse daran, Werbebudgets in eine bestimmte Richtung zu lenken. Sie werden dafür bezahlt, um valide Modelle zu bauen – und nicht, um Google-Kampagnen zu pushen.

Ein Werkzeug, kein Wundermittel

Ist Meridian nutzlos? Nein. Ist es gefährlich? Vielleicht. Marketer sollten Meridian testen. Sie sollten aber auch eines nicht vergessen: Ein kostenloses MMM von Google ist wie ein gratis Gin-Tonic in einem Casino – verlockend, aber nicht ohne Hintergedanken.

Die goldene Regel bleibt: Wer sein Marketing nicht messen kann, verliert. Wer es nur mit Google misst, verliert möglicherweise schnell noch mehr. Die Lösung? Unabhängige Modelle, erfahrene Analysten und die Fähigkeit, Statistik nicht mit Magie zu verwechseln.

Bild Peter Kiefer Über den Autor/die Autorin:

Peter Kiefer ist Managing Partner der Strategieberatung PUNCH.

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