Das Ringen um die Vermarktung auf dem Big Screen
Anton Priebe, 4. März 2025
Der Fernseher vereint heute diverse Welten auf seinem Bildschirm. Über Satellit, Kabel oder Internet kommt ein komplexes Angebot für die Nutzer:innen zustande, dessen Vermarktung sich noch komplexer gestaltet. Das Werbeökosystem, das hinter der Mattscheibe operiert, besteht aus vielen unterschiedlichen Parteien, wobei alte und neue Vermarktungsstrukturen aufeinanderprallen. Technologische Fortschritte verändern die traditionellen Werbeansätze, während die fragmentierte Connected-TV-Landschaft weitere Herausforderungen mit sich bringt. Michael Möller ist CTO des TV-Vermarkters Visoon, einem Joint Venture von Axel Springer und Paramount, das sich um alle TV- und TV-nahen Inhalte sowie die Video-Inhalte der beiden Häuser kümmert. Im Interview erklärt Möller, was hinter den Werbedisziplinen Programmatic TV (PTV), Connected TV (CTV) sowie Addressable TV (ATV) steckt und erläutert, inwiefern die Welten auf dem Big Screen harmonisiert werden können, um es den Werbetreibenden möglichst einfach zu machen.

ADZINE: Michael, der Big Screen kann heute über diverse Wege angesteuert werden. Magst du unserer Leserschaft eingangs die Unterschiede zwischen Programmatic TV (PTV), Connected TV (CTV) und Addressable TV (ATV) aufzeigen, so wie ihr die Begriffe verwendet, am besten am konkreten Beispiel?
Michael Möller: Wir haben beim Big-Screen zwei relevante Unterscheidungen: Zum einen das klassische TV-Signal, welches in der Regel über Satelliten oder Kabel empfangbar ist. Hier können wir sowohl ATV (auf Basis der HBB TV-Technologie) als auch Programmatic TV ansteuern.
Auf der anderen Seite haben wir die digitale Signalisierung über einen Internetanschluss, bei der kein Kabel oder Satellitenanschluss benötigt wird. Diesen Bereich bezeichnet man in der Regel als CTV und hier befinden wir uns meistens in der App-Umgebung bei Anbietern wie beispielsweise Pluto TV oder der Welt App aus unserem Portfolio.
Die Verschmelzung der beiden Welten schreitet immer mehr voran und wir gehen davon aus, dass wir in zwei bis drei Jahren auch keine strategischen oder budgetären Unterscheidungen mehr zwischen den einzelnen Disziplinen vorfinden werden, sondern dass wir dann von einer übergreifenden Big-Screen-Ansprache reden werden.
ADZINE: Bei ATV denke ich in erster Linie an Banner, an Switch-In-Formate, die sich um den Bildschirm legen. Da ihr TV-nahe Inventare vermarktet, gehe ich davon aus, dass es sich bei euch tatsächlich um Spots handelt?
Möller: Exakt. Die klassischen HbbTV- oder ATV-Display-Formate stehen gar nicht mehr so stark im Fokus wie früher. Bei dem Addressable-TV-Spot innerhalb des linearen Werbeblocks haben wir die größte Nachfrage aus dem Markt.
ADZINE: Wo siehst du die Stärken und Schwächen der drei Disziplinen ATV, PTV und CTV?
Möller: PTV hat die Stärke der TV-Reichweite, also den One-to-Many-Ansatz. ATV ermöglicht eine punktuelle und regionale Ausspielung im TV-Umfeld. Nach wie vor ist klassisches TV der Kanal, über den sich am schnellsten eine Nettoreichweite aufbauen lässt. Auf der anderen Seite haben wir natürlich aber auch im PTV oder im ATV mit der HbbTV-Technologie die Möglichkeit, TV zu digitalisieren – das bedeutet, in Form von Daten abbildbar zu machen. Wir lernen so viel mehr über das Nutzungsverhalten der Endverbraucher. So lassen sich TV-Zielgruppen genau aussteuern und nicht nur targetieren, sondern auch in eine One-to-One-Kommunikation verwandeln.
PTV ermöglicht hingegen den programmatischen Einkauf von linearen TV-Inventaren. Dadurch wird dem Markt in Echtzeit die Möglichkeit geboten, TV-Kampagnen zu planen, zu buchen, zu optimieren und auszusteuern, unabhängig von Vorlaufzeiten oder Schließzeiten. Dies ermöglicht mehr Variation und Flexibilität für Agenturen und Kunden und mehr Dynamik innerhalb der TV-Einkaufswelt.
CTV bietet eine Ergänzung zu bestehenden TV-Kampagnen, um zusätzliche Reichweiten zu generieren. Ehrlicherweise ist das aber kein Selbstgänger. Wenn das Streamingangebot zu sehr dem linearen Angebot ähnelt, dann ist die Wahrscheinlichkeit, über inkrementelle Reichweiten große Sprünge zu vollziehen, überschaubar.
ADZINE: Wo wandern bei euch die meisten Budgets der Werbetreibenden hin?
Möller: Wir machen nach wie vor die größten Umsätze im klassischen TV-Bereich. Wir sehen aber, dass der Bereich ATV und vor allem CTV rasant wächst und sind froh in allen Big-Screen-Disziplinen breit aufgestellt zu sein.
ADZINE: Welche Baustellen beobachtest du aktuell auf dem Big Screen?
Möller: Fragmentierung und fehlende Standards sind aktuell die größten Baustellen, die wir im Big-Screen-Bereich vorfinden. Wobei dies eher den CTV,- als den ATV-Bereich betrifft. Die Fragmentierung in Form von Content, User-Ownership und vor allem fehlende Zielgruppen-Messmöglichkeiten stellen den Markt vor Herausforderungen.
In der CTV-Welt prallen unterschiedliche Welten aufeinander. Im PTV- und ATV-Bereich haben wir den Sender, der von einem Vermarktungshaus betreut wird, das die sogenannten Wegerechte regelt. In CTV liegt der Content aber auf verschiedenen Plattformen und die Inventare können entsprechend unterschiedlich eingekauft werden – auch bei diversen Vermarktungsinstanzen. Das stiftet Verwirrung im Markt. Daher brauchen wir Standards beim Einkauf, um es den Agenturen so einfach wie möglich zu machen. In dem Zusammenhang müssen wir auch über die Übergabe von Plattform-Daten sprechen.
ADZINE: Die Fragmentierung ist vielschichtig und wird noch komplexer, wenn weitere Marktpartner wie die Anbieter des Betriebssystems ins Spiel kommen. Die wollen auch einen Share an der Vermarktung haben. Wer vermarktet eigentlich was, ist in CTV eine komplizierte Frage.
Möller: Wir würden uns an manchen Stellen auch eine einfachere Welt wünschen, aber es ist sehr komplex. Content-Distributoren wie Axel Springer und Paramount nutzen nicht nur eigene Plattformen, sondern auch externe Partnerschaften. Dadurch gibt es mindestens zwei Instanzen, die Inventar vermarkten wollen: der Content-Owner und die Plattform. Wer welche Anteile vermarktet, ist Verhandlungssache. Das führt dazu, dass zwei Vermarktungshäuser dasselbe Inventar anbieten – mit nicht klar definierten Zugriffsrechten.
Die zentrale Frage: Wem gehören die Nutzer? Der Plattform, weil sie den Zugriff ermöglicht, oder dem Content-Owner, weil sein Inhalt genutzt wird? Diese Frage muss der Markt standardisieren, um Einkaufswege transparent zu machen und die Fragmentierung einzudämmen. Im klassischen TV ist das klar geregelt: ein Signal, ein Vermarktungshaus, klare Wegrechte – was Standards und Transparenz erleichtert.
ADZINE: Damit am Ende alle Inventare auf dem Big Screen übergreifend eingekauft werden können, muss sich der gesamte Markt öffnen. Insbesondere die Broadcaster haben jedoch Probleme damit. Was könnte die Marktteilnehmer davon überzeugen, näher zusammenzurücken?
Möller: Ich würde diese Aussage nicht pauschalisieren. Ich kann nur für Visoon und die TV-Sender der Häuser Axel Springer – wie Welt und N24 Doku – sowie Paramount – wie Comedy Central, MTV und Nickelodeon – sprechen. Wir sehen eine sehr große Bereitschaft von den Sendern gemeinsam marktgerechte und marktadäquate Lösungen anzubieten. Wir verfolgen einen agnostischen programmatischen Ansatz, der es uns und unseren Sendern ermöglicht, die Sender-Inventare für TV, ATV, CTV und PTV aus einer Hand anzubieten.
Diesen Ansatz haben wir von Anfang an verfolgt. Wir waren die ersten, die Addressable TV programmatisch ins offene Internet gehoben haben. Das heißt, wir haben sowohl mit Xandr, Pubmatic, Adform, The Trade Desk und vielen anderen zusammengearbeitet.
ADZINE: Im Werbemarkt dominieren in den meisten anderen Disziplinen die großen US-Plattformen. Muss man den Big Screen vor dem US-Einfluss schützen? Braucht der Markt Protektionismus? Oder ist es dafür sogar schon zu spät?
Möller: Meiner Meinung nach ist der TV-Bereich und auch der Big-Screen-Bereich als Ganzes insgesamt noch eine der letzten Disziplinen, auf denen der Einfluss der US-Plattformen überschaubar ist. Dementsprechend sind die bisherigen Abhängigkeiten aktuell noch nicht so stark.
Die US-Plattformen sind ja per se nicht die Bösewichte im Markt. Sie haben vielleicht manche Sachen frühzeitiger erkannt und Lösungen dafür geschaffen. Diese technologischen Lösungen haben dem Markt in dem Moment auch geholfen. Aber daraus ist natürlich eine gewisse Abhängigkeit entstanden, weil Standardisierung stattgefunden hat.
Ich denke, dass wir einige Versuche sehen werden, die nicht nur von US-Unternehmen, sondern auch von den Geräte-Herstellern selbst unternommen werden, um die technologische Basis zu definieren. Dies sehe ich vor allem für die Operating-Systeme und TV-Gerätehersteller. Beide dürfen nicht zu Gatekeepern werden.
Grundsätzlich ist es immer schwierig für einen Markt, wenn Disziplinen nicht standardisiert sind und somit Möglichkeiten von Gatekeepern ausgenutzt werden können. Daher sind wir als Markt sehr gut beraten, wenn wir präventiv Standards schaffen, die Unabhängigkeit und Transparenz ermöglichen. Messbarkeit ist für alle Disziplinen nicht nur wünschenswert, sondern unabdingbar.
ADZINE: Danke für das Interview, Michael!
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