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PROGRAMMATIC

Das „Open Internet“ ist tot! Lang lebe das „Open Internet“!

Richard Tuschkany, 26. März 2025
Bild: Carlos N. Cuatzo Meza – Unsplash

Zugegeben, die Headline ist reißerisch und überspitzt und dank einiger rühmlicher Adtech-Ausnahmen wie Google, Amazon oder Adform auch nicht ganz richtig. Viele „Open Internet“-Prediger geben sich deutlich weltoffener, korrekter und auch diversifizierter als sie dann tatsächlich sind. Gerne versteckt man sich in seinem „Walled Garden“, der mit ein paar hübschen Hecken und Buzzword-Graffitis verschönert ist, um nicht mehr so bedrohlich und einschränkend zu wirken. Doch können dort unbemerkt wieder die eigenen Gesetze umgesetzt werden.

Aber gerade die programmatische Online-Werbewelt braucht einen freien, fairen und transparenten Markt – das Open Internet eben. Doch wie offen und transparent ist es wirklich, wenn Werbetreibende Inventare über irreführende oder gar falsch deklarierte Pfade beziehen, ohne davon zu wissen?

Ich erlebe regelmäßig Situationen, in denen ich mich frage, ob die Branche ihre eigenen Transparenzversprechen tatsächlich erfüllt. In den vergangenen Monaten haben wir mehrfach festgestellt, dass angeblich direkte Lieferwege längst nicht immer das sind, was sie vorgeben zu sein. Dieses Problem betrifft nicht nur Advertiser, sondern auch Publisher, die sich auf eine faire und nachvollziehbare Vermarktung ihrer Inventare verlassen.

Diskrepanzen zwischen Ads.txt und Sellers.json

Zu den wichtigsten Instrumenten der Branche gehören die Initiativen Ads.txt (seitens der Publisher) und Sellers.json (seitens der Supply-Side-Plattformen oder Vermarkter). Diese sollen Klarheit darüber schaffen, welcher Partner direkt zum programmatischen Verkauf autorisiert ist und wer lediglich als Reseller fungiert. Doch in der Praxis kommt es häufig vor, dass Reseller-Beziehungen fälschlicherweise als „DIRECT“ ausgewiesen werden. Besonders kritisch wird es, wenn Demand-Side-Plattformen (DSP) nicht konsequent prüfen, ob die korrespondierenden Einträge in den Ads.txt mit den Sellers.json-Einträgen übereinstimmen – und falsch deklarierte Inventare einkaufen. Die Folge sind undurchsichtige und falsch bewertete Lieferketten, in denen Advertiser kaum nachvollziehen können, wohin ihr Budget tatsächlich fließt.

Warum falsche Deklarationen so gefährlich sind

Falsche Klassifizierungen im digitalen Werbemarkt sind keineswegs nur ein technisches Randproblem. Sie können:

  • Zusätzliche Kosten für Advertiser erzeugen, da versteckte Zwischenhändler Margen aufschlagen.
  • Brand-Safety-Risiken erhöhen, weil nicht klar ist, auf welchen Seiten Anzeigen wirklich ausgespielt werden.
  • Reporting und Optimierung erschweren, da ungenaue Lieferwege die Erfolgsmessung verfälschen.
  • Den gerne überstrapazierten Begriff „Supply-Path-Optimierung“ ad absurdum führen und wissentlich oder unwissentlich völlig aushebeln.

Wer glaubt, direkt beim Publisher einzukaufen, kann intransparente Reseller-Ketten finanzieren – zum Nachteil aller, die sich einen fairen und offenen Markt wünschen.

Die zentrale Rolle der DSPs: Hüter der Transparenz?

Gerade DSPs tragen hier eine besondere Verantwortung, denn sie kontrollieren den Auktionsausgang und damit einen entscheidenden Teil der Wertschöpfungskette. Es ist deren Aufgabe zu erkennen, ob es sich um falsche Deklarationen handelt, oder gar Ad Fraud eingekauft wird, und sie müssen dafür Sorge tragen, dass diese Inventare nicht gehandelt werden. Beobachtungen zeigen, dass es immer wieder lückenhafte oder unzureichende Prüfmechanismen gibt. Wenn Sellers.json-Files nicht mit den Ads.txt-Einträgen abgeglichen werden, bleiben intransparente oder bewusste Falschauszeichnungen unentdeckt – und das untergräbt das gesamte Transparenzversprechen der Branche.

Was sich ändern muss

  1. Publisher müssen ihre Ads.txt-Einträge regelmäßig aktualisieren und klar sowie ehrlich deklarieren, welcher Partner tatsächlich autorisiert ist und in welcher Form Inventare verkauft werden dürfen.
  2. SSPs müssen Sellers.json transparent pflegen, um widersprüchlichen oder irreführenden Einträge entgegenzuwirken
  3. DSPs sind in der Pflicht, falsche Deklarationen zu erkennen und konsequent zu blockieren, statt sie stillschweigend zu tolerieren oder gar aus strategischen Gründen zu fördern.
  4. Advertiser sollten sich stärker dafür interessieren, wie ihre Kampagnen ausgeliefert werden, und auf eindeutige Transparenzstandards bestehen.

Fazit

Unsere Recherchen zeigen klar: Die meisten Prozesse laufen korrekt und transparent ab, doch es existieren ebenso Fälle, in denen Theorie und Praxis weit auseinanderdriften. Wenn sich alle Marktteilnehmer wirklich einig sind, dass Transparenz das A und O des programmatischen Werbemarktes ist, darf man bei falschen Deklarationen und respektlosem Umgang mit etablierten Standards nicht wegsehen.

Das Open Internet ist unverzichtbar für eine vielfältige Medienlandschaft und offenen Meinungsaustausch – ein Raum, der vor weiterer Monopolisierung schützt und verhindert, dass bereits übermächtige Plattformen das gesamte digitale Ökosystem dominieren. Damit diese Vorteile jedoch voll zur Geltung kommen, müssen Advertiser davor bewahrt werden, intransparente Inventarpfade zu finanzieren. Alle Beteiligten müssen bereit sein, die geltenden Regeln nicht nur zu propagieren, sondern auch zu befolgen. Nur so bleibt das Open Internet ein Marktplatz, in dem Werbetreibende tatsächlich das bekommen, wofür sie bezahlen – und in dem Transparenz mehr ist als ein leeres Versprechen.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Richard Tuschkany Über den Autor/die Autorin:

Richard Tuschkany ist Gründer und CEO von ConnectAd, einer europäischen Supply-Side Platform mit besonderem Fokus auf Transparenz, Qualität und Effizienz im programmatischen Werbemarkt. Richard verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung im Bereich Digital Advertising und ist erfolgreicher Serial-Entrepreneur.

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