Wie Grüüün den “verkrusteten” Strommarkt aufmischen will
Sandra Goetz, 19. Februar 2025
Der deutsche Strommarkt ist hart umkämpft: Über 1.000 Anbieter konkurrieren um Kunden und Kundinnen, doch am Ende kommt der Strom für alle aus der gleichen Steckdose. Wie also kann man sich differenzieren? Grüüün setzt auf eine Kombination aus nachhaltigem Strom, Preisgarantie und einer unkonventionellen Marketingstrategie. Wir haben mit Thorsten Schliesche, Geschäftsführer von Grüüün, über seine Vision, die Marke und die Herausforderungen im digitalen Energiemarkt gesprochen. Dabei wird klar: Der Start war eine Achterbahnfahrt.
ADZINE: Thorsten, dein beruflicher Weg ist spannend: von Chemie über digitale Innovationen bei T-Online bis hin zur Expansion von Napster in Europa. Wie bist du schließlich in die Energiebranche gekommen?
Thorsten Schliesche: Tatsächlich habe ich meine Karriere als Chemie-Ingenieur begonnen, aber schnell gemerkt, dass mich die digitale Welt mehr reizt. Und das heißt: Fünf Jahre lang habe ich bei T-Online neue Geschäftsmodelle entwickelt, darunter Musicload, einen der ersten digitalen Musikvertriebe. 2005 wechselte ich zu Napster/Rhapsody, wo ich zwölf Jahre lang das Europa-Geschäft aufbaute und zuletzt im US-Vorstand tätig war. Danach machte ich mich selbstständig und beriet Unternehmen wie Apple, Sony Music und Hochtief. In dieser Zeit kam ein alter Weggefährte auf mich zu – er arbeitete an nachhaltigen Energiekonzepten und suchte jemanden mit Digital-Know-how. Unsere Gespräche waren spannend, und so führte mein Weg schließlich zu Münch Energie und Grüüün.
ADZINE: Seit wann bist du offiziell bei Grüüün?
Schliesche: Ich bin seit Juni 2024 offiziell als Geschäftsführer dabei, aber bereits ein gutes halbes Jahr vorher habe ich hinter den Kulissen mitgearbeitet. In diesen zwölf Monaten haben wir eine wahre Achterbahnfahrt erlebt – von der ersten Idee eines Werksverkaufs für Strom über die Strategieentwicklung bis hin zum Launch. Besonders spannend war, dass wir drei Monate vor dem Start nochmal einen kompletten Strategiewechsel hinsichtlich unseres Markenauftritts gemacht haben. Das war intensiv, aber rückblickend die absolut richtige Entscheidung.
ADZINE: Grüüün tritt als neue Strommarke mit einer klaren Mission an. Was unterscheidet euch von anderen Anbietern? Und wie seid ihr auf den Namen gekommen?
Schliesche: Unser Name ist ein klares Statement gegen Greenwashing. Während viele Unternehmen behaupten, „grün“ zu sein, sind wir grüüün – und können es beweisen. Unser Ansatz ist grundlegend anders: Wir verkaufen Strom direkt vom Erzeuger an den Endkunden – ohne Zwischenhändler. Unser Mutterunternehmen, Münch Energie, betreibt große Solarparks und Batteriespeicher, wodurch wir den Strom günstiger anbieten können. Unser Ziel ist eine nachhaltige, langfristig stabile und transparente Energieversorgung – mit einer Preisgarantie von zehn Jahren. Ein solches Modell gibt es in der Branche sonst nicht.
ADZINE: Wer steckt eigentlich hinter Münch Energie?
Schliesche: Münch Energie ist ein echter Pionier der Energiewende. Das Unternehmen wurde aus einer simplen Idee heraus gegründet: Landwirte suchten eine zusätzliche Einnahmequelle – also baute man auf ungenutzten bayerischen Feldern Solaranlagen. Daraus ist in den letzten 20 Jahren einer der größten dezentralen Energieerzeuger in Deutschland entstanden. Heute betreibt Münch Energie Solarparks und Batteriespeicher, die Strom für 1,5 Millionen Menschen liefern – Tendenz steigend. Unser Modell ist quasi ein Werksverkauf: Wir verkaufen den Strom direkt an unsere Kunden und Kundinnen, ohne Zwischenhändler und teure Umwege.
ADZINE: Eure Marke ist auffällig, laut, fast rebellisch. Was steckt hinter der Strategie?
Schliesche: Wir haben bewusst einen anderen Weg gewählt. Der Energiemarkt ist verkrustet und wenig emotional – wir wollen das aufbrechen. Wir finden: Grüüün ist eine Mischung aus Harley-Davidson und Volvo und das heißt rebellisch, unkonventionell, aber trotzdem sicher. Unsere Kampagnen mit den lauten Tierbildern und der Botschaft „Rette mehr als nur dein Geld“ sind genau darauf ausgelegt. Jeder Kunde kann für sich definieren, was „mehr“ bedeutet: Für die einen ist es Klimaschutz, für andere finanzielle Sicherheit.
ADZINE: Ihr setzt stark auf digitales Marketing. Welche Kanäle sind für euch zentral?
Schliesche: Wir kombinieren eine AI-gestützte Performance-Kampagne mit Awareness-Elementen. Dabei nutzen wir Google Ads, Social Media, Influencer-Kooperationen und digitale Newsletter. Der Schlüssel ist eine kluge Kombination aus klassischen Werbeplatzierungen, Youtube Pre-Rolls, starkem Social-Media-Targeting und Influencern.
ADZINE: Bitte? Gibt es etwa schon Influencer für Strom-Marketing?
Schliesche: (lacht) Nein, „Strom-Influencer“ habe ich bislang noch nicht entdeckt. Aber falls es jemanden gibt, der Steckdosen-Reviews oder „Unboxing von Solarmodulen“ macht – bitte melden! Ich bin gespannt! Im Ernst: Wir arbeiten mit Do-It-Yourself- und Nachhaltigkeits-Influencern, weil sich ihre Zielgruppen stark mit dem Thema nachhaltige Energie überschneiden.
ADZINE: Energie ist ein politisches Thema. In den USA sehen wir eine zunehmende Ablehnung von Klimaschutzmaßnahmen, die USA unter Trump sind erneut aus dem Pariser Klimaabkommen ausgetreten. Ist das auch in Deutschland eine Herausforderung?
Schliesche: In Europa gibt es eine grundlegend andere Haltung, aber leider wird die Debatte oft ideologisch geführt. Dabei wird vergessen, dass nachhaltige Energie nicht nur eine ökologische, sondern auch eine wirtschaftlich vernünftige Entscheidung ist. Solar- und Windenergie sind die günstigsten Energiequellen und machen uns unabhängig von fossilen Brennstoffen und internationalen Märkten. Ich muss kein Öl, Gas oder Uran importieren – Wind und Sonne gehören niemandem. Das sichert uns nicht nur stabile Preise, sondern auch geopolitische Unabhängigkeit
Deutschland hat hier eine historische Chance: Wenn wir klug investieren, können wir technologisch führend werden – von Batteriespeichern über KI-gestütztes Energiemanagement bis hin zur Netzoptimierung. Das ist mehr als Klimaschutz, das ist ein Innovationsschub für die gesamte Wirtschaft.
ADZINE: Danke für das Gespräch, Thorsten, und viel Erfolg!