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Milliarden-Deals und menschlicher Impact – Was Übernahmen prägt

Sandra Goetz, 10. Februar 2025
Bild: Жанна Грабчак – Adobe Stock Bild: Жанна Грабчак – Adobe Stock

Smaato, Appnexus, Rubicon Project, Teads … you name it. Der Kauf und Verkauf von Unternehmen prägen die digitale Wirtschaft und spiegeln die unaufhaltsame Dynamik der Tech-Branche wider. Doch während solche Deals als notwendige Schritte für Marktkonsolidierung und Innovationsförderung betrachtet werden, bleiben die eigentlichen Herausforderungen oft im Verborgenen: kulturelle Integration, Mitarbeiterbindung und die Balance zwischen Technologie und menschlichem Know-how.

Die digitale Wirtschaft lebt von großen Visionen: Gründer:innen entwickeln Technologien, die Prozesse optimieren und Unternehmen zukunftsfähig machen. Doch jenseits der Euphorie zwischen Startup-Mythos, Disruption und dem Versprechen von Reichtum bleibt ein altbekanntes Problem bestehen, das tief in der technikgetriebenen Branche verwurzelt ist. Bereits vor einem Jahrzehnt brachte die Süddeutsche Zeitung das Thema auf den Punkt: Die Integration von Teams nach Übernahmen gestaltet sich extrem schwierig – und daran hat sich bis heute wenig geändert.

Große Übernahmen und ihre Herausforderungen

Im vergangenen Jahr standen mehrere Übernahmen im Rampenlicht: Omnicom und die Interpublic Group fusionierten zur größten Agenturgruppe der Welt, während die Publicis Groupe mit der Übernahme des Creator-Networks Influential ihre Position im Influencer-Marketing stärkte. Auch Outbrain gab im August die Übernahme von Teads bekannt – eine Transaktion im Wert von rund einer Milliarde US-Dollar. Am 31. Januar 2025 erhielt der Deal grünes Licht von der britischen Wettbewerbsbehörde, und wenige Tage später folgte die offizielle Bestätigung des Abschlusses. Eine Überraschung brachte die Fusion mit sich: Der Name Outbrain verschwindet, das neue Schwergewicht wird künftig unter der Marke Teads weitergeführt.

Diese Entwicklungen zeigen, dass Übernahmen nicht nur ein Mittel zur Expansion und Marktführerschaft sind, sondern auch tiefgreifende Veränderungen in Unternehmen mit sich bringen. Neben der finanziellen Dimension stellt sich immer wieder die Frage, wie gut die Integration gelingt – sowohl auf struktureller als auch auf personeller Ebene.

Ein weiteres Beispiel verdeutlicht, wie entscheidend der strategische und kulturelle Faktor bei solchen Deals ist: Am 10. Dezember 2024 verkündete Mirakl den Kauf von Adspert. Adspert-CEO Stephanie Richter, eine der wenigen weiblichen Gründer:innen in der nach wie vor männlich geprägten Tech-Branche, sprach auf Linkedin von einem „neuen Kapitel“, das nun beginne. Die begleitende Pressemitteilung hob hervor, wie die Verbindung von Mirakls Retail-Media-Expertise mit Adsperts KI-gesteuerter Advertising-Technologie neue Möglichkeiten für Marken, Händler und Reseller eröffnen wird. Der Deal soll Mirakls Position als führender Innovator im Bereich Retail Media und KI für E-Commerce weiter festigen.

Stephanie Richter, Adspert

Auf Nachfrage von Adzine, wie sich die Übernahme auf das Team auswirkt und ob größere Veränderungen geplant seien, antwortete Stephanie Richter: „Unser 25-köpfiges Team bleibt selbstverständlich bestehen. Sie sind schließlich maßgeblich dafür verantwortlich, dass Adspert heute so erfolgreich ist.“ Richter betonte die hohe Wertschätzung für ihre Mitarbeiter:innen, die die technologische Basis des Unternehmens geschaffen haben, übrigens auch in ihrem Linkedin-Post. Gleichzeitig sieht sie in der Zusammenarbeit mit Mirakl einen entscheidenden Schritt nach vorn: „Wir starten ein neues Kapitel und freuen uns darauf, gemeinsam mit einem globalen Marktführer Lösungen zu entwickeln, die den Bedarf nach Retail Media weltweit abdecken.“

Persönliche Geschichten: Der menschliche Faktor bei Übernahmen

Marion Kölling, ausgebildete Fachinformatikerin mit einem zusätzlichen Diplom im Online-Marketing, hat Übernahmen und deren Herausforderungen selbst miterlebt. Nach der Übernahme von Xandr durch Microsoft im Dezember 2021 für rund eine Milliarde US-Dollar übernahm sie als Head of Tech Sales Europe eine Führungsrolle bei Microsoft Advertising. Diese Erfahrung gab ihr einen tiefen Einblick in die Dynamik von Unternehmensintegration und deren Auswirkungen auf Mitarbeiter:innen.

Bild: Marion Kölling Marion Kölling, Beraterin

Was von außen wie ein bedeutender Karriereschritt wirkte – eine gehobene Position in einem der wertvollsten Software-Unternehmen der Welt –, erfüllte Marion Kölling nicht. Kölling, die bereits vor ihrer Zeit bei Microsoft und Xandr Karriere gemacht hatte und unter anderem bei Dentsu als Managing Partner sowie bei Groupm tätig war, entschied sich gegen einen sicheren Job mit stabilem Einkommen und für die Selbstständigkeit. Einer der Gründe für diesen Entschluss war der herausfordernde Übergang innerhalb des Microsoft-Konzerns, den sie rückblickend als „schwierig“ beschreibt. „Die Kommunikation war unklar, und ich wusste oft nicht, wo ich stehe“, erklärt Kölling.

Nach Monaten des Überlegens zog sie im Jahr 2024 einen radikalen Schlussstrich. Unterstützung fand Kölling in einem Coaching-Prozess, der ihr half, ihre Ziele klarer zu definieren. Ihr Linkedin-Post zu diesem Schritt erhielt fast 300 Likes und zeigte, wie sehr ihre Geschichte Anklang fand. „Warum tue ich das? Weil es sich richtig anfühlt“, schrieb sie wenige Wochen nach der Dmexco 2024. Heute berät Marion Kölling erfolgreich Unternehmen in den Bereichen IT-Strategie, Digitalisierung und digitales Marketing, darunter Scope3 und Cynapsis. „Ich wollte nicht einfach weitermachen, sondern Projekte finden, die mich fordern und bei denen ich wirklich etwas bewirken kann“, sagt sie mit einem zufriedenen Lächeln.

Übernahmen aus Sicht eines Branchenpioniers

Riccardo Zacconi, Co-Founder vom europäischen Unicorn King.com und bis 2019 CEO des Unternehmens, bringt eine weitere Perspektive ein. King.com wurde 2003 gegründet und durch das Spiel Candy Crush weltweit bekannt. Im Jahr 2015 wurde das Unternehmen für 5,9 Milliarden US-Dollar von Activision Blizzard übernommen.

Bild: King.com Riccardo Zacconi, King.com

Für Zacconi sind Übernahmen immer eine Gratwanderung: „Es ist wichtig, vor der Übernahme eine klare Strategie zu haben. Der Erfolg von Candy Crush auf mobilen Plattformen zeigt, was möglich ist, wenn man den Leuten Vertrauen und Freiraum gibt.“ Er verweist auch auf ein anderes Beispiel: „Bei der Übernahme von Evernote wurde das gesamte Team entlassen. Es ging nur um die Technologie. Das zeigt, dass es keine Universallösung gibt – jede Übernahme bringt ihre eigenen Herausforderungen mit sich.“

Während Evernote nach seiner Übernahme durch Bending Spoons 2023 vor allem auf die Integration seiner Technologie reduziert wurde, gilt IBM als Paradebeispiel für das sogenannte „Bluewashing“. Hierbei werden Technologien akquiriert, kurzfristig ins Branding integriert und später abgestoßen. Solche Prozesse schaffen Unsicherheit bei den Mitarbeitenden und werfen grundlegende Fragen zur langfristigen Strategie des Unternehmens auf.

Einblick in die M&A-Dynamik 2024

Laut M&A Review wurden im Jahr 2024 weltweit 733 M&A-Transaktionen im Bereich Software und Technologie durchgeführt – das niedrigste Niveau seit 2020. Dennoch stieg das Transaktionsvolumen in den ersten drei Quartalen 2024 auf 125,1 Milliarden Euro, ein Anstieg von 22,6 Prozent gegenüber dem Vorjahr.

Auch hierzu ein Beispiel: Accenture illustriert, wie dynamisch der Übernahmemarkt agiert. Mit 46 Akquisitionen weltweit im Jahr 2024, darunter sechs in Deutschland, setzt der Konzern auf gezielte Zukäufe. Diese reichen von kleineren Unternehmen wie Mindcurv bis hin zum Lieferkettenspezialisten Camelot, der allein 700 neue Mitarbeiter:innen brachte. Christina Raab, Accenture-Deutschlandchefin, erklärte in einem Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung während des Weltwirtschaftsforums in Davos: „Zukäufe sind ein fester Bestandteil unseres Geschäfts geworden.“ Die Strategie: Entlang der Wertschöpfungskette in Wachstumsbereiche wie KI und Datenanalytik investieren.

Kommunikation: Der unterschätzte Erfolgsfaktor

Es scheint, als habe Adspert einen guten Plan für die Integration unter Mirakl – ob das wirklich gelingt, wird erst klar, wenn die Integration vollständig umgesetzt ist. Der Ansatz, das Team unverändert zu lassen, zeigt zumindest eine klare Botschaft, nämlich für die Mitarbeiter:innen, die für die Technologie verantwortlich sind, einzustehen. Bei Mega-Deals wie Omnicom und Interpublic hingegen stellt sich die Situation anders dar: Abteilungen, Positionen und Büros existieren vielfach redundant – häufig in denselben Ländern. Auch externe Dienstleister sind eng in die alten Strukturen eingebunden. Hier sind Konflikte und Unsicherheiten fast vorprogrammiert.

Unternehmen in der Technologie- und Mediabranche arbeiten täglich mit verschiedensten Formen der Kommunikation und sollten in diesen Prozessen eigentlich Standards setzen. Doch in der Praxis zeigt sich, dass diese Kernkompetenz oft vernachlässigt wird. Unternehmen, die Kommunikation nicht ernst nehmen, riskieren auf lange Sicht nicht nur den Verlust von Vertrauen, sondern auch ihrer Innovationsfähigkeit. Denn aufgrund mangelnder Kommunikation verlassen innovative Mitarbeiter:innen häufig das Unternehmen oder aber sie werden in neue Positionen gedrängt, in denen sie keine Innovation mehr leisten können.

Gleichzeitig wird oft unterschätzt, wie viel wertvolles Know-how mit den Mitarbeiter:innen verloren geht, die in Folge von Übernahmen oder Umstrukturierungen das Unternehmen verlassen. Viele tun dies leise, ohne große öffentliche Aufmerksamkeit – nicht aber alle. Marion Kölling gehört zu den wenigen, die sich offen dazu äußern. Sowohl in Interviews als auch auf Social Media spricht sie darüber, warum Übernahmen nicht nur strategische, sondern vor allem menschliche Herausforderungen sind – eine Debatte, die viele in der Branche lieber vermeiden.

Zusammenfassend lässt sich sagen: Ob aus einer Übernahme ein Erfolg wird, entscheidet sich nicht nur an Zahlen, sondern daran, wie gut ein Unternehmen die Balance zwischen Menschen, Märkten und Strategien hält. Und das bleibt eine Kunst, die längst nicht alle beherrschen. Das zeigt auch das aktuelle Ringen um Tiktok, dessen mögliche Veräußerung in den USA die nächste große Bewährungsprobe der Branche sein könnte.

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