Werbevermarktungstrends – ein entscheidendes Jahr für die Sell-Side
Karsten Zunke, 16. Januar 2025Verstärkter Einsatz von First-Party-Daten und ID-Lösungen, kuratierte Mediapakete auf der Sell-Side, von Datenschutzanforderungen getriebene serverseitige Infrastrukturen und eine engere Zusammenarbeit untereinander: Die digitale Werbevermarktung ist im Umbruch. Wir haben uns in der Adtech-Branche umgehört, welche Herausforderungen und Chancen auf die Vermarkter und ihre Technologie in diesem Jahr warten.
Alle Entwicklungen aus dem Jahr 2024 deuten bereits darauf hin: Marktveränderungen und Anpassungen der Werbetechnologien werden die Vermarktung in diesem Jahr besonders stark prägen. „2025 wird der große Machtkampf der Technologie-Giganten um die Vorherrschaft in den digitalen Medien im Fokus stehen“, prognostiziert Swen Büttner, Managing Director von MGID Deutschland. Walled Gardens wie Google, Apple und Meta werden nach Einschätzung des Experten alles daransetzen, sich noch stärker abzuschotten und so ihre Kontrolle über das eigene Ökosystem auszubauen. Gleichzeitig werden Regulierungsbehörden in Europa und in den USA versuchen, mit entsprechenden Klagen und Untersuchungen dagegen vorzugehen. „Es könnte eine echte Disruption anstehen, wenn es tatsächlich zu einer Aufspaltung des Browser- und Werbegeschäfts von Google kommt. Dies hätte zudem nochmals größere Auswirkungen als das Cookie-Aus“, sagt Büttner.
Chancen für das Open Web
Was aber wird im Endeffekt entscheidend sein, um wettbewerbsfähig zu bleiben? Für Büttner ist der Fall klar: First-Party-Daten. „Publisher müssen sich damit beschäftigen, ihre Daten clever zu sammeln, aufzubereiten und gewinnbringend zu nutzen.“ Auf diese Weise könnten sie engere Verbindungen zu ihren Partnern auf Advertiser-Seite aufbauen.
Robert Herrmann, Chief Revenue Officer (CRO) bei Traffective und Flap.One, sieht es ähnlich: „Datenschutz bleibt im Fokus, Technologien zur Nutzung von First- und Zero-Party-Daten werden essenziell und ID-Lösungen wie die Utiq-ID sind nicht mehr wegzudenken.“ Gleichzeitig würden Publisher-Kooperationen neue Netzwerke schaffen, die das Open Web noch attraktiver und wettbewerbsfähiger machen. Herrmann geht davon aus, dass sich in 2025 die Werbeetats wieder deutlich in Richtung Open Web verschieben werden. „In Zeiten von Fake News wird es für Werbetreibende immer wichtiger, in seriösen Umfeldern zu investieren“, ist der Experte überzeugt. Damit könnte er durchaus richtig liegen, denn das Open Web bietet eine vertrauenswürdige Alternative zu den großen Tech-Plattformen, insbesondere mit Blick auf die Brand Safety.
Bessere Adtech, bessere Vermarktung
Seitens der Marktforschung sind die Aussichten ebenfalls positiv. Die stolze Summe von knapp 1,5 Milliarden Euro wurde in Deutschland mit Display Advertising allein im zweiten Quartal 2024 umgesetzt. Laut OVK-Report ist Display Advertising in Deutschland weiter auf Wachstumskurs und dürfte 2024 die Vorjahresmarke von 5,5 Milliarden Euro geknackt haben (allerdings einschließlich der großen Plattformen). Einen wesentlichen Anteil daran hat die immer ausgereiftere Technik, die es erlaubt, Werbeflächen effizienter und besser zu vermarkten.
„Der digitale Medienverkauf im Jahr 2025 wird von technologischen Innovationen, regulatorischen Veränderungen und sich wandelnden Marktdynamiken geprägt sein“, ist Petri Kokkonen, CEO und Partner von Relevant Digital, überzeugt. Seiner Einschätzung nach könnte sich die Rolle der großen Tech-Unternehmen erheblich verändern, wenn Firmen wie Google ihre Dienste umstrukturieren, „was möglicherweise den Wettbewerb im Bereich Adtech verstärken würde“, sagt Kokkonen.
Tech-Stack muss flexibler werden
Nicht nur der Markt, auch die Rahmenbedingungen ändern sich momentan kräftig und werden die Vermarktung in diesem Jahr beeinflussen: Nachhaltigkeit und Transparenz gewinnen weiter an Bedeutung, Retail-Media-Plattformen eröffnen Publishern neue Umsatzmöglichkeiten. Auch Connected TV dürfte laut Einschätzung vieler Experten wichtiger werden, da es durch Reichweite, präzises Targeting und exklusive Inventare im Streaming-Markt zusätzliche Vorteile bietet. Und nicht zu vergessen: die omnipräsente Künstliche Intelligenz, die sich anschickt, immer mehr Arbeitsabläufe zu revolutionieren, indem sie das Kampagnenmanagement, die kreative Optimierung und die Preisstrategien verbessert.
Wer im Umfeld dieser dynamischen Entwicklungen weiterhin erfolgreich Inventar vermarkten möchte, muss jetzt reagieren. Laut Kokkonen erfordern diese Veränderungen einen fortschrittlicheren und anpassungsfähigeren Tech-Stack. „Eine serverseitige Infrastruktur wird unerlässlich sein, um die Effizienz zu verbessern und die Abläufe zu straffen“, so der Experte. Darüber hinaus werden aus seiner Sicht Datenmanagement-Funktionen entscheidend sein, um KI-gesteuerte Arbeitsabläufe zu unterstützen und rechtzeitige sowie präzise Daten für die Optimierung bereitzustellen.
Kuratierte Inventare und optimiertes Deal-Management
Dirk von Borstel, Geschäftsführer Virtual Minds, erwartet in diesem Zusammenhang eine weitere Aufwertung der Angebotsseite und der Rolle von SSPs in der programmatischen Wertschöpfungskette. Dies ist ein Prozess, der in seinem Unternehmen bereits vor fünf Jahren eingeleitet wurde und mit kuratierten Inventaren und einem optimierten Deal-Management die klassischen Silos im programmatischen Ökosystem aufbricht.
Diese Entwicklung bekommt jetzt eine neue Dynamik, da First-Party-Daten von Publishern eine neue und gewichtigere Rolle in der Kampagnenaussteuerung spielen. „SSPs werden neue Funktionen entwickeln und neue Aufgaben übernehmen und den programmatischen Prozess damit in Gänze deutlich agiler gestalten“, sagt von Borstel.
Effizienz und alternative Identifier im Fokus
Auch Maximilian Weigel, Managing Director DACH & CEE bei Equativ geht davon aus, dass 2025 ein entscheidendes Jahr für die Sell-Side wird, in dem Programmatic Advertising zentral bleibt, sich jedoch der Fokus hin zu mehr Effizienz verschiebt – unter anderem durch KI-gestützte Optimierungen und den gezielten Einsatz von First-Party-Daten. Parallel rechnet Weigel damit, dass das bereits tobende Rennen zwischen DSPs und SSPs um die stärkere Nähe zu Publishern und Konsumenten in diesem Jahr rasant weitergeht. „SSPs scheinen hier im Vorteil, da sie etablierte Beziehungen zu Publishern besser nutzen können“, so der Experte.
Lucas Schärf, Chief Revenue Officer bei Connectad, sieht SSPs ebenfalls in einer besonderen Rolle. Um unabhängig von der Problematik sinkender Cookie-Sync-Raten zu agieren und gleichzeitig ein präzises Targeting zu gewährleisten, ist seiner Einschätzung zufolge die Entwicklung und Integration von Identifiern abseits der Cookies essenziell. „SSPs werden hier eine zentrale Rolle spielen, um nahtlose Integration und standardisierte Lösungen bereitzustellen, die Werbetreibenden und Publishern gleichermaßen nutzen“, sagt Schärf, der in diesem Zusammenhang auch erwartet, dass die Supply Path Optimization (SPO) in diesem Jahr noch stärker in den Fokus rücken wird. „2025 steht ganz klar im Zeichen der Effizienz – sei es durch reduzierte Pfade, klarere Partnerstrukturen oder höhere Qualität der angebotenen Inventare.“
An KI führt kein Weg vorbei
Wer über Effizienz in der Vermarktung spricht, kommt an dem Effektivitäts- und Effizienztool schlechthin nicht vorbei: Künstliche Intelligenz. „Advanced AI und Machine Learning werden nicht nur komplexe Prozesse in Bereichen wie dem Yield Management automatisieren und neue Steuerungsmöglichkeiten eröffnen, sondern zudem eine hochwertige Echtzeit-Optimierung sämtlicher relevanter KPI ermöglichen“, ist von Borstel überzeugt.
Auch um zukünftiges Nutzer:innenverhalten und Präferenzen vorherzusagen, werden KI und maschinelles Lernen verstärkt herangezogen. Mit den gewonnenen Erkenntnissen können Marketingkampagnen individuell zugeschnitten werden. „Um das Potenzial von Cookieless-Methoden weiter auszuschöpfen, wird in 2025 das Thema AI-driven Predictive Marketing in seinen ganzen Facetten eine bedeutende Rolle spielen“, ist Carsten Sander, Chief Technology Officer bei BCN, überzeugt. Mithilfe großer Datenmengen kann eine KI die passende Zielgruppe, den optimalen Zeitpunkt und die ideale Häufigkeit von Anzeigen ermitteln – ganz ohne Third-Party-Cookies. Als konkretes Beispiel verweist Sander auf die LLMs, die beim Contextual Targeting zum Einsatz kommen, um Seiteninhalte in Echtzeit zu analysieren und so die bestmögliche Platzierung zu ermitteln.
Mehr Dynamik, mehr Effizienz, mehr Wachstum
Somit wird in unserem kleinen Branchenecho deutlich: Technologische Innovationen wie KI, First-Party-Daten und cookielose Identifier werden die Vermarktung in diesem Jahr ebenso beeinflussen, wie das Wachstum von Retail Media und Connected TV oder die Fähigkeit, auf Marktdynamiken zu reagieren. Ein Schlüsselthema bleiben die eigenen Daten, da sie Publishern helfen, sich vom Wettbewerb abzuheben und tiefere Beziehungen zu Werbepartnern aufzubauen.
Die gute Nachricht für alle Publisher und Vermarkter: Der Markt für Display Advertising wächst weiter, wobei neue Technologien und datengetriebene Ansätze die Effizienz steigern. Aber Achtung: Der Fokus wird auch auf nachhaltigen und transparenten Praktiken liegen, wobei alternative Identifier-Lösungen helfen, Messbarkeit zu gewährleisten. Insgesamt wird 2025 ein Jahr dynamischer Veränderungen und vieler Herausforderungen – ein Jahr, in dem sich der Wettbewerb wahrscheinlich intensiviert und sich die Sell-Side agiler und noch datenorientierter präsentieren wird.
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