Adzine Top-Stories per Newsletter
ONLINE VERMARKTUNG

Open Web vs. Walled Gardens – Wo bleibt der kollektive Ruck?

Anton Priebe, 29. Januar 2025
Bild: chaiyon021 – Adobe Stock Bild: chaiyon021 – Adobe Stock

Der Konkurrenzkampf zwischen dem Open Web und den Plattformgiganten in den Mediaplänen der Advertiser ist kein Novum. Die Walled Gardens bieten den Werbetreibenden eine bequeme Werbealternative zu den Publishern und punkten mit ihrer großen Reichweite, Adressierbarkeit und reichhaltigen Userdaten. Im offenen Netz hingegen hapert es derzeit an Effizienz und Effektivität, erklärt Robert Herrmann im Interview. Der Programmatic-Experte ist CRO von Traffective, einem Publisher-Netzwerk mit eigener SSP-Technologie, sowie der Traffective-Tochter Flap.One, einem Programmatic Sales House. Dabei ist die Infrastruktur, um vergleichbare Kampagnen im offenen Netz zu realisieren, durchaus vorhanden. Die Lösung für datengestützte, adressierbare Reichweiten existiert bereits. Herrmann ist überzeugt: Es braucht einen kollektiven Ruck in der hiesigen Medienlandschaft und Kooperationswillen, damit das Open Web wieder florieren kann.

Bild: Traffective Robert Herrmann, Traffective/Flap.One

ADZINE: Hallo Robert, mit Chrome als dominierenden Browser entsteht im Open Web ein blinder Fleck für Advertiser, auch wenn Google in Sachen Cookie-Aus inzwischen zurückgerudert hat. Wie haben die deutschen Werbetreibenden deiner Erfahrung nach darauf reagiert?

Robert Herrmann: Für die großen Werbetreibenden ist das Open Web kein blinder Fleck auf der Vermarktungslandkarte, aber für einige ist es offensichtlich kein Hotspot mehr, wenn man die Entwicklung der Werbeausgaben auf den Tech-Plattformen beobachtet. Selbst mit Third-Party-Cookies war und ist das Open Web nicht so effektiv und effizient wie die großen Tech-Plattformen.

Dafür haben die Publisher viel zu lange in traditionellen Vermarktungsstrukturen und teuren I/O-Geschäften verharrt. Ich verstehe die Werbetreibenden, die einfacher und günstiger auf die größere Reichweite und das granulare Targeting von Plattformen setzen als auf das hochwertige Werbeumfeld seriöser Publisher, bei denen der Aufwand – zum Beispiel die Vielzahl der Ansprechpartner – und der Nutzen in keinem guten Verhältnis stehen. Hier bieten die Tech-Plattformen einfach noch die bessere Alternative.

Fazit: Der weiterhin perspektivisch mögliche Schwund der Third-Party-Cookies würde für große Advertiser wenig ändern, bietet aber eine Chance für Publisher aus dem Open Web.

ADZINE: Was müssen Open-Web-Publisher jetzt tun, um sich gegen die Walled Gardens und ihre gut funktionierenden Datenstrukturen zu behaupten?

Herrmann: Das Effizienzproblem kann meiner Meinung nach gelöst werden, wenn man offen für Partnerschaften oder technologische Kooperationen innerhalb der Vermarktungshäuser ist. RTL Deutschland und Prosiebensat.1 mache es gerade für den TV-Bereich mit ihrem Projekt “Ad-Tech Made in Europe” vor, um auf die zunehmende Bedeutung von Automatisierung und Programmatic eine Lösung zu haben.

Am Beispiel von Utiq lässt sich das auch für das Open Web gut skizzieren: Die Utiq-Lösung ist eine reale Möglichkeit für Werbetreibende, skalierbare Reichweite mit First-Party-Daten – ein bisheriger USP der Tech-Plattformen – zu haben und so zu einer echten Alternative zu werden. Viele reichweitenstarke Publisher haben sich bereits an Utiq angebunden, sodass die Nutzerreichweite mit der Utiq-ID konkurrenzfähig zu den Plattformen wird.

Wir als Traffective und unser Sales-House Flap1 setzen uns für einen kooperativen Ansatz ein, bei dem alle Utiq-Publisher einen Partner für die Vermarktung der Utiq-Reichweite ins Leben rufen. Die programmatische Infrastruktur ermöglicht genau solche Kooperationen, da jeder Vermarkter die Kontrolle über sein Inventar behält und diese Kooperation gleichzeitig dem Advertiser oder der Mediaagentur einen Ansprechpartner bietet, der Zugriff auf die maximale adressierbare Utiq-Reichweite hat und somit eine effiziente Abstimmung mit dem Werbemarkt gewährleisten kann.

Ich bin mir hundertprozentig sicher, dass, wenn wir das Problem der Effektivität und Effizienz gelöst haben, ein Teil der Budgets, die heute in die Tech-Plattformen investiert werden, wieder zu den Medien zurückfließen, die für die Recherche und die Erstellung der Inhalte verantwortlich sind. Wichtig ist hierbei, dass die Planung und Aussteuerung von Utiq-Kampagnen künftig einen programmatischen Ansatz verfolgt, sodass die Ausspielung der Ads unabhängig von der Domain der Utiq-Publisher ist und sich voll auf den User konzentriert.

ADZINE: Eines der größten Anliegen der Werbetreibenden ist die Steuerung von Reichweite und Frequenz. Utiq verspricht, dafür die Lösung zu liefern. Kann das funktionieren?

Herrmann: Die Lösung liegt im kooperativen Ansatz zwischen den Vermarktungshäusern, denn rein technologisch können wir mit der Utiq-ID Reach & Frequency liefern, aber jedes Vermarktungshaus für sich ist zu klein, um dem Werbemarkt eine adäquate Reichweite zu bieten. Durch die Kooperation in der Vermarktung der Utiq-Reichweite ist die Reichweite groß genug, um mit den Tech-Plattformen konkurrieren zu können.

Das i-Tüpfelchen wäre, wenn on top ein Ansatz gefunden werden würde, der die Reichweitenmessung von der AGMA und der AGF zu einer Markt-Media-Studie zusammenführt, denn dann könnten Lücken in der Zielgruppenansprache aus der Bewegtbildkampagne mit der Reichweite des Open Web geschlossen werden. Diese Anpassungen zur Lösung von Effektivitäts- und Effizienzfragen werden den Markt in den nächsten Jahren vermutlich stark beschäftigen, inklusive des Themas einheitlicher Standards in der Media-Messung.

ADZINE: Ihr wart vor einem Jahr die ersten, die Utiq auf der Sell-Side zugänglich gemacht haben, für die Mopo und die Kreiszeitung. Wie weit seid ihr mit den Integrationen bei euren Publishern fortgeschritten?

Herrmann: Im Onboarding der relevanten Domains: sehr weit. Wirtschaftlich fehlt noch der letzte Schritt.

ADZINE: ...und der wäre?

Herrmann: Wie bereits erwähnt, entfalten ID-Lösungen erst dann ihre volle Wirkung, wenn sie nicht nur flächendeckend eingesetzt werden, sondern auch eine gemeinsame Vermarktungsstruktur existiert. Mit anderen Worten: Der Nutzen von Utiq wurde von Anfang an von der Industrie erkannt, aber es fehlt der letzte Schritt zu einem wirklich funktionierenden Szenario.

Wir hatten erwartet, dass in dieser Phase mehr Testbudgets fließen würden, aber dies ist aus verschiedenen Gründen noch nicht der Fall. Die derzeitige Zurückhaltung der Werbetreibenden muss ernst genommen werden und es bedarf weiterer Aufklärungsarbeit seitens der relevanten DSPs und Vermarkter. Wir sind bereit, gemeinsam mit ihnen für eine Lösung zu kämpfen.

ADZINE: Deutsche Advertiser scheinen sehr an den GAFA-Umfeldern zu hängen. Wie lassen sie sich überzeugen, sich mehr auf das für die gesunde Medienlandschaft so wichtige Open Web zu konzentrieren?

Herrmann: Natürlich könnte man zunächst ganz grundsätzlich argumentieren, dass ohne unabhängige und seriöse Berichterstattung im Open Web Demokratie nicht funktionieren wird und ohne demokratische Strukturen der freie Markt stirbt. Aber Wahrheiten sind teuer und deshalb müssen auch wirtschaftliche Strukturen geschaffen werden, mit denen das Open Web neben den Plattformen bestehen kann. Und da reichen keine kleinen Entwicklungsschritte, es muss sich wirklich etwas ändern.

Money follows eyeballs – das war so, das ist so und das wird so bleiben. Und um das Open Web attraktiv zu machen, braucht es große adressierbare Reichweiten inklusive hoher Besuchsfrequenzen zu attraktiven Preisen. Das alles wird nur gelingen, wenn ein kollektiver Ruck durch die deutsche und europäische Medienlandschaft geht.

ADZINE: Danke für das Interview, Robert!

Tech Finder Unternehmen im Artikel

EVENT-TIPP ADZINE Live - Programmatic & Retail Media am 13. Februar 2025, 11:00 Uhr - 12:30 Uhr

Welche Bedeutung haben programmatische Einkaufs- und Verkaufstechnologien für das Buying und Selling von Retail Media heute? Wie wertvoll sind Retailer-Daten für das Mediabuying (offsite) und wie verfügbar sind sie tatsächlich? Welche Kooperationen zur Verwendung von Retaildaten sind notwendig, welche rechtlichen Hürden sind zu nehmen und wie sieht die technische Realisierung des Einsatzes von Retaildaten im Mediabuying aus? Jetzt anmelden!

Events

Whitepaper