CTV-Werbung und die Rolle der KI bei Youtube
André Gärisch, 27. Januar 2025
Der Streamingmarkt befindet sich im Umbruch. Nahezu alle Anbieter haben inzwischen günstigere Zugänge mit Werbung eingerichtet und damit Alternativen zu den teureren abobasierten Modellen geschaffen. Die Verbraucher:innen in Deutschland nehmen das Angebot dankend an, wie aktuelle Zahlen abermals belegen. ADZINE spricht mit den Streamingdiensten in einer Artikelserie über ihre Werbevermarktungsstrategien. Diesmal gibt Dirk Bruns von Youtube spannende Einblicke. Der Advertising-Chef für Zentraleuropa erklärt, warum er Konkurrenzdenken ablehnt, wie Brand Safety in einem creatorgeprägten Umfeld sichergestellt werden kann und welche KI-gestützten Lösungen Youtube bietet.

ADZINE: Herr Bruns, wie ist 2024 in Bezug auf die Werbeumsätze für Youtube gelaufen?
Dirk Bruns: Wir sind mit den Nutzerzahlen und den Werbeerlösen sehr zufrieden. Besonders stark wächst Youtube Shorts – die Zahl der bei Youtube angemeldeten Nutzer in Deutschland ist hier im Jahresvergleich um 35 Prozent gestiegen. Gleichzeitig verzeichnen wir bei den CTV-Nutzern im fünften Jahr in Folge ein Wachstum. Was die globalen Netto-Werbeerlöse betrifft, haben wir 2024 erstmals die Marke von 50 Milliarden-US-Dollar geknackt.
ADZINE: Youtube kann auch in einer Premium-Version werbefrei und mit exklusiven Inhalten genutzt werden. Wie hoch sind hier die Umsätze?
Bruns: Im Februar 2024 haben wir weltweit die Marke von über 100 Millionen Nutzern bei Youtube Premium und Youtube Music überschritten. Mit dem werbefinanzierten Youtube erzielen wir jedoch eindeutig höhere Umsätze. Dennoch ist der Subscription-Bereich für einen Teil der Nutzer attraktiv, weswegen wir ihn weiter verbessern wollen.
ADZINE: Wer sind die Hauptkonkurrenten von Youtube, als Plattform für Long- und Short-Videos?
Bruns: Wir setzen auf partnerschaftliche Ansätze statt auf Konkurrenzdenken. Alle großen TV-Sender distribuieren ihren Content bei uns. Unsere in Deutschland im Sommer 2023 eingeführten Primetime-Channels bieten Inhalte zahlreicher Partner. Außerdem haben wir über unsere Werbetechnologie DV360 Streaming-Dienste wie Disney+, Sky und DAZN angeschlossen; kürzlich ist noch Joyn hinzugekommen, die längere Zeit nicht mit ihrem Werbeinventar bei uns vertreten waren. Und mit Netflix wird in Kürze ein weiterer prominenter Streamer auf unserer Plattform verfügbar sein.
ADZINE: Bei aller Kooperation ist es wichtig, einen eigenen USP im Werbemarkt definieren zu können.
Bruns: Unser USP liegt in unserer Reichweite, die wir durch zwei Faktoren schaffen. Erstens: Bei uns kann jeder zum Creator werden – wir geben jedem eine Stimme, um ein Millionenpublikum zu erreichen. Die Vielfalt an Content ist riesig. Zweitens sind wir ein Multi-Format-Anbieter. Youtube ist auf allen Endgeräten verfügbar und bietet sowohl Longform-, Short- als auch Live-Content. Nutzer können ihren gewünschten Content entsprechend flexibel konsumieren.
Für Werbetreibende heißt das: Wir decken alle Marketingziele ab, sei es eine große Reichweite für Produkt-Launches, tiefere Information für erklärungsbedürftige Produkte oder einen Sales-Push. Wir spielen für unsere Kunden über den gesamten Funnel hinweg Werbung auf Basis zahlreicher Signale maßgeschneidert aus – dabei spielen auch Suchanfragen bei Google und Interaktionsdaten mit anderen Google-Produkten eine entscheidende Rolle für die Personalisierung. Unser Ziel ist dabei stets, Nutzern Werbung anzuzeigen, die für sie relevant ist.
ADZINE: Gehen Sie gerne noch mehr ins Detail.
Bruns: Unsere Google AI findet zum Beispiel genau die Nutzer-Inhalt-Konstellation, bei der ein Spot vollständig angesehen wird – besonders wichtig für Unternehmen mit erklärungsbedürftigen Produkten. Mit dem Ziel der Bekanntheitssteigerung rückt die Reichweite in den Mittelpunkt, während bei Conversion-Kampagnen die Interaktionssteigerung der Nutzer eine große Rolle spielt. Mit unserem Kampagnentyp Demand Gen generieren Werbetreibende gezielt neue Nachfrage, wobei die Ausspielung Youtube, Youtube Shorts, Discover, Gmail und Googles Videopartner umfasst. Demand Gen nutzt zudem „Lookalike-Segmente“ – Gruppen von Nutzern, die bestehende Kunden in ihrem Online-Verhalten ähneln, etwa in ihren Interessen oder den von ihnen besuchten Websites. Durch die Ansprache dieser ähnlichen Nutzer erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass diese ebenfalls konvertieren.
ADZINE: Unterstützen Sie Ihre Kunden auch bei der Gestaltung von Werbung mit KI?
Bruns: Viele Kunden liefern ihre Werbung bereits in den passenden Formaten an. In allen anderen Fällen können unsere AI-Tools aber helfen. Die standardmäßig aktivierten Video-Optimierungen können beispielsweise ein Querformat in ein Hochformat umwandeln. Wir bieten aber auch Tools an, bei denen auf Basis eines Videos mithilfe von Google AI beliebig neue Videos in unterschiedlichen Längen und Formaten erstellt werden können. Dabei schneidet die AI relevante Elemente nicht einfach ab, sondern analysiert jeden Frame, erkennt Handlung und Text und ordnet die Inhalte passend neu an.
ADZINE: Wie gewährleisten Sie eine optimale Frequenzsteuerung der Werbung?
Bruns: Frequency Capping ist bei uns schon lange möglich. Zusätzlich können Kunden eine Target Frequency bestimmen: Sie legen dabei fest, wie oft ein User ihren Spot formatübergreifend sehen soll.
ADZINE: Bevorzugen Zuschauer bei Long-Videos längere Werbeblöcke oder häufigere einzelne Spots?
Bruns: Nutzer bevorzugen bei Inhalten im Langformat auf dem Fernseher längere Werbeblöcke. Konkret sehen sich laut unseren Daten 79 Prozent der Zuschauer lieber gruppierte Videowerbung an als einzelne Anzeigen, die über das Video verteilt sind. Innerhalb dieser Blöcke möchten sie aber die Möglichkeit haben, Werbung zu überspringen.
ADZINE: Zahlen Werbekunden den vollen Preis, wenn ihre Werbung übersprungen wird?
Bruns: Bis zu einer Spotlänge von 30 Sekunden zahlt der Werbekunde nichts, falls die Werbung übersprungen wird. Was übrigens interessant ist: Wenn die Werbung nicht übersprungen wird und sich der User aktiv dafür entscheidet, sie anzusehen, ist die Werbewirkung höher. Daraus erwachsen Targetingpotenziale, denn es besteht echtes Interesse an einem Thema.
ADZINE: Youtube schaltet neuerdings Werbung, wenn Zusehende ein Video pausieren. Was ist die Idee dahinter?
Bruns: Wir testen ständig neue Möglichkeiten, die Nutzerfreundlichkeit von Werbeanzeigen zu verbessern und Werbetreibenden gleichzeitig zu helfen, ihre Zielvorhaben zu erreichen. Die Pausenwerbung hat sich dabei als optimal für die User Experience herausgestellt: Die Werbung wird an einer Stelle herausgenommen, wo sie mehr stört, und nach dem Start der Pause eingefügt, wo sie weniger stört.
ADZINE: Werbetreibende können Umfragen vor Werbeblöcken schalten, etwa zur Markenerinnerung. Wie stark nutzen Ihre Kunden dieses Angebot?
Bruns: Diese Brand-Lift-Umfragen sind eine hervorragende Möglichkeit, den Kampagnenerfolg zu testen und A/B-Tests durchzuführen, etwa zwischen AI-gestützten und klassischen Kampagnen. Viele Unternehmen nutzen diese Möglichkeit und es beteiligen sich genügend User, um statistisch belastbare Ergebnisse zu erzielen – im Schnitt rund 10.000.
ADZINE: Kommen wir zum Content: Wie ist es Ihnen möglich, werbetreibenden Unternehmen einen Ausblick auf kommende Schwerpunkte zu geben? Schließlich haben Ihre Creator freie Hand.
Bruns: Wir haben ein spezialisiertes Team, das Trends in unserer Community identifiziert und einordnet. Den meisten Werbetreibenden geht es aber eher darum, über den gesamten Youtube-Content hinweg mit intelligentem Targeting ihre Zielgruppe zu erreichen.
ADZINE: Wie stellen Sie sicher, dass Ihr Content keine Grenzen überschreitet?
Bruns: Wir haben klare Regeln, die festlegen, was akzeptabel ist – Hassrede und Volksverhetzung gehören beispielsweise nicht dazu. Natürlich wird unter den 500 Stunden Content, die minütlich auf Youtube hochgeladen werden, hin und wieder auch solcher Content eingestellt. Die Herausforderung liegt darin, ihn schnell zu identifizieren. Hier kommt unsere AI ins Spiel: Sie filtert 96 Prozent der Videos heraus, die wir insgesamt entfernen, davon 60 Prozent noch bevor sie einen einzigen View erzielen konnten. Manchmal ist es eine Gratwanderung zwischen freier Meinungsäußerung und unzulässigem Content – hierfür haben wir Experten-Teams eingerichtet.
ADZINE: Binden Sie erfolgreiche Creator?
Bruns: Nein. Creator agieren gerne auf mehreren Plattformen, teilweise auch in anderen Bereichen wie dem klassischen Fernsehen. Die Zusammenarbeit ist daher offen – jeder Creator entscheidet selbst, auf welchen Plattformen er oder sie stattfinden möchte.
ADZINE: Zum Abschluss: Wie wollen Sie bei der Vermarktung und Aussteuerung von Werbung weiter vorankommen?
Bruns: Wir wollen mithilfe von AI das gesamte Youtube-Ökosystem weiter verbessern. Kürzlich haben wir mit ein AI-Tool gelauncht, mit dem Creator hochwertige Videos mit nur einem Textprompt erstellen können. Eine weitere Innovation ist unser Audio-Dubbing-Tool, das Inhalte in andere Sprachen übersetzt – mit der gleichen Stimme. Auch im Bereich Werbung werden wir mit hohem Tempo spannende AI-Lösungen für unsere Kunden entwickeln. Einerseits, damit sie ihre Creatives so wirkungsvoll wie möglich erstellen können. Andererseits, damit sie ihre Werbung präzise ausspielen und somit ihre Werbegelder effizient einsetzen können.
ADZINE: Danke für das Gespräch.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
EVENT-TIPP ADZINE Live - CTV & Video - Planung, Einkauf und Bewertung von Bewegtbildkampagnen am 10. April 2025, 11:00 Uhr - 12:30 Uhr
Wie können Advertiser die passenden On-Demand-Reichweiten identifizieren und planvoll einsetzen? Welche Messmethoden und Planzahlen sind verfügbar? Welche Performance-Indikatoren sollte man hinzuziehen? Eine weitere zentrale Frage ist zudem, wie man den Einkauf angeht. Jetzt anmelden!