Adzine Connect Video 2024: Werbekonzepte für die Kanalvielfalt
Anton Priebe, 3. Dezember 2024Auf der Adzine Connect Video Advertising, der Fachkonferenz für digitale Video- und CTV-Werbung, kamen auch in diesem Jahr Profis aus der Werbe- und Marketing-Industrie zusammen, um sich auszutauschen und voneinander zu lernen. Die Veranstaltung bot einen Rahmen, um über Angebot und Nachfrage sowie eingesetzte Technologien zu diskutieren, sich zu vernetzen und in den Masterclasses weiterzubilden. In den Sälen des Hamburger Astor Kinos verteilten sich 300 Teilnehmer:innen auf zwei Bühnen mit 40 Speaker:innen und stellten sich den großen Herausforderungen des Video Advertising. Adzine beleuchtet im Nachgang die wichtigsten Entwicklungen, die auf der Conference Stage zu beobachten waren, sowie die Lehren, die daraus zu ziehen sind.
KI erobert die Kreation
Der wohl ausschlaggebendste Faktor für den Erfolg einer Werbekampagne ist die Kreation – und die wird zurzeit auf Links gedreht. Die KI-Welle durchzieht sämtliche Industrien und macht auch vor Bewegtbild nicht halt. Für Max Lederer von Jung von Matt ist Generative AI “die disruptivste Kraft seit dem Internet”. Schon jetzt stehen wir bei 3 Milliarden Prompts jeden Monat, die in die wichtigsten AI-Modelle eingegeben (oder gesprochen) werden. Dies führt in den Augen der Agentur dazu, dass der Anteil an User Generated Content explodieren wird – und zwar an qualitativ hochwertigen Inhalten. Die Frage ist nur: Wie gelangen Marken in die User-generierten Inhalte?
Auch auf Unternehmensseite betragen die Produktionskosten für Assets dank Gen AI nur noch einen Bruchteil dessen, was anfällt, wenn Filmteams für ein Shooting rund um den Globus gesandt werden. Künstliche Intelligenz erstellt unzählige Varianten eines Werbemittels auf Knopfdruck. Das Agenturmodell muss Lederer zufolge daher infrage gestellt und neu erfunden werden.
Der Star: Connected TV
Einer der Stars des Bewegtbilds ist das Connected TV (CTV). Allein der Wegfall des Nebenkostenprivilegs ebnet den Weg für Millionen von Nutzer:innen. Der Marktforscher Gemius belegt in Gestalt von Ernest Kolek eine Entwicklung, die sich in den vergangenen Jahren bereits abzeichnete: die Verschiebung des linearen TV-Konsums ins Digitale. Samsung registriert ebenso einen kräftigen Zuwachs der CTV-Nutzung auf seinen 11 Millionen Geräten in Deutschland. Dabei legen insbesondere FAST-Channels ein rasantes Wachstum hin, sagt Sven Surges.
CTV ist jedoch nur kleiner Baustein der facettenreichen Videowerbewelt, bestehend aus klassischem Fernsehen, Online-Video auf Desktop und mobil, Social Media, Kino, Streaming in allen seinen Erscheinungsformen und sogar der digitalen Außenwerbung. Die Mediennutzung entfällt auf zunehmend mehr Geräte und Plattformen. Es gilt also, die Kampagnen entsprechend zu konzipieren. Paul Woelky vom Kreativkollektiv Odaline plant nur noch in Formaten vorab, um möglichst viele Assets für die unterschiedlichen Kanäle bereitzustellen. Eine fertige Kreation, die dann an Formate angepasst wird, funktioniert bei der Diversität der Kanäle schon lange nicht mehr.
Das Multi-Channel-Stückwerk
Angesichts der Kanalvielfalt fragen sich die Advertiser abseits der Kreation, wie sie ihre Zielgruppen flächendeckend erreichen können. Zwar ist die Reichweite des klassischen TV immer noch beachtlich, doch sie bröckelt und muss von den anderen Kanälen in den jeweiligen Zielgruppen aufgefangen werden. Mit der Lean-Back-Situation auf dem heimischen Sofa scheint CTV durchaus eine Ergänzung oder gar eine Alternative zu sein. So setzt der deutsche Handelsriese Otto für seine Multi-Channel-Strategie im ersten Schritt auf die Kombination aus TV mit Online-Video, CTV und die Plattform Youtube. Mithilfe der Ergänzungen zum klassischen Fernsehen möchte er inkrementelle Reichweite erzielen. Im zweiten Schritt wird mit Social Media und im dritten mit Digital-Out-of-Home aufgestockt, verrät Sandra Hass. Klassik und Digital wachsen verstärkt zusammen und werden vor allem auch auf Agenturseite einheitlich gedacht, verdeutlicht Clara Diehl von Hearts & Science. Allerdings ergibt sich mit Blick auf die Budgettöpfe der Marken in der Praxis oftmals noch ein ganz anderes Bild, weiß Matthias Münsterteicher von Welect.
Dass CTV durchaus eine handfeste Alternative für TV in jungen Zielgruppen sein kann – wenn auch verbunden mit deutlich größerem Aufwand –, demonstriert JOM mit einem reinen CTV-Case für die Provinzial-Versicherung. Sara Kristjansdottir und Volker Neumann zeigen sich zudem überrascht, wie gut die Kampagnen auf den Plattformen auf Markenwerte einzahlen. Auch Alberto Mellado Montoro von H&M unterstreicht diese Erkenntnis. Hingegen beweist ein Case von Unilever, den Sarah Ostkamp präsentiert, dass TV immer noch effizient breite Reichweite aufbauen kann, vor allem in Kombination mit Online-Video.
An der Digitalisierung der TV-Welt wollen natürlich auch die deutschen Broadcaster profitieren. Prosieben etwa steckt mitten im digitalen Transformationsprozess und stellt dabei seine CTV-Plattform Joyn ins Zentrum. Die lineare Reichweite soll letztlich mit der digitalen gebündelt und einheitlich programmatisch buchbar gemacht werden, erklärt Andreas Diwisch.
Das Measurement-Dilemma
Die Vielfalt der Kanäle führt unweigerlich zu einer weiteren Herausforderung bei der Planung und Messung von Videokampagnen. Denn die Bandbreite an verfügbaren Optionen und fehlende Standards machen den Advertisern das Leben an der Stelle schwer. Die Fragmentierung der Medienlandschaft spiegelt sich in einem entsprechend fragmentierten Markt der Messdienstleister wider. Übergreifendes Measurement wird zur Mammutaufgabe.
In dem Zuge arbeitet die AGF Videoforschung als einer unter vielen Playern daran, in die Silos der Plattformen zu gelangen, um nicht nur die Daten zu analysieren, die aus Walled Gardens wie Netflix oder Amazon heraus gereicht werden. “Der Markt braucht einen Cross-Media-Standard – und zwar nur einen”, sagt die Vorsitzende der Geschäftsführung Kerstin Niederauer-Kopf bestimmt. Ralf Hammerath vom TV-Spezialisten All Eyes On Screens weist ebenfalls darauf hin, dass es nicht Sinn der Sache ist, dass Werbebudgets munter weiter in Silos fließen, die sich nur selbst messen. Selbst ein Werbegigant wie Unilever kann nur versuchen, einen Mittelweg zwischen möglichst holistisch und kosteneffizient bei der Messung einzuschlagen. Auf der Bühne ist man sich jedoch einig – der Komplexität muss man sich letztlich stellen. Sabine Lipken von der Groupm betont aber, dass dies nur partnerschaftlich funktionieren kann.
Kontakt ist nicht gleich Kontakt
Bei der anschließenden Bewertung des gemessenen Kontakts spielen Format und Nutzungssituation eine entscheidende Rolle, weiß Thilo Swoboda von Effektkommunikation. Er ist sich sicher, dass der TKP pro gesehene Sekunde, den Mediaplaner:innen oft als Maßstab für ihre Kampagnen nehmen, in eine Sackgasse führt. Ein plakatives Beispiel: Der Kinospot wirkt natürlich ganz anders als ein Outstream-Banner am Rande des Mobile-Screens. Auch wenn sich ersterer sehr teuer und letzterer sehr günstig einkaufen lässt.
Der Fokus auf Zahlen hat inzwischen dazu geführt, dass jede Kampagne genau unter die Lupe genommen wird. “Es gibt keine Kampagne ohne KPI mehr, der erreicht werden muss – auch im Branding nicht”, konstatiert Paco Panconcelli von Channel Factory. Darüber hinaus sind reine Performance- oder Branding-Kampagnen eh eine aussterbende Art. Video soll am besten beides können.
Programmatic vs. I/O
Daneben stellt sich die Frage, nach welcher Methode Bewegtbild heute eingekauft werden sollte: klassisch per I/O oder programmatisch? Der Vermarkter Visoon zum Beispiel verkauft seine Inventare zu 30 Prozent direkt und zu 70 Prozent via Programmatic-Infrastruktur. I/O bietet noch immer eine Auslieferungsgarantie und lockt mit der Abwesenheit von Tech-Fees. Programmatic hingegen hat einen Vorteil bei der übergreifenden Zielgruppenansteuerung. Doch auch hier legt der fragmentierte Markt den Einkäufern und Einkäuferinnen Steine in den Weg. So nutzt eine Agentur wie die OMG vier verschiedene Demand-Side-Plattformen, um ihr Videoinventar programmatisch zu erwerben, verrät Nicolai Heiland. Addressable TV, Connected TV, Netflix und Amazon erfordern unterschiedliche Zugänge, obwohl Supply-Side-Plattformen wie beispielsweise Pubmatic emsig daran arbeiten, die CTV-Inventare zu bündeln. Das Frequency Capping gestaltet sich entsprechend schwierig.
“Wenn wir uns alle als Markt ein Stück weit öffnen, agnostischer denken, tun wir uns selbst einen Gefallen”, meint Michael Möller von Visoon. Nur liegt das Problem mit der Öffnung unter anderem darin begründet, dass die Streaming-Dienstleister versuchen, die TV-Budgets in ihre Richtung zu lenken. Dies versetzt die Broadcaster wiederum in Abwehrhaltung, weiß Ricarda Jebsen von der D-Force aus eigener Erfahrung. Pubmatics Leonhard Sauer glaubt dennoch an den Big Screen als gemeinsame Bühne für lineares TV, CTV, ATV und On-Demand-Content, mit Programmatic als technologischer Brücke. Heiland von der OMG ist optimistisch: “Die Gespräche sind gut. Sie finden nur nicht übergreifend statt”.
Demokratie in Gefahr?
Auf der Bühne der Adzine Connect Video geht es durchaus beizeiten politisch zu. Denn die Verlagerung des Medienkonsums hinein in die Plattformen birgt eine Gefahr für die Gesellschaft, erklärt Klaus-Peter Schulz von Die Mediaagenturen. Er ist neben Norman Wagner von Utiq einer der sieben Gründer der Initiative 18, einem Zusammenschluss aus Profis aus den Medien, dem Journalismus und der Forschung. Die Werbegelder, die dem globalen Trend hin zu den Plattformen folgen und die großen Konzerne bereichern, graben traditionellen News-Publishern das Wasser ab. Für klassische Verlage und Sender wird es in der Folge immer schwerer, sich zu refinanzieren.
Dabei sorgen sie mit ihren Inhalten für den kritischen, unabhängigen Journalismus, der für eine funktionierende Demokratie unbedingt nötig ist. Die globalen Plattformen mit ihren Bots hingegen bieten einen Nährboden für Fehlinformationen, Desinformationen und Hatespeech. Deshalb müssen die Werbebudgets verantwortungsvoll verteilt werden, meint Schulz. Ein großer Werbetreibender wie Beiersdorf etwa schließt News-Umfelder teilweise komplett aus, gesteht Melissa Manav. Unabhängige Qualitätsmessung auf den Plattformen könnte Transparenz schaffen, damit Advertiser den Wert der Publisher erkennen, denkt Goldbachs Alexander von Woikowsky. Das müsste der Markt jedoch einfordern. Solange aber das Management Boni verteilt, wenn mit einer Kampagne möglichst viele Ad Impressions erreicht werden, bucht man lieber günstige Bots, sagt Norman Wagner. Das Problem sitzt also tiefer und ist alles andere als trivial.
Die Initiative 18 sieht einen Lösungsweg darin, freie, nachhaltige und sichere Medien zum 18. Nachhaltigkeitsziel der Vereinten Nationen (SDG) zu machen. Der Claim: Freiheit braucht das ganze Bild. Dafür trommelt sie, so laut es geht.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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