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Das „Pay or Consent“-Modell wird zum Spielball der europäischen Datenschützer

Moritz Holzgraefe, 21. November 2024
Bild: Guillaume de Germain – Unsplash

Der europäische Datenschutzausschuss (EDSA) beschäftigt sich aktuell mit den sogenannten „Pay or Consent“-Modellen. Konkret geht es um eine entsprechende Guideline für den Gesamtmarkt – vom Start-up über Publisher bis hin zum großen Digitalkonzern. Anfang der Woche fand dazu ein digitales Stakeholder-Event statt. Die dort diskutierten Themen lassen tief blicken und legen ein bemerkenswertes Selbstverständnis der Datenschützer offen.

Unter welchen Voraussetzungen möchte ich relevante Inhalte konsumieren? Diese Frage müssen Nutzerinnen und Nutzer regelmäßig bei digitalen Diensten beantworten – von der Nachrichtenseite über Blogs und Foren bis hin zu Angeboten der Unterhaltungsindustrie. Immer häufiger kommt das zugrundeliegende „Pay or Consent“-Modell zum Einsatz. Es gewährt eine Auswahl zwischen einer entgeltfreien Option mit datenbasierter Werbung sowie einer kostenpflichtigen, dafür aber trackingfreien Alternative. Dabei erfüllt das Modell gleich zwei wichtige Funktionen. Einerseits bringt es Rechtssicherheit: Die deutsche Datenschutzkonferenz, weitere nationale Aufsichtsbehörden und auch der EuGH haben die grundsätzliche Zulässigkeit von „Pay or Consent“-Modellen bestätigt. Andererseits ermöglicht es eine reale Refinanzierung zahlreicher digitaler Angebote. Beides stellt der EDSA jetzt infrage und geht damit weit über seine Zuständigkeiten hinaus. Fünf Punkte verdeutlichen die Kritik der digitalen Wirtschaft:

Über die Grenzen der Zuständigkeit

Der EDSA hat für seine Guideline ein Diskussionspapier erstellt, in dem er gleich mehrere Themenkomplexe adressiert. Insbesondere will er „Pay or Consent“-Modelle um eine „dritte Option“ ergänzen. Ginge es nach den europäischen Datenschützern, soll diese dritte Option weder eine Datenverarbeitung noch ein monetäres Entgelt beinhalten. Außerdem schwingen sich die Behörden zu neuen Wettbewerbshütern auf, denn sie wollen zusätzlich bewerten, wie hoch der Preis für die Bezahloption sein darf. Mit beiden Punkten würden die europäischen Datenschützer ihre Zuständigkeiten überschreiten: Weder die DSGVO noch die E-Privacy-Richtlinie bieten eine Rechtsgrundlage für die Verpflichtung zu einer solchen dritten Option oder zu einer Preisregulierung. Daran ändert auch nichts, wenn sich ein großer Marktteilnehmer aufgrund drohender, erheblicher wettbewerbsrechtlicher Sanktionen diesem Unrecht zu beugen scheint.

Anhören statt austauschen

Das Interesse am Stakeholder-Event in dieser Woche war auf Basis der vorgezeichneten Themen groß. Über 200 Expertinnen und Experten nahmen digital teil. Auch wir als Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) und viele unserer Mitglieder brachten sich ein – auch und vor allem, um auf die zahlreichen Bedenken und erheblichen Auswirkungen hinzuweisen. Wer jedoch einen echten Austausch erwartet hatte, wurde herb enttäuscht. Die an der Guideline mitwirkenden nationalen Datenschutzaufsichtsbehörden moderierten zwar die fünf „Break Out Rooms“, riefen jedoch lediglich die Teilnehmer nacheinander auf, mahnten sie zur Kürze an und gingen nicht auf das Gesagte ein. Bei 40 Teilnehmern in jeder Gruppe blieb pro Thema schließlich kaum Zeit, tief in die Argumentation einzusteigen. Nach- oder Verständnisfragen stellten die Datenschützer keine. Auch bei der Zusammenfassung blieb offen, inwieweit alles verstanden wurde oder zur weiteren Diskussion mitgenommen wird. Für ein Thema von solcher Tragweite außergewöhnlich.

Gesamtwirtschaftliche Auswirkungen drohen

Bleibt der EDSA seinem avisierten Weg treu, gefährdet er mit der Guideline schlussendlich die Refinanzierung digitaler Dienste – vom Start-up über den Mittelständler bis hin zu den großen Digitalkonzernen. Leidtragende sind aber nicht nur sie, sondern auch die Werbetreibenden, das dazwischenliegende digitale Ökosystem und nicht zuletzt die Verbraucherinnen und Verbraucher: Ohne solide Refinanzierung drohen Inhalte und Dienste hinter Paywalls oder schlimmstenfalls ganz vom Markt zu verschwinden. Die Angebotsvielfalt wird eingeschränkt, mit entsprechenden Folgen für den demokratischen Diskurs. Auch gesamtwirtschaftlich wäre der Vorgang dramatisch: Marketingbudgets der Unternehmen würden nicht mehr ausreichen, um die gleiche Menge an relevanten Nutzern anzusprechen. Studien des Center for Data Innovation und der Network Advertising Initiative sehen zwei- bis dreimal höhere Budgets für Onlinewerbung als notwendige Folge, um ohne datengetriebene Werbung das gleiche Ergebnis zu erzielen. Digitale Werbung macht derzeit knapp 50 Prozent des Marketingbudgets deutscher Unternehmen aus – Tendenz stark steigend. Es handelt sich hier folglich um signifikante Kosten- und Umsatzeffekte für die Unternehmen mit wirtschaftsübergreifenden Auswirkungen.

„Pay or Consent“-Modelle sind nur eine von mehreren Refinanzierungsmöglichkeiten für digitale Dienste. Sie alle eint, dass sie den Grundgedanken des Internets hochhalten: Die Sicherstellung des Zugangs zu Angeboten und Inhalten bei gleichzeitiger Wahrung ihrer Refinanzierung. Doch seit Jahren gibt es Bestrebungen, genau diesen Grundgedanken grundsätzlich infrage zu stellen. „Frei zugängliche Angebote für jedermann“ (oder etwas pointierter formuliert; „Freibier für alle“) scheint das Leitmotiv all derjenigen zu sein, die mit den Grundprinzipien eines jeden Geschäftsmodells ganz prinzipiell fremdeln. Dass sie damit nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch die Informations- und Meinungsvielfalt gefährden, nehmen sie im besten Falle unwillkürlich, im schlimmsten Falle wissentlich in Kauf. Abzuwarten bleibt, ob die europäischen Datenschutzaufsichtsbehörden sich am Ende wirklich vor diesen aktivistischen Karren spannen lassen. Ähnliches gilt auch mit Blick auf die Preisdebatte. Erste Verantwortliche sehen die Bestrebungen genauso kritisch wie wir. Thomas Fuchs, Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit, sagte am Dienstag gegenüber dem SZ Dossier Digitalwende: „Wir als Datenschutzbehörden bestimmen keine Preise“. Zu Recht, denn es ist schlichtweg nicht ihre Aufgabe.

Keine reine Formsache

Eine weitere „Beteiligung“ für die Guideline zu „Pay or Consent“-Modellen ist vom EDSA übrigens nicht vorgesehen – auch dies lässt bereits für sich genommen aufhorchen. Den digitalen Diensten, den Werbetreibenden und der gesamten digitalen Wirtschaft bleibt daher nun nichts anderes übrig, als abzuwarten. Anfang des kommenden Jahres werden wir erfahren, ob die Vernunft obsiegt oder unter dem Vorwand des Datenschutzes digitale Geschäftsmodelle grundlegend verändert werden, und dabei drohen, in Schieflage zu geraten. Eines steht fest: Sollte der EDSA trotz mangelnder Befugnis versuchen, auf indirekte Weise neues Recht zu schaffen, statt nur bestehendes anzuwenden, wäre dies ein drastischer Eingriff in die Grundfesten der Gewaltenteilung. Und wirft damit ganz grundsätzliche, neue Fragen auf.

Bild Moritz Holzgraefe Über den Autor/die Autorin:

Moritz Holzgraefe ist seit 2021 Vizepräsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft e. V. Er ist seit 15 Jahren in der Digitalbranche im In- und Ausland tätig, Marshall Memorial Fellow des German Marshall Fund und Young Leader des American Council on Germany.

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