Bewegtbildwährung – Money for nothing and the JICs for free?
Dr. Andrea Malgara, 13. November 2024Warum haben wir eigentlich immer noch keine einheitliche Reichweiten-Währung für Bewegtbild-Inhalte? Und das, obwohl wir seit Jahren in Joint Industrie Committees (JICs) wie beispielsweise der AGF-Videoforschung oder der AGMA mit allen Marktpartnern intensiv darüber diskutieren? Eine Erklärung könnte lauten: Scheinbar geht es ja auch ohne Währung. Plattformen, die sich nicht von AGF & Co. messen lassen, erfreuen sich dennoch kommerziellen Erfolgs. Also, um einen Songtitel der Dire Straits zu bemühen, „Money for nothing and the JICs for free“?
Die Antworten auf diese Fragen sind aber wesentlich vielschichtiger, ähnlich wie der stark fragmentierte Markt der bewegten Bilder:
- Das Thema „Bewegtbild“ ist in der Mediaplanung schon heute komplex. Und die Komplexität nimmt eher noch zu: von Social Video über Streaming bis hin zu linearem TV – insbesondere bei crossmedialen Kampagnen. Das erschwert es, sich in den JICs auf eine von allen Kanälen als fair und adäquat empfundene Messmethode zu einigen.
- Die Eigeninteressen der globalen Plattformen sind bislang zu stark für nationale Insellösungen. Und mit steigenden Quartalserlösen von Google, Meta, Tiktok & Co. wächst eher das Selbstbewusstsein, die eigenen globalen Messgrößen auch in den nationalen Märkten durchzusetzen. Warum sollten sie sich messen lassen, wenn sie keinerlei Nutzen durch eine JIC-Messung haben, dafür aber Kosten, Aufwand und Risiko für die eigene Währung.
- Werbetreibende fordern öffentlichkeitswirksam einheitliche Währungen, akzeptieren aber in der Buchungsrealität zweierlei Maß: bei den neutral erhobenen Reichweiten des linearen TV (gemessen von der AGF) werden die Werte bis auf die zweite Nachkommastelle genau kontrolliert. Den globalen Plattformen gestehen die Kunden zu, dass die ausgewiesenen Leistungswerte nicht nur nicht kompatibel, sondern auch nicht neutral überprüfbar sind.
Why worry?
Und wir Mediaagenturen? Natürlich wünschen wir uns eine gemeinsame Messung aller Bewegtbild-Kanäle unter Beteiligung aller relevanten Player – unter welchem JIC-Dach auch immer. Das würde unsere Arbeit stark vereinfachen, auch weil eine echte Vergleichbarkeit der Leistungswerte der Kanäle nur auf einer einheitlichen und gemeinsamen Basis möglich ist. Aber, realistisch gesehen, ist das – um einen weiteren Song der Dire Straits zu zitieren – „So Far Away“. OWM-Chef Uwe Storch hat völlig recht, wenn er von einem „sehr mühsamen Prozess“ in den JICs spricht. Zur Wahrheit gehört allerdings auch: Solange die Kunden die Leistungswerte, Konditionen und Metriken der globalen Plattformen akzeptieren und ihre Budgets dort erhöhen, verringert das gleichzeitig den Druck auf die globalen Player, sich ernsthaft mit nationalen Standards auseinanderzusetzen.
Verdienen die globalen Plattformen ihr Media-Geld zu leicht? Money for nothing? Diesen Eindruck kann man gewinnen, wenn man sich die gerade publizierten Quartalsergebnisse etwa von Meta (15,7 Mrd. US-Dollar Gewinn bei einem Umsatz von 40,6 Mrd.) und Alphabet/Google (26,3 Mrd. US-Dollar Gewinn bei 88 Mrd. Umsatz) anschaut. Zur Relation: Alphabet und Meta machen in einem Quartal mehr Gewinn als in Deutschland im ganzen Jahr netto für Werbung ausgegeben wird (25,9 Mrd. Euro).
Dennoch ist die Gremienarbeit in den Joint Industry Committees nicht umsonst. Mediaplus investiert viel Zeit und Geld in die Arbeit dort. Und wir schätzen den Wert einer AGF Videoforschung oder der AGMA. Aber als Mediaagentur, die ihren Kunden verpflichtet ist, können wir nicht darauf warten, bis wir in einem JIC vielleicht in zehn Jahren einen Konsens für eine einheitliche Bewegtbildwährung gefunden haben. Deshalb müssen wir pragmatische Ansätze und intelligente Lösungen entwickeln, um mithilfe zusätzlicher Daten (sowohl von Kunden- als auch von Agenturseite) die Wirkungsmechanismen der einzelnen Kanäle zu entschlüsseln und crossmedial die besten Leistungswerte zu erzielen.
When it comes to You
So haben wir beispielsweise in zwei Medienäquivalenzstudien (2018 und 2020), gemeinsam mit Seven.one Media und Google, den qualitativen Wirkungsbeitrag unterschiedlicher Formen der Bewegtbildwerbung untersucht. Das Ergebnis in Kurzform: Der qualitative Wirkungsbeitrag fällt sehr unterschiedlich aus, abhängig vom Medium, der Platzierung und der Kontakthäufigkeit – und auch in welcher Kombination Bewegtbildformate verknüpft werden. TV und Broadcast Video-on-Demand (BVOD) wirken in einer Bewegtbildkampagne eher äquivalent. Youtube oder Facebook können lineares TV auch bei vier und mehr Spot-Kontakten nicht ersetzen.
Diese Studienergebnisse helfen uns im Mediaalltag, kanalübergreifende Bewegtbildkampagnen effizienter auszusteuern, weil wir besser zwischen den Kanälen gewichten können. Wollen Werbetreibende beispielsweise eine möglichst hohe Nettoreichweite erzielen, so können wir mithilfe unseres internen Planungstools anhand von Daten aus diversen Markt-Media-Studien und Reichweitenkurven aus dem AGF-Panel und Daten der Online-Vermarkter den optimalen Cross-Media-Budgetmix errechnen.
Für Werbetreibende, die wissen wollen, wie stark ihre TV-Kampagne sich auf den Website-Traffic (und langfristig auch auf die Online-Verkäufe) auswirkt, können wir beispielsweise folgende Fragen beantworten: Welche Online-KPIs (Visit, Lead, Sales) profitieren von der TV-Kampagne? Wie effizient ist die Kampagne auf Sender-, Wochentag-, Format- oder Zeitschienenebene? Und vieles mehr. Basis für die Auswertungen sind unter anderem Webtrackingdaten des Kunden sowie Profildaten.
You and your Friend
Es lohnt sich also, selbst aktiv zu werden. Und ja, es gibt durchaus auch immer wieder kleinere Fortschritte im Markt: Ein Teil der Streamingdienste steht mittlerweile im strategischen Planungstool, dem AGF Reach Planner, zur Verfügung. Nach DAZN, Sky, RTL+, Joyn hat sich jüngst auch Amazon geöffnet. Die Gesamtreichweite von Prime Video wird jetzt ausgewiesen, allerdings sind hier noch keine Detailauswertungen wie bei linearem TV möglich. Und: Auf Amazon, Netflix und Co. ist eben auch nur ein Teil der Audience mit Werbung erreichbar.
Auch die Anfang 2025 startende Adtech-Kooperation zwischen RTL Deutschland und Prosieben Sat.1 wird uns die Arbeit erleichtern. Vor allem das senderübergreifende Ausliefern und Aussteuern der Spots – vom linearen TV, über Werbung auf Smart-TVs bis hin zu Kampagnen auf den beiden Streaming-Plattformen Joyn und RTL+ – wird dann einfacher möglich.
Walk of Life
Komplexer wird die Bewegtbildplanung in Zukunft wohl trotzdem. Denn mithilfe der bald in nahezu allen deutschen Haushalten stehenden Smart-TVs können in spätestens fünf Jahren Spots nicht mehr nur auf Haushaltsebene, sondern auf Gerätebasis ausgespielt werden. Selbst wenn überall in der Wohnung oder im Haus der gleiche Sender läuft, wird der Spot im Pubertisten-Zimmer ein anderer sein als der bei den Eltern im Wohnzimmer auf der Couch. Das ist eben, um ein letztes Mal die Dire Straits zu bemühen, der „Walk of Life“ in der Bewegtbildplanung. Auch dem werden wir begegnen können.
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