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Aktueller Überblick: Wie Streamingdienste ihr Werbegeschäft ausrichten

André Gärisch, 11. November 2024
Bild: Shutter Speed - Unsplash

Immer mehr Streamingdienste verabschieden sich von ihrem werbefreien Ansatz. Netflix, Amazon und Disney profitieren bereits von dieser Entscheidung und erzielen hohe Umsätze mit günstigen Abos und Spots – Apple und Paramount dürften bald folgen. Ein Blick auf den aktuellen Stand der Werbevermarktung im Streaming.

Ist das noch Streaming oder schon Fernsehen? Nicht nur durch ein erweitertes Content-Angebot, sondern auch durch die Integration von Werbung kommen Streamingdienste ihrem klassischen Pendant zunehmend näher. Sie erschließen dadurch eine zusätzliche Einnahmequelle. In Deutschland nutzt bereits jeder Fünfte mindestens ein werbefinanziertes Streaming-Abo, wie eine Studie von Simon-Kucher zeigt. Grund genug, die Strategien und Technologien der Anbieter sowie zukünftige Entwicklungen in der Werbevermarktung genauer zu beleuchten.

Attraktivere Preise ziehen Nutzer an

Netflix machte den ersten Schritt unter den US-Streamern und führte im Oktober 2022 ein günstigeres, werbefinanziertes Abo ein. Eine Entscheidung, die sich auszahlt: Im dritten Quartal 2024 steigerte Netflix seinen weltweiten Umsatz um 15 Prozent auf 9,8 Milliarden Dollar. Das Werbe-Abo trug erheblich zum Wachstum bei: In den Ländern, in denen es verfügbar ist, buchten mehr als die Hälfte der fünf Millionen Neukunden dieses Modell. Die werbenden Unternehmen kommen aus Branchen wie Automobil, Handel und Tech. Erster globaler Werbepartner ist seit Februar Expedia.

Disney folgte Netflix’ Beispiel und führte im November 2023 ebenfalls ein werbefinanziertes Abo ein. Mit 22,5 Millionen Abonnenten von insgesamt 154 Millionen weltweit macht es einen beachtlichen Teil des Abonnentenstamms von Disney+ aus. In Deutschland wird das Angebot seit Anfang November durch eine Kooperation mit Lidl unterstützt: Kunden, die bestimmte Einkaufswerte erreichen, können das werbefinanzierte Abo über die Lidl-Plus-App – die bereits 100 Millionen Mal downgeloadet wurde – entweder kostenlos oder mit Rabatt buchen.

Amazon Prime Video integrierte im vergangenen Februar Werbung in das bestehende Standard-Abo – ohne den Preis zu senken. Dies stieß auf Empörung im Netz und führte zu einer Sammelklage der Verbraucherzentrale Sachsen, der sich bislang 61.000 Kunden angeschlossen haben. Auf das operative Geschäft hatte die Werbeoffensive jedoch keinen spürbaren Einfluss: „Wir haben keine signifikante Abwanderungswelle erlebt“, sagte Kelly Day, Vice President von Prime Video International, der Financial Times. Laut dem „Video on Demand Tracking 2024“ von Annalect nutzen derzeit in Deutschland 56 Prozent der Prime-Video-Kunden das werbefinanzierte Abo.

Mit den US-Giganten konkurrieren die RTL Group und ProSiebenSat.1 mit ihren Plattformen RTL+ und Joyn. Beide bieten kostenloses Streaming mit Werbung an, RTL+ zwei weitere werbefinanzierte Tarife, beide einen Premium-Tarif. RTL+ verzeichnet rund 5,6 Millionen zahlende Nutzer; einen Push erlebte die Plattform zuletzt durch die Rückkehr von Stefan Raab: „Wir haben im sechsstelligen Bereich Kunden gewonnen und vor allem neue ältere Zielgruppen erschlossen. Auch im Werbemarkt hat das Raab-Comeback sehr starkes Interesse ausgelöst“, sagt Frank Vogel, Geschäftsführer des RTL-Vermarkters Ad Alliance. ProSiebenSat.1 gibt keine Nutzerzahlen für Joyn bekannt, meldet jedoch einen Anstieg der User um 52 Prozent im dritten Quartal.

Deutliche Unterschiede in der Ausstrahlungsfrequenz

Wie häufig Werbespots ausgestrahlt werden, variiert je nach Streamingdienst. In ihren kostenlosen Tarifen zeigen RTL+ und Joyn ähnlich viel Werbung wie im linearen Fernsehen, mit bis zu zwölf Minuten pro Stunde. Netflix und Disney+ bieten in ihren Tarifen für 4,99 Euro bzw. 5,99 Euro vier bis fünf Minuten Werbung pro Stunde und beschränken sich auf Pre- und Mid-Roll-Ads. Beide Anbieter setzen zudem ein Frequency Cap, sodass Spots nicht ständig wiederholt werden.

Nach einer vom Wall Street Journal zitierten Amazon-Präsentation beträgt die durchschnittliche Werbedauer bei Prime Video in den USA zwei bis dreieinhalb Minuten pro Stunde. Unklar bleibt, ob hierzu in anderen Ländern Unterschiede bestehen. Der Konzern verkündete kürzlich, das Werbevolumen ab 2025 schrittweise steigern zu wollen. Demnächst werden außerdem interaktive Werbeformate eingeführt, die es ermöglichen, angezeigte Produkte direkt zu kaufen oder weitere Informationen zu erhalten – per Klick über die TV-Fernbedienung oder per Scan mit dem Smartphone.

Technologische Aufrüstung schreitet voran

Der Erfolg von Werbung auf Streaming-Plattformen hängt maßgeblich von der zugrunde liegenden Technologie und den Targeting-Methoden ab. Amazon ermöglicht Werbetreibenden, ihre Kampagnen über die Amazon-DSP zu buchen und auf Prime Video sowie anderen Amazon-Plattformen auszuspielen. „Unsere Inventare decken mittlerweile alle Stufen des Funnels ab. Werbetreibende und Agenturen können ihre Aktivitäten übergreifend steuern und mit der Amazon Marketing Cloud präzise analysieren“, erklärt Amazon-Ads-Chef Nils Gräf.

Beim Targeting kommen neben klassischen Merkmalen wie Demografie und Interessen auch detaillierte Kaufverhaltensdaten aus dem E-Commerce zum Einsatz. Durch die Zusammenarbeit mit Audience Project können Werbekunden inkrementelle Reichweiten ermitteln. Zudem hat sich Amazon der AGF Videoforschung geöffnet, die seit September die Gesamtreichweite von Prime Video im Planungstool Reach Planner ausweist.

Netflix spielt Werbung basierend auf Lieblingsgenres, Sehmustern und dem Standort des Hauptgeräts aus, zudem unter Verwendung von Daten aus anderen Apps und Webseiten, sofern der Nutzer zustimmt. Die Kalifornier entwickeln momentan eine eigene Ad-Tech-Plattform, die ab 2025 das Kampagnenmanagement vereinfachen soll. Auf der Demand-Side erhalten neben Microsoft Advertising – für das initiale Werbemodell – auch The Trade Desk und Googles DV 360 per Private Marketplace Zugang. Magnite wird auf der Sell-Side eingesetzt, zur Messung ergänzen Data Clean Rooms das Ökosystem.

Die deutschen Streaming-Anbieter setzen aktuell ihre Pläne um, eine gemeinsame Ad-Tech-Basis für übergreifende Werbekampagnen zu schaffen. Ziel ist eine offene, transparente Plattform mit einheitlichen und einfachen Buchungen. Über die zentrale DSP Active Agent sollen künftig alle Inventare – sowohl linear als auch digital – buchbar sein. Smartclip wird perspektivisch zur gemeinsamen SSP ausgebaut. Mit der DMP von The Adex sollen transparente und durchlässige Buchungslogiken etabliert werden. Hinzu kommt die Möglichkeit, auf Spezialanbieter aus der RTL Group im Bereich Analytics, Programmatic und KI zurückzugreifen.

Streamingdienste wollen weitere Potenziale ausschöpfen

Die Werbeintegration bei Streamingdiensten befindet sich derzeit noch in einer „Experimentierphase“. Die Player suchen nach der perfekten Balance zwischen hochwertigem Content, kluger Preisgestaltung – sowohl was den Abopreis als auch den TKP angeht – und personalisiertem Werbeerlebnis. Gleichzeitig betrachten sie Werbung zunehmend als festen Bestandteil ihrer Geschäftsstrategie. Laut einem Bloomberg-Bericht prüft Netflix in einigen europäischen und asiatischen Märkten sogar die Einführung eines kostenlosen Tarifs mit mehr Werbung.

Diese Entwicklung ist vor allem eine Reaktion auf die steigenden Kosten für Highlight-Inhalte, die weit über Serien und Filme hinausgehen. Ein Beispiel hierfür sind die teuren Live-Sportübertragungen. So haben Amazon und Netflix Milliardensummen für die NFL-Ausstrahlungsrechte ausgegeben, Amazon hat außerdem für Wimbledon tief in die Tasche gegriffen, Netflix für WWE-Wrestling. „Der Wunsch, weiterhin in attraktive Inhalte investieren zu können, war der zentrale Grund, mit dem Werbeangebot bei Prime Video zu starten“, bestätigt entsprechend Nils Gräf.

Weitere Player wie Paramount und Apple werden vermutlich bald nachziehen. Paramount, in Deutschland seit zwei Jahren mit einem werbefreien Angebot vertreten, führte im Frühjahr ein Werbe-Abo in Frankreich ein. Ein PR-Verantwortlicher betonte auf Anfrage zwar, dass es aktuell kein Update zu einem Werbestart in Deutschland gebe, doch mit dem erfolgreichen FAST-Dienst Pluto TV bringt Paramount bereits wertvolle Erfahrung in der hiesigen Werbevermarktung mit.

Apple wiederum führt gegenwärtig – das berichtete The Telegraph – Gespräche mit dem Londoner Broadcaster's Audience Research Board, um Tracking-Optionen zu prüfen. Darüber hinaus hat YouTube mit einem globalen Publikum von 2,5 Milliarden Menschen frisch angekündigt, Werbung in Abspielpausen einzublenden. Das Rennen um die Big-Screen-Werbetöpfe hat also gerade erst begonnen.

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