Ein Standard für die Automatisierung von Direktbuchungen am Horizont?
Anton Priebe, 8. Oktober 2024Die programmatische Werbung wächst unaufhaltsam, wie Marktzahlen regelmäßig belegen. Doch nicht alles, was Publisher anbieten, kann und soll programmatisch vermarktet werden. Dazu zählen zum Beispiel einige Sonderformate, die per I/O-Geschäft gehandelt werden. Teils schwenken Advertiser wieder auf Direktbuchungen um, um Technikkosten zu sparen oder Fragen zur Markensicherheit aus dem Wege zu gehen. In Deutschland ist das Direktgeschäft seit jeher beliebt, bedeutet aber insbesondere für kanalübergreifende Kampagnen viel Handarbeit. Ein Standard für Direktbuchungen soll dies ändern. Das Digital Booking Communication Format (DBCFM) bringt Automatisierung in das I/O-Business, meinen die Schöpfer:innen, und heben es auf Augenhöhe mit Programmatic. Der Standard soll Briefing, Anfrage, Angebot, Buchung und Bestätigung von I/O-Kampagnen vereinheitlichen, beschleunigen und somit vereinfachen. Im Interview erklären die Initiatoren, warum das DBCFM, das schon einige Jahre auf dem Buckel hat, nun durchstarten wird.
ADZINE: Seit Jahren wird über das Wachstum von Programmatic berichtet, dabei glänzt der deutsche Markt noch immer mit einem starken I/O-Business, vor allem für Sonderwerbeformen. Wie groß ist denn der Markt für Direktbuchungen in Deutschland?
Arne Steinmetz: Programmatic Advertising wächst, weil es zunehmend als zusätzlicher Vertriebsweg angeboten wird – inzwischen auch für etablierte Gattungen wie Print. Dennoch ist der Markt für Direktbuchungen signifikant, weil es Kunden einzigartige Vorteile bietet, die Werbetreibende in Deutschland ansprechen. Damit meine ich Kontrolle, Brand Safety sowie maßgeschneiderte und exklusive Lösungen. Werbekunden behalten die Hoheit über Platzierung, Umfeld und damit den Kontext, wo ihre Werbung erscheint. Wir betrachten die Buchungsformen als komplementär. Entscheidend ist: Für uns und unsere Marktpartner bleibt es weiterhin Ziel, Komplexität zu reduzieren und Prozesse effizient zu gestalten – wenigstens dort, wo schon ein hoher Grad an Standardisierung herrscht.
ADZINE: Der Standard Digital Booking Communication Format ist ein Ansatz, um Direktbuchungen zu automatisieren und damit zu vereinfachen. Die Idee dahinter ist nicht neu. Könnt ihr ein paar Worte zur Entstehung sagen?
Jens Pöppelmann: Ja, die Idee ist schon seit einigen Jahren in der Entwicklung. Bereits Anfang der 2010er Jahre hat der OVK mit mir als Leiter der Unit Adtech einen ersten Ansatz entwickelt. Er hieß damals „Connect“ und war dem heutigen Format schon sehr ähnlich. Auch SQL Service war damals schon involviert. Teile des damaligen Konzepts sind dann 2016 in das TV-Buchungssystem “Cool” eingeflossen, mit dem sich die IP Deutschland, heute Ad Alliance, direkt an die Agentursysteme angebunden hat. Mit der DBCFM-Initiative und in Zusammenarbeit mit Wasmuth Media Service ist es SQL Service nun gelungen, das gedankliche Konstrukt in die Realität umzusetzen und auf den Markt zu bringen.
ADZINE: Was lief damals schief?
Jens Pöppelmann: Viele haben Anfang der 2010er Jahre geglaubt, dass Programmatic alles inklusive Direktbuchungen abbilden würde und haben sich nicht um die Integration von „Connect“ gekümmert. „100% Programmatic“ war das Schlagwort und aus heutiger Sicht eine nicht realisierbare Einschätzung. Mittlerweile, gut 15 Jahre später, ist das Thema Direktbuchung immer noch ein wichtiger und lebendiger Bestandteil eines jeden Premiumvermarkters. Der Markt hat verstanden, dass Programmatic nicht alles kann und auch nicht immer praktikabel ist. So bleibt beispielsweise die flexible Buchung auf Basis von kunden- und agenturspezifischen Vereinbarungen sowie Sonderwerbeformen ein Vorteil der Direktbuchung, auch Reichweiten bleiben planbarer. Zudem entfallen aufwändige Re-Importe von programmatischen Buchungen in das hauseigene Buchungs- und BI-System und auch die zusätzlichen technischen Kosten sind im direkten Vergleich geringer. Es ist schön zu sehen, wie Agenturen, Dienstleister und Vermarkter gemeinsam und mit langem Atem eine Lösung gesucht und mit DBCFM gefunden haben.
ADZINE: Unter welchen Voraussetzungen konntet ihr das Thema nun angehen?
Ingo Gerckens: Dazu gehörte die Klärung von einigen Fragen, unter anderem:
- Hat der Markt überhaupt ein Interesse, die Automatisierung von I/O wiederzubeleben?
- Ist es möglich, Vermarkter und Mediaagenturen gemeinschaftlich zusammenzubringen und auch ein Finanzierungsmodell zu beschließen, das die Kosten auf alle verteilt?
- Wird es gelingen, Systemanbieter zusammenzubringen und zu motivieren, in Vorleistung zu gehen, um die technische Umsetzung für eine Marktlösung zu entwickeln?
- Kann DBCFM als eigenständige Initiative gestartet werden, unabhängig von Verbänden oder anderen Interessengruppen, und tragen dies alle mit?
Nachdem wir an diesen Punkten einen Haken hatten, konnte die Arbeit beginnen. Das ganze Projekt startete dann zunächst “im Stillen“ und bestand natürlich aus intensiven Analysen, Moderation und Anforderungsaufnahmen auf allen Seiten und in vielen Teilen auch bilateralen Gesprächsrunden.
ADZINE: Wer hat das Format entwickelt und inwiefern hat sich der Fokus verlagert?
Ingo Gerckens: DBCFM ist kein System mit einem zentralen Hub, über den alles läuft! Es ist ein moderiertes Netz, in dem bilateral kommuniziert wird.
Das Format wird durch den Mediaservice Wasmuth entwickelt, gehostet, dokumentiert und dem Markt kostenfrei zur Verfügung gestellt. DBCFM wird in jährlichen Zyklen upgedatet und die inhaltliche Entwicklung – also welche Informationen sollen überhaupt ausgetauscht werden und müssen abgebildet sein – wurde zwischen Vermarktern und Mediaagenturen abgestimmt. Die Moderation erfolgte durch den Mediaservice Wasmuth. Grundsätzlich gestaltet also „der Markt“ das Format. Das ist wichtig, denn DBCFM wird sich immer weiterentwickeln. Ich denke da nur an den Bereich Reporting, der bereits jetzt schon im Format enthalten ist.
ADZINE: Es gibt mehrere Ansätze aus der Adtech-Welt, um das I/O-Geschäft zu automatisieren. Welche Argumente sollen Vermarkter überzeugen, gerade auf den DBCFM-Standard zu setzen?
Ingo Gerckens: Für DBCFM sprechen verschiedene Fakten:
- DBCFM ist ein freies Format und steht dem Markt kostenfrei zur Verfügung.
- Es gibt keinen zentralen Hub, es wird bilateral kommuniziert.
- Die Datenbasis für die Marktlösung ist frei zugänglich und kann jederzeit eingesehen werden. Sie bildet mit ihren IDs die technische Grundlage für DBCFM. Diese Daten werden auch automatisiert in vielen Systemen der Mediaagenturen und Vermarkter eingesetzt.
- Mit dem sogenannten „virtuellen Vermarkter-Regal” können Vermarkter ihr Portfolio tagesaktuell auf Planbasix abbilden lassen. Diese Daten werden in die Agentursysteme gespiegelt. Große Häuser wie beispielsweise die Ad Alliance nutzen dieses Angebot bereits.
- Mit der DBCFM Service Site können auch Vermarkter ohne “eigenes System oder eigene Schnittstelle” den Marktstandard DBCFM verwenden und “sprechen”. Das Webportal kann den kompletten Buchungsprozess abbilden und Vermarkter können sehr einfach Aufträge direkt an die Agentur bestätigen.
ADZINE: Der Standard ist bereits bei der Ad Alliance im Einsatz. Gibt es schon erste Erfahrungsberichte?
Arne Steinmetz: Der DBCFM-Standard ist ein sehr praxisorientierter Lösungsansatz, der nicht nur systemisch, sondern vor allem bei der Durchführung auf bereits gelernte und zu 99 Prozent vorhandene Prozesse und Workflows aufsetzt. Dadurch ist die Barriere so klein wie möglich gehalten, damit Mitarbeitende den DBCFM-Prozess im täglichen Doing integrieren. Nach einem intensivem Testing sind wir nun ready fürs operative Geschäft. Das Testing erfolgte im Parallelbetrieb mit der GroupM bei der wir erfolgreich erste Live-Buchungen durchgeführt haben. Die Learnings: Effizienzgewinn durch den DBCFM-Standard hinsichtlich Zeitersparnis und Arbeitsaufwand, und das über den gesamten Buchungsfunnel hinweg – angefangen beim Briefing über Angebot bis hin zur Buchung. Für Vermarkter bietet der DBCFM-Standard also die Möglichkeit, ihr I/O-Geschäft zu automatisieren, ohne auf die Vorteile von Direktbuchungen zu verzichten. Der Invest zum Aufbau des Standards hat sich somit in jeglicher Hinsicht gelohnt und wir sind überzeugt, dass sich das Thema weiter positiv entwickeln und durchsetzen wird.
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