Ob Daten tatsächlich als “das neue Öl” betitelt werden können, bleibt diskussionswürdig, da der Vergleich an einigen Stellen hinkt. Sicher ist hingegen, dass Daten in der Werbeindustrie eine entscheidende Rolle spielen, vor allem um Anzeigen relevant und treffsicher zu machen. Doch der verschärfte Datenschutz und diverse technische Entwicklungen haben dazu geführt, dass Informationen über Online-Nutzer:innen nicht mehr so in der Breite verfügbar sind wie zuvor. Olaf Peters-Kim, Co-Founder vom Adtech-Unternehmen Welect, sieht noch ein weiteres Problem, das selbst mit einer hohen Targeting-Güte kaum zu lösen ist. Im Interview zieht er Bilanz, inwiefern die vorhandenen Daten im Advertising-Kosmos heute sinnvoll einzusetzen sind und spricht über gute sowie schlechte Datengrundlagen.
ADZINE: Olaf, Daten gelten seit jeher als Treibstoff für Online-Werbekampagnen. Je besser die Datengrundlage ist, desto präziseres Targeting und desto persönlicher können die gewünschten Zielgruppen angesprochen beziehungsweise überhaupt erst erfolgreich erreicht werden. Gilt dieser Leitgedanke von Daten als “Treibstoff für Kampagnen” heute noch?
Olaf Peters-Kim: Ja, Daten bleiben ein zentraler Treiber für den Erfolg von Online-Werbekampagnen. Nicht nur im Targeting, auch im Vorfeld bei der Strategieerstellung. Verändern wird sich die Art der genutzten Daten. In der Vergangenheit haben Third-Party-Daten und Cookies dominiert. In Zukunft werden es zunehmend First-Party-Daten und Signale der Nutzer:innen sein. Choice-Driven Advertising (CDA), wie wir es bei Welect anwenden, setzt auf freiwillige Nutzersignale. Dadurch arbeiten Werbetreibende mit hochwertigeren Echtzeit-Daten, die nicht nur datenschutzrechtlich sicher sind, sondern auch genau das Datensignal nutzen, das für das Targeting relevant ist: nämlich welche Ad in der jeweiligen Situation für den Menschen die höchste Relevanz hat. Doch bei all dem Fokus auf Daten darf die Kreation nicht vernachlässigt werden, insbesondere durch die Selbstbestimmung der Nutzer:innen gewinnt die Arbeit von Werbeagenturen auch beim Targeting an Bedeutung.
ADZINE: Was macht eine Datengrundlage für Advertising gut oder schlecht?
Peters-Kim: Eine gute Datengrundlage zeichnet sich durch Aktualität, Genauigkeit und Relevanz aus. Schlechte Daten sind veraltet, unvollständig oder gar durch fragwürdige Methoden gesammelt. Die präzise Interpretation von Datensignalen, die oft wenig bis gar keinen Bezug zur Werbung haben – wie beispielsweise meine Kreditwürdigkeit, mein Surfverhalten im Internet oder die Lokationsdaten meines Smartphones –, stellt eine komplexe und ressourcenintensive Herausforderung für unsere Branche dar, insbesondere im Bereich des Targetings, um das sich ständig verändernde Verhalten von Millionen individueller Menschen treffend zu beschreiben. Und die Expert:innen, die diese komplexe Disziplin beherrschen, stehen vor einem weiteren Problem: Das Sammeln, Speichern, Verarbeiten, Analysieren und Anwenden der riesigen Datenmengen, die täglich erneuert werden müssen, verursacht in etwa genauso viele Emissionen wie das gesamte Adtech-Ökosystem selbst.
ADZINE: Aus Übersee hören wir, dass die vorhandenen Targeting-Daten im Programmatic-Ökosystem “Schrott” sind. So hat es zumindest Arielle Garcia auf der diesjährigen Adzine Connect formuliert. Wie schätzt du die am Markt verfügbaren Targeting-Daten qualitativ ein?
Peters-Kim: Arielle und das Check My Ads Institute setzen sich in den USA erfolgreich für die Bekämpfung von Desinformation und Ad Fraud ein. Im deutschsprachigen Raum leisten glücklicherweise Thomas Koch und Michael M. Maurantonio diese Aufgabe. Mit ihrem Zitat verwies Arielle jedoch sehr pragmatisch auf die niedrige Targetinggüte, nachdem sie bei verschiedenen Data Suppliern und Adtech-Anbietern auf Basis ihrer ID beziehungsweise Cookies untersucht hatte, welchen Audiences sie zugeordnet wurde und welche demographischen Eigenschaften ihr zugeschrieben wurden. Diese Mängel resultieren nicht unbedingt aus mangelhaften Daten, sondern, wie bereits erwähnt, können selbst die besten Daten das komplexe, individuelle Verhalten von Menschen nur unzureichend abbilden.
ADZINE: Ein Ausweg aus dem Datenzukauf ist der Aufbau von First-Party-Daten. Wir befinden uns laut der Aussage mancher Spezialisten mitten im Übergang hin zu einer First-Party-Welt im Advertising. Wie schaffen es Advertiser, die Qualität ihrer eigenen Daten zu verbessern?
Peters-Kim: In Bezug auf Advertising bin ich skeptisch, ob dies der richtige Ausweg ist. Ich bin zwar kein Experte für Daten-Supply, aber Unternehmen können die Qualität ihrer First-Party-Daten vor allem durch direkte Interaktionen mit ihren Kund:innen verbessern. Wie gelangen sie aber an die First-Party-Daten von Nicht-Kund:innen, auf die sie angewiesen sind, um Wachstum zu generieren oder Kundenverluste auszugleichen? Im Lower Funnel und im Martech-Bereich sind First-Party-Daten äußerst wertvoll, doch im oberen und mittleren Funnel wird es deutlich schwieriger, First-Party-Daten für Werbekommunikation effektiv einzusetzen.
ADZINE: Manche Werbetreibende haben aber keine andere Wahl und müssen auf fremde Daten zurückgreifen, weil sie naturgemäß kaum eigene Daten aufbauen können. Was können sie tun, um ihr Targeting zu verbessern?
Peters-Kim: Wenn sie weiterhin fremde Daten nutzen möchten, um Menschen anzusprechen, sollten sie ausschließlich mit etablierten, vertrauenswürdigen Anbietern zusammenarbeiten und sich nicht aus Kostengründen auf unseriöse Marktteilnehmer einlassen. Allerdings wird damit das Problem der Targetinggüte, auf das Arielle hingewiesen hat, nicht gelöst. Und: Sie erreichen lediglich die Nutzer:innen, die ihren Consent geben, keine Werbeblocker verwenden und ihren Browser nicht im Datenschutzmodus nutzen – das sind heute maximal 40 Prozent der Online-Nutzer:innen. Mehr Reichweite können sie durch den Einsatz anderer externer Daten, wie etwa kontextuelle oder semantische Daten, erzielen. Deutlich skalierbarer und effizienter ist es jedoch, die Interaktivität des Internets zu nutzen und von Millionen Menschen in Echtzeit freiwillige Datensignale zu erhalten.
ADZINE: Ist die Datenqualität im Bereich Contextual Targeting ähnlich problematisch zu beurteilen wie im userbasierten Targeting?
Peters-Kim: Contextual Targeting stellt in Zeiten strengerer Datenschutzbestimmungen eine wertvolle Alternative dar, da es nicht auf die Erhebung und Verarbeitung personenbezogener Daten angewiesen ist. Allerdings bringt auch kontextuelles Targeting Herausforderungen mit sich: Das Handelsblatt weiß, welche Artikel ich lese, Netflix, welche Filme und Serien ich schaue, und Spotify kennt meine Musikauswahl – alles hochwertige Daten. Doch wie genau lässt sich daraus ableiten, welche Werbeanzeige in meiner nächsten Online-Session die höchste Relevanz für mich haben wird? Userbasiertes Targeting fragt hingegen in jeder Session gezielt nach der Werbebotschaft, die in diesem Moment für den Nutzer oder die Nutzerin am relevantesten ist. Dadurch wird nicht nur der richtige Zeitpunkt und Kontext präziser getroffen, sondern das geschieht gleichzeitig bei Millionen von Menschen – und das deutlich ressourcenschonender.
ADZINE: Und jetzt die Preisfrage: Sind das Programmatic Advertising und sein Targeting noch zu retten?
Peters-Kim: Programmatic Advertising und Targeting müssen nicht gerettet werden – sie werden weiterhin bestehen. Stattdessen sollten wir uns fragen, wie wir das programmatische Ökosystem und die Data-Value-Chain wesentlich nachhaltiger gestalten können. Dann leisten auch wir einen entscheidenden Beitrag dazu, uns selbst und unsere Zukunft zu retten.
ADZINE: Danke für das Gespräch, Olaf!
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