Das endlose Rennen zwischen den Bots und der Ad Fraud Detection
Anton Priebe, 30. Oktober 2024Über Werbebetrug wird in der Werbeindustrie ungern gesprochen, aber jeder scheint die Zahlen zu kennen, die immer wieder durch die Medien geistern. In diesen Berichten ist von Schäden in Milliardenhöhe auf globaler Ebene die Rede. Die Verification-Anbieter weisen aber zumindest bei den hiesigen Kampagnen nur sehr geringe Prozentwerte an Bottraffic aus. Wie passt das zusammen, wenn Deutschland mit seiner starken digitalen Werbewirtschaft doch augenscheinlich ein lukratives Einsatzgebiet für Betrüger ist? Im Interview spricht Oliver Kampmeier, Marketing Manager von Fraud0, über Werbebetrug im deutschen Markt, die verschiedenen Interessen der Marktteilnehmer und den Wettlauf zwischen Betrügern und der Abwehrsoftware.
ADZINE: Wie steht Deutschland in Sachen Ad Fraud da?
Oliver Kampmeier: Unseren Daten zufolge ist Ad Fraud in Deutschland, wie auch in vielen anderen Ländern, weit verbreitet. Märkte mit großen Budgets sind für Betrüger besonders attraktiv. Deutschland gehört laut Statista mit digitalen Werbeausgaben von über 13 Milliarden Euro im Jahr 2023 zu diesen lukrativen Zielen.
ADZINE: Ist das gut oder schlecht im internationalen Vergleich?
Kampmeier: Vergleiche in diesem Kontext sind wenig zielführend. Jeder Werbetreibende sollte auf sich selbst achten und seine eigenen Daten für sich sprechen lassen. Nur weil das Problem bei anderen möglicherweise größer ist, wird das eigene Problem dadurch nicht kleiner.
ADZINE: Welche Kanäle oder Plattformen sind hierzulande am meisten von Werbebetrug betroffen?
Kampmeier: Betrüger bevorzugen die Kanäle, in denen sie am leichtesten das meiste Geld verdienen können. Besonders anfällig sind klassische programmatische Werbeplattformen und Connected TV (CTV). Während Betrugsformen im klassischen programmatischen Bereich bereits bekannter sind, stellt sich die Situation bei CTV anders dar. Eine Art des Betrugs im CTV-Bereich sind gefälschte Bid Requests: Das Gebot gewinnt, aber die Anzeige wird niemals ausgespielt.
Letztlich hängt es davon ab, was die jeweilige Plattform zulässt und wie deine Kampagneneinstellungen sind. Wenn du beispielsweise eine möglichst große Reichweite ohne strenge Filter einstellst, gelangen Betrüger schneller in deinen Kampagnen-Mix.
ADZINE: Ihr habt im Onsite-Traffic eurer Kunden im Schnitt 21 Prozent Sophisticated Invalid Traffic (SIVT), also von bösartigen Bots verursacht, nachgewiesen. Wie kommt diese hohe Zahl zustande?
Kampmeier: Die hohe Zahl ergibt sich aus einer Mischung verschiedener Quellen. Neben Werbebetrug, bei dem Bots zum Beispiel auf Anzeigen klicken und auf deiner Webseite landen, kommen auch andere Arten von Bots auf deine Seite. Dazu gehören beispielsweise Scraper, Scalper-Bots oder Bots, die Fake-Accounts erstellen oder bestehende Accounts hacken wollen.
Scraper stehlen deinen hochwertigen Content, um damit ihre eigenen Webseiten zu füllen. Scalper-Bots hingegen sind darauf ausgelegt, besonders gefragte Artikel wie Eventtickets oder limitierte Produkte schnell aufzukaufen. Dies sind jedoch nur einige Beispiele der vielen verschiedenen Arten und Anwendungsbereichen.
ADZINE: Verification-Vendoren weisen in ihren Reports regelmäßig erheblich weniger Fraud aus, die im unteren einstelligen Prozentbereich liegen. Wieso unterscheiden sich die Werte so sehr von euren?
Kampmeier: Die Zahlen sind uns natürlich bekannt, aber wir konzentrieren uns lieber auf unsere eigenen Stärken und die Ergebnisse, die wir liefern. Um aber zu verstehen, wie es zu diesen Unterschieden kommt, empfehlen wir Werbetreibenden, sich die angewandten Methoden und deren Aussagekraft genau anzuschauen.
Eine zentrale Frage dabei ist, wie viele Prozent der Anzeigen tatsächlich mit einem Post-Bid Javascript-Tag gemessen werden. Ohne die Verwendung dieses Javascript-Tags können die notwendigen Informationen nicht gesammelt werden, um Betrug, Sichtbarkeit, Markensicherheit und so weiter zu erkennen. In vielen Fällen wird nur auf Invalid Traffic beziehungsweise botgenerierten Traffic geachtet, während andere Formen von Ad Fraud vernachlässigt werden.
ADZINE: Das Interesse der Werbeindustrie, das Thema Fraud kleinzuhalten, ist verständlicherweise groß. Wer hat am meisten zu verlieren, wenn mehr über Werbebetrug gesprochen wird?
Kampmeier: Am meisten zu verlieren haben natürlich die Betrüger, denen es bisher noch relativ leicht gemacht wird. Doch je mehr über Ad Fraud gesprochen wird und entsprechende Maßnahmen ergriffen werden, desto schwieriger wird es für sie – und es sorgt gleichzeitig für mehr Transparenz in der Branche.
Werbetreibende profitieren natürlich davon, da Kampagnen effektiver und sicherer ausgespielt werden. Diejenigen, die jetzt schnell handeln, können sich noch einen Wettbewerbsvorteil sichern.
ADZINE: Müsst ihr entsprechend härter kämpfen, um das Thema auf die Agenda zu bringen? Oder findet ihr damit durchaus Gehör?
Kampmeier: Es ist ein ständiger Kampf, das Thema Ad Fraud auf die Agenda zu bringen. Dennoch wächst das Bewusstsein und das Interesse an ehrlicher und genauer Betrugserkennung stetig. Dies zeigt sich unter anderem daran, dass Wetter.com, einer der größten deutschen Publisher, gemeinsam mit uns auf der Adzine Connect aufgetreten ist, um darüber zu sprechen. Das Thema betrifft also nicht nur Werbetreibende, sondern auch Publisher.
ADZINE: Sollten sich die Publisher, die Advertiser oder die Adtech-Anbieter mit ihrer Infrastruktur dazwischen für Fraud-freien Traffic verantwortlich fühlen?
Kampmeier: Alle Beteiligten – von Publishern über Advertiser bis hin zu Adtech-Anbietern – sollten Verantwortung im Kampf gegen Ad Fraud übernehmen. Letztlich trägt jedoch der Advertiser die Verantwortung für seine Kampagnen und muss seine Daten im Blick behalten. Besonders in Zeiten der Walled Gardens, die eine unabhängige Messung erschweren, empfehlen wir, stets kritisch und sorgfältig die Daten externer Quellen und eingehender Signale zu überprüfen.
ADZINE: Hand aufs Herz – eigentlich ist das Thema Werbebetrug doch nicht neu. Ist das Interesse im Laufe der Zeit abgeflacht? Oder war es nie vorhanden?
Kampmeier: Das Interesse an Werbebetrug war immer vorhanden, hat jedoch aufgrund der Komplexität und der ständigen Weiterentwicklung der Betrugsmethoden geschwankt. In letzter Zeit stellen wir fest, dass das Interesse wieder deutlich zunimmt, da neue und fortschrittlichere Technologien zur Betrugserkennung entwickelt und eingesetzt werden. So können Advertiser zunehmend raffinierte Betrugsstrategien besser bekämpfen.
ADZINE: KI macht sowohl die Bots als auch die Fraud Detection schlauer – wer wird das Rennen am Ende gewinnen?
Kampmeier: Einen endgültigen Gewinner in diesem Rennen wird es wohl nie geben, da der Wettlauf gegen Werbebetrug niemals endet. Wichtig ist, immer am Ball zu bleiben und auf modernste Technologien zu setzen. Es geht jedoch nicht nur darum, den Bots davonzulaufen, sondern auch darum, das Ziel klar im Blick zu behalten: Marketingmaßnahmen auf echte Menschen auszurichten.
ADZINE: Danke für das Gespräch, Oliver.
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