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DATA - Interview mit Norman Wagner, Utiq

Auf dem Weg in die First-Party-Werbewelt?

Anton Priebe, 14. Oktober 2024
Bild: Rick Starkman Photo – Adobe Stock Bild: Rick Starkman Photo – Adobe Stock

ID-Lösungen sollen nicht nur den Job der Third-Party-Cookies übernehmen, die sukzessive aus dem Netz verschwinden, sondern ihn vor allem auch besser erledigen. Denn das datengetriebene Advertising ist auf ein verknüpfendes Element angewiesen, um vernünftiges Targeting und Measurement betreiben zu können. Mit seiner ID bietet das Telko-Joint-Venture Utiq eine Lösung an, die den Weg in die “First-Party-Welt” ebnen soll. Das Unternehmen war zunächst ein reiner Mobile-Player, ist in Frankreich jedoch mittlerweile ebenfalls auf Desktop und Connected TV aktiv. Norman Wagner, Utiqs Deutschland-Chef, erklärt im Interview, warum Advertiser ihre Cookieless-Strategien überdenken sollten, inwiefern Contextual Targeting dabei eine Rolle spielen kann und wieso Retail-Daten immer wichtiger werden.

Bild: Utiq Norman Wagner, Utiq

ADZINE: Hallo Norman, unsere Leserschaft kennt Utiq. Lass uns daher nur kurz den Status quo beleuchten. Reichweite ist der Schlüssel für ID-Lösungen – wie schreiten eure Publisher-Integrationen voran?

Norman Wagner: Sehr gut. Mittlerweile hat ein Großteil der OVK-Publisher Utiq verbaut und konnten auch darüber hinaus einige Medien dazu gewinnen. Axel Springer ist live, Burda Forward, BCN, Funke, IQ Digital, Ströer, Highfivve mit Gute Frage & Co. und es sind etliche in der Pipeline.

ADZINE: Wie sieht es auf User-Seite aus?

Wagner: Wir sind jetzt bei über 13 Millionen Usern in Deutschland alleine und wachsen mit ungefähr 200.000 pro Tag.

ADZINE: Das ist eine Hausnummer. Hat Googles Entscheidung, eine Kehrtwende in Sachen Third-Party-Cookies zu machen, ID-Lösungen also nicht den Wind aus den Segeln genommen?

Wagner: Überhaupt nicht, denn es sind ja noch viele Fragen offen, was die Consent-Einholung betrifft. Gerade mit Blick auf Cookieless-Strategien hat sich nichts geändert. Wenn du nur noch in einem Browser wirbst, fehlt dir ein Großteil deiner Zielgruppe. Das ist schon jetzt nicht besonders clever.

ADZINE: Welche Fehler begehen die Advertiser denn in Bezug auf Cookieless?

Wagner: Da bewegen wir uns auf der strategischen Marketingebene. Die ID-Lösung hilft dir ja nicht nur in der Cookieless-Welt weiter, aber viele Strategien basieren noch immer vollständig auf Cookies. Nehmen wir beispielsweise Third-Party-Audiences, deren Profile auf Cookies basieren. Wenn du im Rahmen einer Kampagne mit IDs arbeiten möchtest, aber zusätzlich noch ein Cookie-basiertes Targeting mit in die DSP gibst, funktioniert es nicht so, wie es funktionieren könnte. Denn wenn kein Cookie mit der Audience vorhanden ist, spielt ein solches Setup auch keine Werbemittel aus. Du musst dir überlegen, was es eigentlich bedeutet, wenn wir in einer cookielosen Welt werben. Was geht auch nicht mehr?

ADZINE: Sollte man also nicht die cookiebasierten Daten für das Targeting nutzen, die noch vorhanden sind?

Wagner: Damit beschränkst du das Targeting darauf, wo noch Cookies vorliegen und verschenkst sehr viel Reichweite. In Spanien haben wir zum Beispiel gerade eine Kampagne gesehen, die 43 Prozent inkrementelle Reichweite vorweisen konnte – Reichweite, die du mit Cookies nicht hast, weil dir natürlich Safari und Firefox fehlen.

Die Advertiser müssen konsequent sein. Wenn du cookieless wirbst, dann wirbst du cookieless und fängst nicht an zu mixen. Das Ökosystem gibt dies mittlerweile her.

ADZINE: Google selbst scheint unter anderem auf kontextuelle Lösungen für das Targeting der Zukunft zu setzen. Was hältst du vom Contextual Advertising, auch unabhängig von Google?

Wagner: Ich bin per se ein großer Freund von Contextual, aber du musst halt überlegen, wie viele Umfelder zur Verfügung stehen. Wenn du ein Finanzprodukt verkaufen willst, gehst du in ein Finanzumfeld. Aber was machst du, wenn du Waschmittel verkaufen willst? Bei manchen Produktgruppen wird es schon ein bisschen dünner.

Außerdem existieren viele Umfelder, die eigentlich gar keinen Bezug haben. Im Journalismus geht es oft um News, also aktuelle Themen wie Politik etwa. Was passt zum Umfeld von dem Bericht über den Haushaltsstreit der Bundesregierung?

Wenn du nur kontextuell wirbst, also kontextuell im engeren Sinne, sparst du diese Umfelder aus. Gleichzeitig entziehst du damit gutem Journalismus die Finanzierungsmöglichkeit. Wir brauchen aber eine lebendige, vielfältige Medienlandschaft für eine funktionierende Demokratie. Medien könnten letztlich anfangen, ihre Redaktionen darauf auszurichten, mehr Kochinhalte und weniger Haushaltsstreit in der Politik zu veröffentlichen, weil sie sich nicht finanzieren lassen. Das könnte zu einem Problem werden.

ADZINE: Das gleiche Problem ergibt sich im Zuge des Blacklisting, also unter Brand-Safety-Gesichtspunkten. Inwiefern hilft die ID da weiter?

Wagner: Wenn ein Advertiser grundsätzlich News-Umfelder ausspart, gar nicht. Aber ein Publisher kann bei einem Website-Besuch kontextuelle Zielgruppen erstellen, zum Beispiel für Luxury Car Interest. Mit der ID lässt sich kontextuell nicht direkt werben, aber in einem späteren Moment. Das ist im Prinzip zeitversetztes kontextuelles Advertising. Die Basis bilden mit der ID verknüpfte First-Party-Audiences, die vom Publisher auf Kontext gebaut werden.

ADZINE: Ist das nicht genau das, was Third-Party-Cookies gemacht haben?

Wagner: Genau, allerdings bist du direkt im First-Party-Umfeld. Du hast keine externe Profilbildung durch Dritte, die gerade von politischer Seite aus stark unter Druck steht. In einer Privacy-First-Welt musst du Audiences im First-Party-Umfeld bauen und das kann der Publisher sehr gut kontextuell tun.

ADZINE: Das funktioniert aber nur mit einer ID...

Wagner: Ja, außerdem wirst du ohne ID keine Reichweitensteuerung hinbekommen, weil du die Frequenzen nicht kennst. Wenn du deine großen Kampagnen nur noch kontextuell fahren willst, wird das schnell ineffizient. Es gibt genug Cases, bei denen Contextual die bessere Performance liefert, weil natürlich die Relevanz höher ist. Das funktioniert aber nur im Kleinen. Da gibst du mal ein paar tausend Euro aus. Wenn ich eine große Kampagne mit zwei, drei Millionen so fahren will, habe ich einen riesigen Waste. Mal abgesehen davon, dass ich oftmals gar nicht genug Inventar zur Verfügung habe und strategisch auch nur im unteren Funnel agiere.

ADZINE: Moment, Contextual wird doch immer vorgeworfen, dass es nur Branding kann und kein Performance?

Wagner: Eine Aufgabe vom Marketing ist es ja auch, Leute dazu zu bewegen, dass sie sich erst anfangen, mit einem Thema zu beschäftigen. Es geht darum, den Rahmen zu kreieren, außerhalb des Umfelds ein Bedürfnis zu wecken. Dieses Bedürfnis lässt sich nicht kreieren, wenn du immer nur da bist, wo das Bedürfnis schon vorhanden ist.

ADZINE: Hier würde der eine oder andere Contextual-Anbieter dagegenhalten, dass seine Lösung so schlau ist und so viele Daten vorliegen, dass sie Querverweise erkennt. Jemand, der sich für Garteninhalte interessiert, kauft sich zu 74 Prozent bald eine neue Waschmaschine oder ähnliches.

Wagner: ...wobei sie aber nicht offenlegen, wie sie es errechnet haben. Die KI muss das ja wissen. In einigen Bereichen mag das durchaus funktionieren, aber das skaliert nicht in alle Produktkategorien.

ADZINE: Was hältst du davon, komplett ohne personenbezogene Daten zu werben? Man könnte neben den Inhalten ja auch ausschließlich auf Wetter, Uhrzeit oder Regionen targeten?

Wagner: In der Debatte um personenbezogene Daten geht es oft nur um Profilbildung. Da kann man darüber debattieren, ob alle Kampagnen diese benötigen. Man braucht einen solchen personenbezogenen Datenpunkt aber dringend auch für den Leistungsnachweis, also um die Reichweite und Kontaktfrequenzen, aber auch eine Konvertierung nachzuweisen. Ebenso werden Logins oft nicht als personenbezogene Daten bedacht, sondern rein die Cookies.

Wenn ich Google wäre, würde ich daher sagen: Bitte macht das alle, weil ich plötzlich aufgrund meiner hohen Login-Quote der Einzige bin, der einen Leistungsnachweis erbringen kann. Ohne gesetzten Datenpunkt wirst du nie sehen können, was welche Wirkung erzielt hat. Wenn Publisher nicht dazu in der Lage sind, den Wert ihres Inventars darzulegen, werden sie nicht, oder nur zu sehr niedrigen Preisen, vermarkten können.

Dieser fehlende Leistungsnachweis würde dazu führen, dass die, die Leistungsnachweise können – weil sie große Mengen an Logins haben –, noch mehr Budgets kriegen.

ADZINE: Wie wird das Targeting der Zukunft deiner Meinung nach aussehen?

Wagner: Erstens glaube ich, dass Kontext eine große Rolle spielen wird, weil es das ist, was Publisher haben. Und natürlich baut ein Publisher dann auch erweiterte First-Party-Audience auf dieser Basis. Dies wird aber nicht nur den inhaltlichen Kontext, sondern auch Uhrzeit, Device et cetera umfassen.

So kommen Curated Deals zustande – und das ist der zweite Punkt. Deine DSP übernimmt nun nicht mehr die Frequenzsteuerung, sondern die ist schon im Deal der SSP enthalten. Für viele Advertiser ist dies neu, aber es funktioniert um Welten besser. Du bist dichter an den Publishern, dichter an den First-Party-Audiences, dichter am Umfeld. Ich glaube, wir werden eine Bewegung hin zur Supply-Side in der Kampagnensteuerung sehen.

Drittens werden Retailer-Audiences immer relevanter. Es hat einen großen Vorteil, Käufer genau zu kennen. Das alles findet in einer First-Party-Welt statt, zu der es hingehen wird.

ADZINE: Damit Retailer-Daten domainübergreifend genutzt werden können, ist die Integration einer ID die Voraussetzung...

Wagner: Genau. Wir sind mit einigen Retailern in sehr engem Austausch. So eng, dass die Tinte trocken ist.

Du kannst die Retailer-Daten übrigens auch für einen Leistungsnachweis nutzen. Wenn du mit einer Utiq-ID siehst, wer Kampagnenkontakt hatte, und die in einen Data-Clean-Room gegen Käufer matchst, kann du anfangen, zu modellieren. So lassen sich neben Uplifts in Verkäufen oder Markenwechsel auch noch weitere Änderungen im Käuferverhalten registrieren. Und das sogar beim Offline-Kaufverhalten.

ADZINE: Hast du einen abschließenden Appell an unsere Leserinnen und Leser?

Wagner: Das Entscheidende ist, dass man jetzt anfängt, konkret Kampagnen ohne Cookies zu fahren. So lernt der Werbekunde nicht nur, sich vorzubereiten, sondern hat auch sofort greifbare Vorteile. Dank unserer Partnerschaft mit Equativ haben wir jetzt die Adtech-Strecke komplettiert. Du kannst also nicht nur mit Adform, sondern auch mit anderen DSPs wie DV360 oder The Trade Desk darauf zu greifen.

ADZINE: Danke für das Gespräch, Norman.

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