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ADTECH

Neue Datensignale liefern mehr Präzision in der Data-Value-Chain für Adtech

Olaf Peters-Kim, 26. September 2024
Bild: Donald Giannatti – Unsplash

An guten Adtech-Expert:innen bewundere ich die Fähigkeit, sich in ambivalenten Umgebungen zurechtzufinden, in denen sie ständig mit Spannungen und Widersprüchen zwischen konkurrierenden Interessen und Werten umgehen müssen. Täglich bewältigen sie komplexe Situationen, in denen es keine einfachen Antworten gibt, wie das Finden des richtigen Gleichgewichts zwischen kurzfristigen Marketing-Performance-Zielen und der Notwendigkeit eines langfristigen Markenaufbaus ihrer Kunden, Datenschutz vs. Personalisierung oder dem Abwägen zwischen technologischen Innovationen wie KI und Aspekten der Nachhaltigkeit. Es ist wie der Versuch, gleichzeitig einen 100-Meter-Sprint zu gewinnen und ein Marathonläufer zu werden – während man mit KI jongliert und nebenbei Bäume pflanzt.

Diese Kompetenz erweist sich in der programmatischen Welt als besonders wertvoll, wo man sich angesichts der großen Datenmengen schnell in ein trügerisches Gefühl von Vorhersehbarkeit und Kontrolle wiegen könnte. Der unreflektierte Einsatz traditioneller Targeting-Methoden kann schnell problematisch werden, wenn er die komplexe und unvorhersehbare Natur menschlichen Verhaltens nicht ausreichend berücksichtigt. Die Annahme, dass datengesteuertes Targeting – sei es auf der Grundlage von Cookies, Identifikatoren und kontextuellen Signalen – immer eine hohe Zielgenauigkeit garantiert, wäre nur dann uneingeschränkt gültig, wenn man die komplexe und unvorhersehbare Natur menschlichen Verhaltens komplett ignoriert.

Die Data-Value-Chain im Online-Marketing

Um das richtige Gleichgewicht für die Nutzung der besten Werbedaten zu finden, setzen erfolgreiche Adtech-Expert:innen auf die Analyse der Werbedaten-Value-Chain. Diese besteht meistens aus den folgenden Phasen:

  • Sammlung (Collection),
  • Speicherung (Storage),
  • Verarbeitung (Processing),
  • Analyse/Interpretation (Analysis/Interpretation),
  • Visualisierung/Berichterstattung (Visualization/Reporting) und schließlich
  • Anwendung/Monetarisierung (Application/Monetization).

Der Zugriff auf Zero-, First- und Third-Party-Daten wird in der Sammelphase durch Consent Management Platforms (CMPs) gesteuert. Von der Sammlung bis hin zur Speicherung, Verarbeitung und Interpretation der Daten spielen Measurement- und Analysetool-Anbieter, CRMs, DMPs, CDPs, Datenlieferanten und Daten-Kuratoren jeweils in ihren eigenen Domänen eine wichtige Rolle. Der eigentliche Mehrwert der Value Chain entsteht in der letzten Phase: Publisher streben eine verbesserte Monetarisierung an, während Werbetreibende eine bessere Zielgruppenansprache zu niedrigeren Kosten verlangen. Die konkurrierenden Interessen dieser beiden Marktteilnehmer sind ein Grund dafür, warum das Adtech-Ökosystem Schwierigkeiten hat, die Komplexität im Sinne einer Supply-Path Optimization zu reduzieren (dies lässt sich besonders gut in den USA beobachten, wo unter dem Vorwand der Supply-Path Optimization DSPs direkte Anbindungen an Publisher aufbauen, während umgekehrt SSPs direkte Verbindungen zu Advertisern und Agenturen anbieten – was jeweils von der Gegenseite auf Kritik stößt).

Die Datenqualität ist zweifellos eine der größten Herausforderungen, die durch minderwertige oder kurzlebige Daten zusätzlich erschwert wird. Zudem stellt die Komplexität und das ständig wechselnde menschliche Verhalten die präzise Interpretation von Daten für Werbezwecke vor eine schwierige und ressourcenintensive Herausforderung. Adtech-Profis erweitern ihren Fokus von reinen Datenpunkten hin zum Menschen und beherrschen den Einsatz moderner Tools, die Erstellung intelligenter Segmentierungen sowie den programmatischen Mediaeinkauf. Sie tragen gegenüber ihren werbetreibenden Kunden die Verantwortung für die Integrität der verwendeten Daten – eine Aufgabe, die in Zeiten zunehmender Signalverluste an immer größerer Bedeutung gewinnt, da zuerst die seriösen Datenquellen betroffen sind, die sich strikt an Datenschutzbestimmungen halten.

Money follows the eyeballs 2.0

Um effektive Targeting-Strategien umzusetzen, geht es Adtech-Profis allerdings zunehmend darum, nicht nur qualitativ hochwertige, sondern auch ausreichend große Datenmengen einzusetzen. Die Lebensdauer von Cookies hat schon immer das Volumen der für Targeting verfügbaren Datensignale begrenzt. Seit der Einführung strengerer Datenschutzvorschriften, wie der DSGVO, und durch strengere Rahmenbedingungen im Umgang mit Nutzerdaten durch große Konzerne wie Apple (beispielsweise die Einschränkungen durch IDFA), hat sich das Volumen der verfügbaren Signale und somit die Anzahl der adressierbaren Personen im Internet signifikant verringert. Gemeint sind vor allem die wachsende Zahl an Online-Nutzer:innen, die den Consent verweigern, also nicht nur Cookies, sondern auch Identifikatoren ablehnen, Werbeblocker nutzen oder Browser im Datenschutzmodus verwenden.

Diese wachsende Nutzergruppe bleibt für manche Akteure des Adtech-Ökosystems unsichtbar, wodurch einige Marktteilnehmer Geld auf dem Tisch liegen lassen. Heute spiegelt sich in den meisten Online-Mediaplänen noch nicht wider, dass nur noch ein Bruchteil der Nutzer:innen durch klassisches Targeting erreicht werden kann. Vergleichbar mit dem alten Motto „Money follows the eyeballs“ vor 20 Jahren, als der Großteil der Mediabudgets noch in Offline-Medien floss, obwohl die Menschen bereits viel Zeit online verbrachten, wird auch heute ein Großteil der Werbeausgaben für Targeting-Methoden eingesetzt, die nur noch etwa 30 Prozent der Nutzer:innen adressieren. Die Budgets folgen noch nicht dem veränderten Nutzerverhalten und gesetzlichen Rahmenbedingungen.

Damit riskieren Werbetreibende den Verlust von Markenbekanntheit, Marktanteilen und Neukund:innen an Wettbewerber, die auch diese sonst verborgenen Menschen mit ihren Werbebotschaften erreichen, weil deren Adtech-Experten und -Expertinnen bereits heute die Data-Value-Chain um kontextuelle Publisher Provided Signals (PPS) oder neue, von den Menschen freiwillig gegebene Signale, wie etwa Echtzeit “choices” erweitern. Durch die Integration dieser Signale in die Datentaxonomie können Kampagnen im offenen Web der Einschätzung von Marktbeobachter:innen zufolge rund 70 Prozent ihrer Reichweite zurückgewinnen. Für werbetreibende Unternehmen bietet diese erweiterte Data-Value-Chain entscheidende Wettbewerbsvorteile – nicht nur durch eine deutlich höhere Reichweite, sondern auch durch präziseres Targeting und geringere Streuverluste.

Die zentrale Frage der Value Chain

In einer Zeit, in der das Internet im gesellschaftlichen Diskurs häufig aufgrund von Desinformation, Cyberkriminalität, psychischen Gesundheitsrisiken, kartellrechtlichen Ungleichgewichten und ähnlichen Themen kritisch betrachtet wird, bietet das Internet gegenüber anderen Medien einen entscheidenden Vorteil. Es ermöglicht skalierbarere und effektivere Ansätze, wie beispielsweise die unkomplizierte Einbindung von Millionen Nutzer:innen in die Ausspielung von Werbung. Die direkte Einbindung der Menschen in die zentrale Frage der Value Chain – nämlich welche Anzeige für sie am relevantesten ist – kann nicht nur die Kampagnenergebnisse deutlich verbessern, sondern auch den Ressourcenverbrauch reduzieren. Letztlich geht es für Advertiser immer noch darum, die richtige Marketingbotschaft zur richtigen Zeit an möglichst viele richtige Personen im richtigen Umfeld auszuliefern. Wie so oft im Adtech-Ökosystem, bleibt auch hier die Balance zwischen Skalierung, Effizienz und anderen widersprüchlichen Anforderungen der verschiedenen Interessen eine zentrale Herausforderung.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Olaf Peters-Kim Über den Autor/die Autorin:

Olaf Peters-Kim hat mit seinem Partner Philipp Dommers die Welect GmbH gegründet. Davor war er zehn Jahre CFO der Mediacom und seit 1998 bei der Grey Global Group Middle Europe in verschiedenen Positionen beschäftigt. Seit der Gründung arbeitet Welect daran, das Prinzip des mündigen, selbstbestimmt agierenden Nutzers auf den Werbekonsum im Internet zu übertragen.

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