Die Auswirkungen der Fortschritte in Sachen Künstlicher Intelligenz (KI) auf den Arbeitsmarkt sind noch nicht abzusehen, doch sie verändern die Art und Weise zu arbeiten bereits heute. Auch die Werbeindustrie lotet momentan aus, wie genau noch intelligentere Algorithmen ihr helfen können. Einen entscheidenden Anteil am Erfolg einer Technologie haben jedoch naturgemäß deren Anwender:innen. Auf der diesjährigen ADZINE CONNECT in Berlin diskutierten Mediaexpertinnen und -experten über den Einfluss von KI auf die Zusammenstellung künftiger Teams und erläuterten, inwiefern sich die Rollen der Talente ändern werden. Im Folgenden fasst ADZINE die wichtigsten Erkenntnisse zusammen.
Die ADZINE-Moderatorin Sandra Goetz startet mit einem Auszug aus dem Buch “Mensch und Maschine” von Thomas Ramge, der im Erscheinungsjahr 2018 Amazons Intelligenz hinter den Empfehlungen lobt. Diese würden schätzungsweise ein Drittel aller Verkäufe auf der Plattform anstoßen. Die Online-Werbung hingegen kommt im Vergleich weniger gut weg. Sie sei weniger überzeugend und eher lästig, verfolge Nutzer:innen und zeige Produkte, die nicht interessieren oder schon vorhanden sind. Digitales Marketing braucht mehr Intelligenz, so der Autor. Dies propagiert Ramge im Fahrwasser der Datenschutz-Grundverordnung, die den Umgang mit Daten in der Werbeindustrie im gleichen Jahr auf links drehen wird.
Heute scheint es, als könne Künstliche Intelligenz in die Bresche springen und Werbung perspektivisch tatsächlich wie gewünscht schlauer machen. Nun ist KI kein Novum für die Marktteilnehmer im Digital Advertising, berührt jedoch zunehmend mehr Bereiche und wird breiter verfügbar. Ralf Brüser, der für H&M Strategie und Planung in Sachen Media verantwortet und sich zusätzlich um CRM und Loyalty-Programme kümmert, plädiert generell für einen kritischen Umgang mit KI-Technologie. Sein Konzern schiebe in letzter Zeit mehr Budgets in Richtung I/O und damit fort von maschinellen Entscheidungen. “Wir machen wieder aktiv einen Schritt zurück, weil wir gar nicht in der Lage sind, es sauber und reinen Gewissens so zu managen, wie wir es brauchen”, sagt Brüser. Damit spielt er nicht nur auf KI, sondern auch auf die fragwürdigen Umfelder an, in denen die Anzeigen ausgespielt werden. Man solle nicht jedem Hype blind hinterherrennen.
Wie verändert KI die Rollen in Media?
Offenen Auges lohnt sich jedoch natürlich ein Blick auf das Potenzial der Technologie. Eine Voraussetzung für den Erfolg von KI sind Personen, die wissen, wie sie richtig eingesetzt wird. Haben sich die Anforderungen an Kandidaten und Kandidatinnen also geändert? Laut Brüser ist kritisches Hinterfragen folglich eine der Fähigkeiten, die solche Talente mitbringen müssen.
Seine Mitdiskutantin Sabine Schmidt ist bei Axel Springer für alles rund um Daten verantwortlich und stammt ursprünglich aus dem Tourismus. Im Rahmen von Einstellungen für den Data-Bereich bei dem Medienhaus besinnt sie sich auf eine Kompetenz aus ihrer früheren Wirkungsstätte: Kommunikation. “Wir gucken, ob diese Leute schwierige Themen leicht verständlich kommunizieren können”, so Schmidt. Dies könne man im Gegensatz zu Marketing- und Datenkompetenz nicht antrainieren. Im Springer-Kosmos sollen die Persönlichkeiten und Ausbildungshintergründe möglichst divers sein, weil es der Themenwelt, in der sie sich bewegen, entspricht.
An den Anforderungen an die Rollen hat sich eigentlich gar nicht so viel geändert, meint Stefan Uhl von Mediaplus, der 28 Jahre Erfahrung aus dem Agenturgeschäft mit in die Runde bringt. Auch in den Neunzigern hätte man in den Agenturen schon festgestellt, dass sich die Welt schnell verändert. Es ginge in Media-Teams immer noch darum, komplexe Themen zusammenzufassen, wenn auch mit mehr technischem Verständnis und erweiterten Zusatzkompetenzen aus anderen Disziplinen. Das Ziel laute weiterhin, die richtigen Personen mit der passenden Botschaft anzusprechen. Schon damals habe man sich technischer Hilfsmittel bedient, um dies zu erleichtern. Heute seien eben das Umfeld und die Möglichkeiten neu, doch die Tugenden sind laut dem Agenturfachmann gleich geblieben. “Aber jetzt musst du richtig denken”, präzisiert Uhl, etwa wenn es darum geht, Prompts richtig zu formulieren oder Reportings von der AI zu deuten.
Torben Heimann, langjährige Führungskraft bei Digitalunternehmen und heute Berater im Advertising-Kosmos, hält dagegen: “Ich glaube, es wird anders”. Ihm zufolge gibt es zunehmend Daten in allen Bereichen, doch bis jetzt würden sich die meisten Media-Teams nur ausgewählte KPIs ansehen, die aus den Systemen berichtet werden. Der Knackpunkt jedoch sei, diese Flut an Daten – deren Geschwindigkeit zunimmt – verstehen zu können. Seiner Meinung nach sind die Teams von morgen daher funktionsübergreifend aufgebaut. Die Bereiche Kreation, Analytics und technisches Verständnis rücken näher zusammen.
Wie verändert die KI die Arbeit?
KI wird einige Aufgabenbereiche vereinfachen, darin sind sich alle einig. Sabine Schmidt blickt aus der Publishing-Perspektive heraus und zeigt die Möglichkeiten auf. Hat man früher beispielsweise eine Woche für Content-Produktion, Bild-Kreation und Vorproduzieren eines Podcasts gebraucht, geht es heute deutlich schneller. “Jetzt, mit der KI, kannst du einen Praktikanten dransetzen und der macht das in einer halben Stunde.” Die Qualität des Ergebnisses sei dahingestellt, doch das Fallbeispiel zeigt die Schnelligkeit und Einfachheit, mit der jede:r Inhalte produzieren kann. Daher sind vertrauenswürdige Quellen in diesem Kontext wichtiger denn je, betont Schmidt.
Ralf Brüser gibt zu bedenken, dass die Kommunikation immer noch für Menschen gemacht wird. Lässt sich rein mit KI überhaupt eine echte Verbindung zu den Menschen aufbauen? Bis wir intelligente Kampagnen mit Witz und Humor aus der Maschine sehen, würde es noch eine Weile dauern. Zwar sparen schon jetzt Media-Teams viel Zeit und müssen nicht ins Labor, um zu testen. Aber: “Wir machen immer noch unsere Shootings mit echten Models, weil es menschelt”, erklärt Brüser.
Die KI kann optimieren, doch den Start muss trotzdem noch ein Mensch mit seiner Kreativität machen, pflichtet ihm Stefan Uhl bei. Torben Heimann verweist in diesem Sinne auf den Use Case Budgetallokation und damit auf die Automatisierung der Prozesssteuerung. Wenn die Werbekampagne einmal läuft, kann die Optimierung also automatisierter laufen als vorher.
Wo finden Unternehmen die Bausteine für die Media-Teams der Zukunft?
Eine starke Marke wie H&M profitiert von ihrer Strahlkraft und ist in der bequemen Ausgangslage, dass die Talente zum Unternehmen kommen statt umgekehrt. Da KI das Leben einfacher gestalten soll, führt es im besten Falle auch dazu, dass die Kandidaten und Kandidatinnen weniger Software-Kompetenz mitbringen müssen als noch vor einigen Jahren. Schon jetzt gilt: “Die wenigsten Leute, die wir hiren, sind Raketentechniker oder AI-Spezialisten”, verrät Brüser. Noch seien das Problem nicht die Fachkräfte, sondern die Zusammenstellung des Teams. “Wenn ich Leute einstelle, gucke ich viel aufs Herz und nicht nur auf den Lebenslauf”, so der H&M-Manager.
Für die Bedeutung der Persönlichkeit statt des Studienabschlusses plädiert auch Uhl. Gerade in Media-Agenturen sollte man mehr in die Breite gehen, was die Ausbildung angeht. Diversität bringe gute Dinge im Team hervor. Während Schmidt die Bedeutung von Neugier betont – “neue Themen muss man ausprobieren wollen” –, zitiert Heimann einen damaligen BMW-CMO. Auf die Frage, wie BMW wichtige strategische Positionen besetzt, antwortete dieser mit Leistungsbereitschaft, Leidenschaft und Loyalität. In anderen Worten: Man muss viel arbeiten wollen, für sein Thema brennen, seinem Team den Rücken stärken sowie unbequeme Entscheidungen von anderen aushalten können. Das gilt auch heute noch bei der Arbeit mit Künstlicher Intelligenz.
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