Die Werbeindustrie bereitet sich seit Jahren darauf vor, komplett ohne Third-Party-Cookies auszukommen. Auch wenn Google das offizielle Ende des Drittanbieter-Cookies nochmals verschoben hat, sind sie eh nur noch in Chrome vorhanden. Bei der Suche nach Alternativen für die Adressierbarkeit von Werbemaßnahmen hat sich ein Potpourri an Lösungen herauskristallisiert. Google selbst feilt mit Unterstützern in seiner Privacy Sandbox ebenfalls an unterschiedlichen Adtech-Tools, die personalisierte Werbung datenschutzfreundlich ermöglichen sollen. Die Aussagen zu deren Praxistauglichkeit variieren je nachdem, wen man fragt. ADZINE hat bei Google direkt den aktuellen Stand der Privacy Sandbox erfragt und bei den Werbetreibenden nachgehorcht, wie sie sich für die Post-Cookie-Welt aufstellen.
Google hat mit der Verschiebung seiner Cookie-Deadline kürzlich für viel Wirbel gesorgt. Kurz zuvor ging es nach der scharfen Kritik des IAB an der Privacy Sandbox hin und her. Was bleibt, ist ein verunsicherter Markt. Sind die cookielosen Tools aus der Sandbox nun einsatzbereit oder nicht? “Die Technologien der Privacy Sandbox sind seit September 2023 vollständig in Chrome verfügbar und einsatzbereit”, sagt Lidia Schneck, Strategic Partner Development Manager & Privacy Sandbox Partnerships von Google. “Der Start der von Chrome unterstützten Tests der Relevanz- und Messtechnologien in der ersten Hälfte dieses Jahres war erfolgreich. Gleichzeitig sehen wir ein großes Engagement der Entwickler:innen im gesamten Web-Ökosystem zur Vorbereitung auf die Abschaffung der Drittanbieter-Cookies”.
Die APIs der Privacy Sandbox seien jedoch als Bausteine für die Unternehmen zu verstehen und keinesfalls als Eins-zu-Eins-Ersatz für Drittanbieter-Cookies oder Cross-Site-Identifikatoren. “Sinnvolle Verbesserungen für den Schutz der Privatsphäre aller Nutzer:innen zu realisieren, funktioniert nicht, wenn gleichzeitig der Anspruch besteht, dass jeder Marketingansatz von heute schlichtweg kopiert und beibehalten werden soll. Wir sprechen hier über einen grundlegenden Wandel, der Investitionen, Arbeit und vor allem eine enge Zusammenarbeit erfordert”, so Schneck.
Abschaffung der Third-Party-Cookies 2025?
Der Erfolg der Privacy Sandbox hänge wesentlich von der kollektiven Zusammenarbeit der gesamten Branche ab. Hunderte Expert:innen und Entwickler:innen kämen in diversen Foren und Diskussionsrunden zusammen, um sich über das API-Design auszutauschen. Auch die Regulierungsbehörden haben ein Wörtchen mitzureden. Die britische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (CMA) brauche etwa ausreichend Zeit, um Feedback eingehend zu prüfen. Das alles unter einen Hut zu bringen, sei auch für Google eine Herausforderung. “Kurzum: Die Privacy Sandbox ist kein Alleingang von Google. Wir werden deshalb auch weiterhin eng mit der CMA und der britischen Datenschutzbehörde ICO zusammenarbeiten und hoffen, dass wir diesen Prozess noch in diesem Jahr abschließen können. Wenn wir eine Einigung erzielen können, wollen wir Anfang nächsten Jahres mit der Abschaffung der Drittanbieter-Cookies beginnen.”
Adressierbarkeit als Kernaufgabe des Marketings
Die anderen Marktteilnehmer stellen sich indes für die Zeit nach dem Third-Party-Cookie auf. Die Strategien der Advertiser variieren, schließlich gibt es keinen allgemein gültigen Ansatz, der für jede Marke funktioniert. In Deutschland wird gern ein Blick nach links und rechts geworfen, um das eigene Vorgehen auszuloten. Eine Marke, die sich ins Rampenlicht traut, ist Singapore Airlines. Die nationale Fluggesellschaft des Stadtstaates arbeitet seit 2021 teilweise cookielos, sagt Rolf Thomke, Head of Digital Distribution Europe von Singapore Airlines. Abwarten kann man sich dort nicht leisten, denn “schon jetzt ist die Mehrheit der User in DACH cookiefrei” und muss anderweitig adressiert werden. “Adressierbarkeit bleibt eine Kernaufgabe unseres Marketings”, so Thomke. Die Singapore Airlines decke nur einen kleinen Teil des deutschen Reisemarktes ab, davon idealerweise das Premiumsegment. “Es ist für uns entscheidend, die User zu finden, die ihre Traumreise nach Bali oder Australien auch wirklich durchführen wollen und nicht nur davon träumen”, sagt der Digitalchef. “Wer in seinem Leben nur nach Mallorca oder an die Ostsee reist, wird kaum Werbebanner von uns erhalten”.
Um die Adressierbarkeit zu gewährleisten, testet Singapore Airlines verschiedene Cookieless-Modelle. Die Lösungen seien jedoch eine Zeit lang Näherungswerte und stochastische Berechnungen, wodurch die Ergebnisse mit einer gewissen Vorsicht behandelt werden müssen, sagt Thomke. Ohne aktives Testen bekommt man allerdings keine Ergebnisse. “In der Praxis sieht manches anders aus als in der Theorie. So war ich zum Beispiel nie ein Fan von Kohortenbildung, dem Google-Modell. In der Praxis scheint es aber besser zu funktionieren als befürchtet”. Den Kern der Cookieless-Ansätze bilden aber First-Party-Daten. “Airlines sind hier in einer beneidenswerten Lage”, gibt Rolf Thomke zu. “Durch ihre über Jahrzehnte entwickelten Kundenbindungsprogramme – Miles & More ist hier sicher am bekanntesten – sitzen viele Airlines auf einem Datenschatz. Dies für Marketing GDPR-konform zu nutzen, ist ein guter Workaround zur ‘Cookiecalypse’”. Außerdem seien auch die GAFA nach wie vor ein hervorragender Workaround.
Strategien zur Datenerhebung ausbauen
First-Party-Daten stehen beim Hamburger Luxusmodehaus Unger ebenfalls hoch im Kurs. “Wir legen einen starken Fokus auf den Ausbau von First-Party-Daten”, sagt Fabian Haustein, Chief Digital Officer von Unger. “Apple ist mit seinem Safari-Browser schon früh aus dem Thema Drittanbieter-Cookie ausgestiegen und anhand der Situation konnten wir schon einige Learnings erzielen.” Der Einzelhändler möchte vor allem die Datenerhebung verbessern. Dazu biete Unger seinen Kunden und Kundinnen Mehrwert durch exklusive Inhalte, frühzeitigen Zugang zu Kollektionen und personalisierte Empfehlungen im Austausch für ihre Daten. Außerdem wird die Kundenbindung mit einem Loyalty-Programm gestärkt, um wertvolle Informationen über Präferenzen und Kaufverhalten zu gewinnen.
Die erhobenen Daten nutzt Unger dann dazu, um möglichst personalisierte und gezielte Werbekampagnen zu erstellen, die auf die spezifischen Interessen und Bedürfnisse der Kundinnen zugeschnitten sind. “Wir segmentieren unsere Kundendaten basierend auf Kaufhistorie, Online-Interaktionen und Präferenzen. Dadurch können wir verschiedene Kundengruppen individuell ansprechen”, erklärt Fabian Haustein.
Auf technologischer Ebene sei man im Austausch mit Werbenetzwerken und Plattformen, um alternative Lösungen zu entwickeln, die auf eine datenschutzfreundliche Weise die Adressierbarkeit ermöglichen. “Der erste POC läuft schon recht erfolgreich”, so Haustein weiter.
Lernen von den Cookie- und ID-Audiences
Die Adtech-Anbieter arbeiten ihrerseits an Lösungen, um dem Cookie-Schwund entgegenzutreten. Die Programmatic-Plattform Teads pocht unter anderem auf den verstärkten Einsatz der Publisher-First-Party-Daten, um zum Beispiel das Leseinteresse für Targeting-Zwecke zu nutzen. “Diese Daten sind wertvoll, da sie aus vertrauenswürdigen, direkt nachvollziehbaren Quellen stammen und nicht von Browser-Restriktionen betroffen sind. Allerdings lässt sich dieser Ansatz nicht beliebig skalieren, da Erfassung und Aktivierung der Segmente auf den jeweiligen Publisher begrenzt sind”, erklärt Christian Zimmer, Managing Director Deutschland von Teads. Bei der Skalierung wiederum können ID-Lösungen helfen. “Login-basierte IDs bieten eine Methode, das Nutzerverhalten über mehrere Geräte und einen gewissen Zeitraum hinweg zu erfassen und einheitliche Nutzerprofile für Personalisierung und effektivere Ausspielung zu erstellen. Nutzereinwilligung vorausgesetzt, bieten diese IDs vergleichbare Funktionalitäten wie Third-Party Cookies”, meint Zimmer.
Das kontextuelle Targeting biete ebenfalls eine Alternative zur cookiebasierten Ansprache. Dabei gehe es nicht um vergangenes Nutzungsverhalten des Users und daraus abgeleitetem Interesse, sondern um eine optimale Abstimmung zwischen Ad und Content. Eine möglichst genaue, granulare und aktuelle Taxonomie sei ausschlaggebend. “Hierbei hilft insbesondere eine semantische Erfassung des Website-Inhalts, um das Werbemittel genau in dem Umfeld zu platzieren, in dem es für den User einen informativen Mehrwert generiert”, sagt Zimmer.
Ein interessanter Ansatz, der zunehmend an Relevanz gewinnt, seien Predictive Audiences auf der Basis von KI. Dazu wird eine sogenannte Seed-Audience als Referenz herangezogen, die mit deterministischen Signalen als Segment erfasst wurde. “Im nächsten Schritt werden zugehörige Metadaten der entsprechenden User erfasst und ausgewertet, wie zum Beispiel das genutzte Device, die besuchte Website, die Zeit oder die genaue kontextuelle Klassifizierung des Website-Inhalts”, erläutert Christian Zimmer. “Die KI erlaubt es anschließend, nur auf Basis der so erkannten Datenmuster, das heißt Kombinationen in den Metadaten, solche Nutzer anzusprechen, die der Seed-Audience entsprechen.” Eine Seed-Audience könnte beispielsweise in Umfragen ihr Kaufinteresse von Mittelklassefahrzeugen bekundet haben und bleibt mittels Cookie oder Login-ID stabil identifizierbar. Typische Kombinationen in den Metadaten lassen sich auch ohne Cookie oder ID bei weiteren Nutzer:innen finden. “Die Berechnung der relevanten Kombinationen erfolgt regelmäßig neu, um stets eine genaue Identifizierung zu ermöglichen”, meint der Deutschland-Chef von Teads.
Der Blick über den Sandkasten hinaus
Google stellt in seiner Privacy Sandbox diverse Möglichkeiten bereit, Werbung auch ohne Drittanbieter-Cookies zu personalisieren. Allerdings kann der Konzern dies nicht im Alleingang lösen, sondern ist auf den Arbeitseinsatz der anderen Player im Markt angewiesen. Die Adtech-Unternehmen haben ihrerseits ihre Lösungen in Stellung gebracht und in Produkte gegossen. Währenddessen testen die Advertiser, was für sie funktioniert, wobei sich vor allem First-Party-Daten als solides Mittel erwiesen haben, auf das sie aufbauen können. So oder so bleibt Adressierbarkeit eine zentrale Säule in der Marketingkommunikation.
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