Programmatic Advertising wächst seit seiner Entstehung unaufhaltsam. Der Anteil des programmatisch gehandelten Inventars am deutschen Online-Displaywerbemarkt beträgt 74 Prozent. Damit werden laut des Online-Vermarkterkreises (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) Umsätze in Höhe von 4,4 Milliarden Euro erzielt – Tendenz noch immer steigend. Das Display-Inventar bietet eine Steilvorlage für Programmatic und ist entsprechend als erstes “durchprogrammatisiert” worden. Dennoch hat die Buchungsform schon längst weitere Sektoren der Werbung erfasst und macht vor den traditionellen Gattungen nicht halt. Wie lange kann Programmatic ein Wachstumstreiber für die Digitalwirtschaft bleiben? Ist das Ende der Fahnenstange in Sicht? ADZINE hat im Vorfeld der ADZINE CONNECT in der Branche nachgefragt, welche Bereiche in Programmatic noch Wachstumspotenzial aufweisen, damit die Erfolgsgeschichte fortgesetzt werden kann.
“Programmatic Advertising ist heute aus keiner Gattung mehr wegzudenken”, weiß Katharina Pech, Director Programmatic Products & Services von der Baden-Badener Agentur Media Plan. “Gerade in den klassischen Planungsmedien wie Audio und TV, aber auch Print, tut sich einiges.” Diese Aussage lässt sich mühelos untermauern. So ist vergangenes Jahr die erste programmatische Audio-Kampagne im Live-Radio gelaufen. Im traditionellen Printmarkt scharren die Adtech-Anbieter mit den Hufen, weil sie Open Auction vorantreiben wollen. Das Inventar im linearen TV wird zunehmend programmatisch verfügbar und mit Connected TV ist ein ganz neuer Werbekosmos entstanden, dem Programmatic auf den Leib geschneidert scheint. “Langfristig eröffnet das auch Möglichkeiten für Advertiser, die in den betreffenden Gattungen und Kanälen noch nicht präsent waren”, meint Pech.
Programmatic DOOH lockt frische Budgets
Die Außenwerbung befindet sich ebenfalls unter den traditionellen Werbegattungen, die sukzessive an das Programmatic-Ökosystem angeschlossen werden. Digital-Out-of-Home (DOOH) ist seit Jahren ein Wachstumsfeld – und das liegt auch an Programmatic, weiß Claudius von Soos, Head of Media Sales and Programmatic Advertising bei TV-Wartezimmer. Zahlen von Nielsen zeigen, dass die digitalen Werbeträger mittlerweile 41 Prozent Marktanteil innerhalb der Außenwerbung besitzen, 40 bis 50 Prozent werden programmatisch gebucht, sagt von Soos. Der oberbayrische Spezialist TV-Wartezimmer bietet selbst Werbeflächen auf digitalen Screens in Arztpraxen an, die via Programmatic eingekauft werden können. Von Soos gibt Katharina Pech recht. “Aus meiner Erfahrung kommen seit Jahren viele neue Kunden und Etats durch die Buchungsoption ‘Programmatic’ hinzu. Auch Agenturen, die sich früher nicht einmal ansatzweise mit OOH beschäftigt haben, sind inzwischen regelmäßig mit Kampagnen dabei”.
Die aus Online bekannte Buchungsmechanik sei anscheinend für eine ganze Reihe von Kunden ein entscheidendes Argument, DOOH auszuprobieren und das Wachstum der Gattung zeige, dass diese Kunden dabeibleiben und ihre Etats erhöhen. Das Ende der Fahnenstange ist für Claudius von Soos definitiv noch nicht erreicht, schließlich seien noch lange nicht alle potenziellen Touchpoints für DOOH erschlossen.
Digitale Transformation befeuert Programmatic TV
Die klassische Fernsehwerbung vereint in Deutschland neben dem Online Advertising die meisten Werbegelder auf sich. Laut einer Analyse der OMG lag der Nettowerbeumsatz im linearen TV 2023 bei knapp 3,7 Milliarden Euro. Diese Budgets in das programmatische Ökosystem zu überführen, oder zumindest einen Teil, lockt zahlreiche Player. Die großen TV-Häuser investieren selbst seit Jahren massiv in ihre digitale Infrastruktur – nicht zuletzt, um die Abwanderung der Budgets an Mitstreiter zu verhindern.
„Programmatic TV ist ein Markt mit großen Wachstumschancen”, glaubt Marlene Beck, Teamlead Technical Solutions der D-Force. Als Joint Venture von Prosiebensat.1 und RTL leistet das Unternehmen seit 2019 den technischen Support für Advertiser und Agenturen, um den programmatischen Mediaeinkauf des Inventars der beiden Konzerne zu gewährleisten. Beck zufolge stünden zum einen erhebliche Budgets für klassische TV-Werbung zur datengetriebenen digitalen Transformation an. Aber auch von außerhalb könnten neue Geldströme in Programmatic TV fließen. “Die neuen Big-Screen-Werbemöglichkeiten, die sich aus der programmatischen Konvergenz von linearem TV, ATV und CTV beziehungsweise Streaming ergeben und die innovative Bewegtbild-Kampagnenkonzepte mit hoher Effektivität und Effizienz ermöglichen, haben das Potenzial, Budgets aus anderen Mediengattungen in den Big-Screen-Bereich zu ziehen”, so die Expertin. Programmatic muss sich also nicht ausschließlich aus “transformierten Geldern” speisen.
Voraussetzungen für weiteres Wachstum
Die Voraussetzung, damit das Potenzial im TV gehoben werden kann, sind laut Marlene Beck kanalübergreifende Standardisierungen und Harmonisierungen sowie die Reduzierung von Komplexität. Das gilt wiederum für nahezu jeden Kanal, der mit Programmatic wachsen will, dennoch unterscheiden sich die spezifischen Herausforderungen. “CTV zeigt beispielsweise enorme Potenziale, nicht nur was das weitere Nutzungswachstum angeht, sondern auch in Sachen Targeting und Measurement”, erklärt Katharina Pech von Media Plan. Momentan sei eher ein Flickenteppich aus Lösungen zu finden. “Um hier auf Reichweite und vor allem inkrementelle Reichweite zu planen beziehungsweise zu steuern, sind – auch aufgrund einer noch fehlenden gemeinsamen Planungsgrundlage – neue Ansätze erforderlich, die sich – im Falle von CTV – von der gewohnten TV-Planung unterscheiden.”
“Dort, wo dieser Sprung geschafft ist, sehen wir ein sehr gutes Wachstum”, so die Agenturfachfrau. “Weiterhin ist Aufmerksamkeit für Themen wie Fraud, aber auch Qualität im Sinne von Inventar und Targetinggüte, unabdingbar, um die Potenziale effektiv nutzen zu können – das betrifft jedoch nicht nur CTV, sondern eigentlich alle programmatisch gehandelten Kanäle.”
Nächster Stopp: Automatisierung des I/O-Business?
In den klassischen Werbegattungen steckt demnach viel Potenzial für die Ausdehnung des programmatischen Handels. Im Web – also dort, wo Programmatic geboren wurde – scheint das Wachstum inzwischen an seine Grenzen zu stoßen. Hier wachsen vor allem die GAFAs dieser Welt. Beim genaueren Hinsehen schwenken Marken und ihre Agenturen im Open Web vermehrt zurück zum I/O-Business, besonders für Branding-Kampagnen. Gründe dafür sind vorrangig in den hohen Technikkosten für Programmatic, im Schwinden der harten Daten und Problemen in Sachen Brand Safety zu finden, wobei letztere auch auf die Erstarkung der KI bei der Content-Produktion zurückzuführen sind. Das I/O-Geschäft umschifft diese Herausforderungen.
In diesem klassischen Direktgeschäft sieht Jens Pöppelmann, CEO bei SQL Service, ebenfalls gewaltiges Potenzial für Wachstum. Sein Unternehmen hat sich die Automatisierung des I/O-Business auf die Fahne geschrieben. Die Direktbuchung wiederum könne von Programmatic lernen, denn “das eigentliche Geheimnis von Programmatic liegt in der Standardisierung der Auslieferung über das Open-RTB-Protokoll. Mit dem neuen Standard DBCFM haben wir gemeinsam mit vielen anderen Dienstleistern, Publishern und Agenturen im deutschen Werbemarkt einen Standard entwickelt, der genau das für das I/O Business realisiert”, sagt Pöppelmann.
Der DBCFM-Standard ist seit April 2024 aktiv und werde laut des Adtech-Fachmanns immer mehr Publishern und Agenturen die Arbeit im täglichen Geschäft erleichtern. “Inventare und Werbeformen, die über Programmatic nicht erreichbar waren, können nun über den DBCFM-Standard automatisiert gebucht werden und Publishern helfen, ihr Inventar schneller und besser auszulasten”, meint Pöppelmann. SQL beackert neben Digital übrigens auch die Gattungen Print, DOOH, Audio sowie TV – alles Felder, in denen Programmatic ebenfalls weiter wachsen soll.
Schneller, höher, weiter
Die Spezialist:innen sehen geschlossen weiteres Wachstum des programmatischen Werbemarkts voraus. Insbesondere die traditionellen Gattungen weisen ihnen zufolge Potenzial auf, das gehoben werden kann. Die Grundvoraussetzung dafür lautet neben der funktionierenden Infrastruktur zum Mediahandel vor allem Qualität, sowohl des bereitgestellten Inventars (was Markensicherheit mit einschließt) als auch der Targeting- und Measurement-Möglichkeiten. Wenn darüber hinaus die einfache Handhabung der Buchungssysteme bei vernünftigen Preisen für die Technik möglich sind, darf man optimistisch sein, dass die Erfolgsgeschichte von Programmatic anhält. Bis dato haben die Anbieter jedenfalls noch immer gute Arbeit geleistet. Parallel dazu steht die Automatisierung des I/O-Business bereits in den Startlöchern.