Programmatic Print ist bereit für Open Auction
Anton Priebe, 6. Mai 2024Traditionelle Printwerbung in Zeitungen oder Magazinen muss heute nicht mehr per Telefon geordert werden. Das Hamburger Start-up Pryntad macht Printmedien digital buchbar und hat einen Marktplatz geschaffen, der die Anzeigen in Deutschland und der Schweiz sogar programmatisch handeln kann. Im Interview erklären die beiden Gründer:innen Anja Visscher und Philipp Wolde, wie weit sie mit der Digitalisierung des klassischen Markts vorangeschritten sind, welche Möglichkeiten Programmatic Print mittlerweile bietet und wie ihre Zukunftspläne aussehen.
ADZINE: Hallo Anja und Phil! Ende 2022 seid ihr mit Programmatic Print gestartet. Können die Werbetreibenden heute schon etwas mit dem Thema anfangen? Oder müsst ihr jedes Mal wieder von vorne erklären, dass Anzeigen in Zeitungen und Zeitschriften mittlerweile programmatisch gebucht werden können?
Anja Visscher: Sie können auf jeden Fall etwas damit anfangen. Unsere Hauptklientel sind ja Digitalagenturen, die ihre üblichen digitalen Kanäle um zusätzliche Werbekontakte ergänzen wollen. Printmedien nach Online-Marketing-Prinzipien automatisiert zu buchen, ohne dass man sich in einen Print-Workflow begeben muss, wird verstanden und zunehmend genutzt. Dies geschieht momentan meist jedoch über unsere eigene Plattform, also nicht programmatisch im Sinne von Auktionen.
ADZINE: Woran liegt das?
Anja: Die Buchungsmöglichkeit über die programmatische Infrastruktur muss einerseits von den Kunden und andererseits allen Programmatic-Playern gemeinsam vorangetrieben werden. Das läuft bei uns auf der Demand-Side über Active Agent und – ganz frisch – Hawk. Die Supply-Side übernimmt technologisch die One Tech Group. Wir selbst repräsentieren die Inventarseite und sind bereit für Open Auction!
ADZINE: Was tut ihr, um den Einstieg zu erleichtern?
Philipp Wolde: Wir haben für Print Run-of-Channel neu erfunden und dieser Buchungsweg eignet sich sehr gut für Programmatic. So können Advertiser und Agenturen zu günstigen TKPs Zielgruppen-Channel buchen, die wie eine Whitelist für renommierte Titel aufgebaut sind. Ob das jetzt Männerzielgruppen, Best-Ager, Wissens-Channel oder Foodies sind.
ADZINE: Print gilt vielerorts als aussterbendes Medium, besonders in unserer Digital-Bubble. Das seht ihr sicherlich anders. Wie viele Menschen erreicht man mit Print in Deutschland?
Anja: Das kann ich dir ganz genau sagen: 76 Prozent der Gesamtbevölkerung ab vierzehn Jahren lesen mindestens mehrmals im Monat, also regelmäßig, Zeitungen oder Zeitschriften, quer durch alle Altersgruppen hinweg. Wir haben jetzt 13.000 Medien bei uns in der Datenbank allein für Deutschland. Mit der Schweiz kommen nochmals knapp 1.000 hinzu. Der Markt ist riesig und völlig unterschätzt.
Phil: Man muss nur an einem großen Bahnhof in den Kiosk gehen. Dort siehst du eine riesige Auswahl an Titeln, die den Großteil der Zielgruppen abdecken. Das ist keine Ausstellung, kein historisches Printmuseum. Die sind da, weil sie gekauft werden. Und wer fünf Euro für ein E-Bike Magazin ausgibt, der liest das auch. Dazu kommen die B2B-Magazine, die fast 6.000 Fachzeitschriften in Deutschland umfassen.
Selbst wenn einzelne Auflagen von Titeln rückläufig sind – nach unserer Logik zahlt man nur Kontakte, die man erreicht. Somit ist es für die Agentur oder für den Kunden unerheblich, wie hoch die Einzelauflagen von einzelnen Titeln sind. Selbst in spitzen Zielgruppen sind wir deutlich im Millionenbereich mit den ausgelieferten Kontakten, weil wir eben alles bündeln.
ADZINE: Für das Targeting baut ihr auf die Daten vom Mediaservice Wasmuth und die Markt-Media-Studie “Best4planning”. Habt ihr weitere Datenquellen aufgetan?
Anja: Wasmuth liefert die Rohdaten aus den Preislisten und zum Beispiel die Information Frauenzeitschrift. Best4planning verrät uns Angaben wie Alter, Einkommen oder Kaufinteresse. Wir haben händisch weitere Informationen für das Targeting hinzugefügt. Unter anderem kommt dabei auch eine KI zum Einsatz, eine semantische Analyse, die beispielsweise die Bilder und Beschreibungen analysiert. Ergänzend dazu haben die Verlage im Rahmen einer Partnerschaft die Möglichkeit, weitere Keywords hinzuzufügen.
Daraus entsteht ein Datenlayer mit über 2.500 Zielgruppen, die wir laufend erweitern und verfeinern. Sollte eine nicht dabei sein, gehen wir gezielt ran. Mit jeder Anfrage verbessert sich also die Targeting-Qualität.
ADZINE: Wie spitz können diese Zielgruppen werden? Habt ihr ein Beispiel für eine sehr spitze Zielgruppe?
Anja: Ich habe letztens eine Anfrage zu Hochrisikobereichen bekommen, also Polizei- und Feuerwehrmagazine, alles rund um sensible Infrastrukturen. Ansonsten gibt es im medizinischen Bereich zu jedem Fachbereich spannende Gruppen wie Frauenheilkunde. Händler und Supply-Chain-Themen können auch sehr spitz werden.
Phil: Schwimmbad-Käufer fand ich cool. Ein Kunde hat Personen gesucht, die sich hochwertige Swimmingpools bauen lassen wollen. Solche Entscheider erreicht man im Print noch. Spitz können die Zielgruppen aber auch in Bezug auf die Region werden. Tageszeitungen mit all ihren Lokalausgaben bieten ein sehr gutes Regiotargeting und haben deutschlandweit eine große Bedeutung. So erreicht man vielleicht nicht die 16-Jährige aus der Stadt, aber zum Beispiel die Eigenheimbesitzer. An der Stelle schließen wir Lücken zu Digital.
ADZINE: Apropos – macht ihr neuerdings auch in Digital? Also nutzt ihr die Kontakte zu den Verlagen, um im digitalen Umfeld Kampagnen zu platzieren?
Anja: Zunächst einmal lassen sich Informationen aus Digital für Printkampagnen nutzen. Wir können Platzierungen aus Digitalkampagnen mit unserem Datenlayer matchen. Wenn wir die Exporte aus dem Kampagnenmanagement der DSP erhalten, wissen wir, wo die Anzeigen ausgespielt werden, also in welchen digitalen Umfeldern der Algorithmus die Zielgruppe überdurchschnittlich hoch klassifiziert hat. Diese Information nutzen wir für Print. Wenn eine Agentur beispielsweise Lecker.de bucht, können wir korrespondierende Publishing-Medien in Print ansteuern.
Phil: Wir können andersherum aber auch selbst I/O digital mit einbuchen, wenn die Print-Version gut funktioniert. Aus Agentur- und Kundensicht ergibt es Sinn, nicht nur die Publishing-Produkte in Print zu sehen, sondern diese um weitere Produkte zu ergänzen, wie zum Beispiel standardisierte Digitalpakete oder auch Newsletter. Die Newsletter sind wie Print ein Buch mit sieben Siegeln. Die Buchung ist mit viel Recherche und Aufwand verbunden. Dort steckt viel Potenzial für Automatisierung.
ADZINE: Ein Blick in die Zukunft – was steht bei euch auf der Agenda?
Phil: Abseits von der Produktentwicklung wollen wir wie eingangs erwähnt Open Auction vorantreiben. Unsere Channel-Logik lässt sich ja schon komplett über die DSP anbieten und abbilden. Da sind aber auch die Kunden gefragt, dies einzufordern. Mit den Floorpreisen bei den Titeln kommt man sogar auf ein digitales Niveau, wenn man möchte.
ADZINE: Wie das? Print-Kontakte sind im Allgemeinen doch hochpreisiger?
Phil: Wir haben so eine Art Super-Last-Minute-Deal mit den Verlagen, allerdings mit weniger Planbarkeit. Die Kunden legen einen TKP im Channel fest und die Verlage können bis kurz vor dem Druck entscheiden, ob sie die Creatives noch mit aufnehmen wollen, eben zu einem günstigeren Preis. Diese Auslieferung ist also nicht garantiert und planbar, aber eine Möglichkeit wirklich auf digitale Preisniveaus kommen. Für die Verlage ergibt es durchaus Sinn, auch mal sehr kurzfristige Buchungen anzunehmen. Und solche Kampagnen lassen sich wunderbar in der DSP anlegen.
ADZINE: Ihr habt mit Ringier neuerdings Schweizer Titel in der Datenbank. Was ist mit weiteren Ländern?
Anja: Mit der Schweiz haben wir den ersten kleinen Schritt Richtung Internationalisierung gemacht. Darüber hinaus buchen wir auch schon österreichische Produkte und können somit die komplette DACH Region bedienen.
ADZINE: Vielen Dank für das Gespräch!
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