Werbegestützte Streamingdienste sind im Connected TV mittlerweile gang und gäbe. Selbst die Content-Plattformen, die rein mit werbefreien Abonnements groß geworden sind, haben inzwischen werbefinanzierte Angebote im Repertoire. Die Adtech-Industrie hat diesen Trend früh erkannt und vorausschauend die Weichen dafür gestellt. 2022 fand der wohl begehrteste Pitch um die Entwicklung eines CTV-Werbemodells statt, zu dem Netflix nach seiner überraschenden Kehrtwende aufgerufen hatte. Als Sieger ging Microsoft vom Parkett, der mit seinem frisch zugekauften Adtech-Arm Xandr den Zuschlag bekam. Nach wenigen Monaten Entwicklungszeit sind bereits die ersten Kampagnen auf der Plattform angelaufen. Marion Kölling, Head of Tech Sales Central Europe bei Microsoft Advertising, war Teil des Teams, das dies möglich gemacht hat. Im Interview wirft die Buy-Side-Expertin einen Blick auf das Werbemodell von Netflix heute und beurteilt den Status quo von Connected TV in Deutschland.
ADZINE: Hallo Marion, wie beurteilst du das vergangene Jahr mit Blick auf Connected TV im deutschen Raum?
Marion Kölling: Wir haben eine sehr stark steigende Nachfrage bei wachsendem Supply gesehen. Immer mehr Haushalte sind mit einem Connected TV ausgestattet und nutzen Streamingdienste über alle Generationen hinweg.
ADZINE: Wie sieht der Supply aus? Welche Inventare kaufen Advertiser bei euch ein?
Kölling: Unsere Plattformen sind an lokale, aber auch überregionale Dienste angeschlossen. Dazu zählen Sevenone mit Diensten wie Joyn & Co., RTL und Visoon, Pluto, Dazn, Rakuten oder Waipu. Disney wird beispielsweise auch noch hinzukommen.
Die Inventare von Netflix werden bei uns exklusiv sowohl über I/O als auch programmatisch eingekauft.
ADZINE: Microsoft, damals Xandr, durfte vor etwa anderthalb Jahren das AVOD-Modell von Netflix entwickeln. Was ist heute in Deutschland möglich und wie nimmt der Markt das Angebot an?
Kölling: Der Markt nimmt das Angebot sehr gut an, wobei es zum Start der Vermarktungsaktivitäten ja noch gar nicht live war. Wir haben schon vorab Inventar verkauft, damit die ersten Werbetreibenden zum Launch bereits auf dem Service laufen konnten.
In Deutschland haben die Werbetreibenden von Anfang an nach tieferen Integrationen als “nur” nach Spots gefragt. Sie wollten beispielsweise ihr Produkt ins Programm eingebettet sehen. Bislang sind neben Spots in verschiedenen Längen auch Single Title Sponsorships verfügbar, die neben der Sponsor-Nennung einen Volllängenspot und einen Bumperspot beinhalten. Für Nutzer mit längerer Viewdauer sind Keep Watching Ads derzeit in einer Betaphase verfügbar, bei denen die vierte Episode nach dem initialen Spot werbefrei gezeigt wird. Hinzu kommt das Pause Ad als statisches Format während des pausierten Contents. Die Werbemöglichkeiten werden kontinuierlich weiterentwickelt.
Netflix hat darauf geachtet, dass das Werbeerlebnis für die Nutzer rund ist. Die Werbung ist wohldosiert und mit einem strikten Frequency Capping versehen. In Netflix wird man nicht im 30-Minuten-Content mehrfach den gleichen Spot sehen – ein großer Unterschied zu anderen Plattformen am Markt. Außerdem hat Netflix nicht seine vorhandenen Abonnenten automatisch in Werbekonsumenten umgewandelt. Es ist bei null gestartet und hat heute weltweit mehr als 23 Millionen aktive Nutzer.
ADZINE: Wir bekommen von Vermarkterseite aus zu hören, dass AVOD zwar ein großes Thema ist, sich aber die Budgets in Deutschland nur sehr langsam dorthin verlagern. Das große Geld steckt noch in TV und so mancher AVOD-Dienst hat Schwierigkeiten, seinen Content zu monetarisieren. Vor allem von kleineren Anbietern bekomme ich dies zu hören. Wie ist die Nachfrage in Deutschland auf eurer Plattform für CTV-Formate derzeit? Und wie ist die Tendenz?
Kölling: Die Aussage kann ich nicht nachvollziehen. Es herrscht permanent mehr Nachfrage als Angebot. Gerade in Q4 sind die Budgets noch viel stärker in CTV geflossen als in den anderen Quartalen.
Ich glaube, der Knackpunkt ist eher der fragmentierte Markt mit seiner fehlenden Messbarkeit, der kleinere Anbieter trifft. Hier ist aber jeder Anbieter selbst gefragt, Lösungen für Brand Safety und Targeting für die Buyer bereitzustellen, beispielsweise kontextuell.
Natürlich muss man sagen, dass der Content auf Netflix extrem stark ist und das wirkt sich auf die Nachfrage der Werbeplätze aus. Der “Netflix-Effekt” überträgt sich gewissermaßen auf den Werbungtreibenden. Netflix beeinflusst durch Serien und Filme den Zeitgeist und schafft auch im E-Commerce Uplift. Zum Beispiel stiegen durch Queen Charlotte, einem Bridgerton Spin-off, die Reisebuchungen für die Gegend Mecklenburg-Vorpommern.
ADZINE: Wie löst Netflix das Problem der fehlenden Messbarkeit?
Kölling: Bei Netflix war von Anfang an das Zusammenspiel mit TV ein großer Diskussionspunkt. Eigens dafür wurden auf globaler Ebene Positionen geschaffen und Ressourcen zur Verfügung gestellt, um sich mit dem Thema Measurement zu beschäftigen. Jeder Markt hat unterschiedliche Player und Technologien. Die Marktführer in Deutschland sind nicht die gleichen wie in den USA. Daher braucht man lokale Partner und das hat Netflix verstanden.
ADZINE: Funktioniert die inkrementelle Reichweitenausweisung auf Netflix in Deutschland bereits?
Kölling: Netflix kennt die Anforderungen des lokalen Marktes sehr genau und handelt entsprechend. Solche Messbarkeit ist immer das Ergebnis zweiseitiger oder mehrseitiger Bemühungen und Partnerschaften. Es finden Gespräche zwischen Netflix und lokalen wie auch globalen Playern statt und auch Microsoft Advertising befähigt Netflix dabei, sein Werbeangebot in Kombination mit anderen Kanälen wie Search messbar zu machen.
ADZINE: Wird 2024 das Jahr, in dem CTV endgültig durchstarten wird?
Kölling: Das ist schon längst passiert, zumindest aus meiner Buy-Side-Perspektive. Wobei sich Werbetreibende natürlich schon schwertun, massiv in CTV zu investieren. Denn TV ist in Deutschland sehr stark und neue Wege tun immer ein bisschen weh.
Je geringer die technischen Hürden, desto relevanter der Content für die Nutzer und je besser die Wirkungsnachweise erbracht werden können, desto mehr wird CTV aus der Nutzer- und auch der Werbungtreibenden-Perspektive wachsen. Außerdem findet bei der Vielzahl an AVOD-Diensten sicherlich bald Konsolidierung statt.
ADZINE: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit sich CTV weiter gesund entwickelt? Welche Fehler dürfen 2024 nicht begangen werden?
Kölling: Man darf sich nicht auf dem aktuellen Erfolg ausruhen und muss sich weiter an die Bedürfnisse der Werbetreibenden anpassen. Wir sind es aus Digital gewohnt, dass alles messbar ist. Dies muss übergreifend auch für CTV gewährleistet werden und dazu muss jedes Angebot mitziehen.
ADZINE: Gibt es in Deutschland in Sachen Messbarkeit einen Vorreiter unter den Anbietern?
Kölling: Die sind alle ziemlich nah beieinander. Ein globaler Player wie Netflix muss sich hierzulande natürlich gegen Schwergewichte wie RTL oder Sevenone durchsetzen. Das übt einen gewissen Druck aus, um Lösungen bereitzustellen.
ADZINE: Wie wird sich die digitale TV-Landschaft generell verändert? Was kommt auf uns zu?
Kölling: Die Kräfte werden sich meiner Meinung nach von einem Buyer-Markt hin zu einem Seller-Markt verschieben. Bei all dem darf aber nicht der Nutzer vergessen werden. Angebote und Werbeformate müssen entsprechend technisch sauber und nachhaltig integriert werden, sodass ein passender, hochwertiger Werbepost ohne Geruckel oder Abbrüche für den Nutzer ausgestrahlt wird.
ADZINE: Danke für das Interview, Marion!
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