Der digitale Werbemarkt steht vor tiefgreifenden Veränderungen: Third-Party-Cookie, Google Sandbox, Künstliche Intelligenz und die immer stärkere Macht der GAFA sind Realitäten, auf die auch Vermarkter Antworten benötigen. Sind sie darauf vorbereitet? Welche Entwicklungen erwarten die Vermarktungshäuser? ADZINE hat in der Branche nachgefragt.
Eines ist schon heute sicher, auch wenn das Datum nicht mehr in Stein gemeißelt ist: Mit der Abschaltung der Third-Party-Cookies durch Chrome verändert sich die Art und Weise, wie Werbung betrieben wird, fundamental. „Solche Veränderungen in der Vermarktung erfordern innovative Ansätze“, sagt Benedikt Faerber, Chief Sales Officer der Bild Gruppe & Portfolio. Mit seinen Marken wie Bild und Welt sowie moderner Adtech sieht sich der Vermarkter sehr gut aufgestellt. „Mit einem führenden Data Stack und weiter stark wachsenden Reichweiten sind wir bestens gewappnet“, sagt Faerber. Seiner Einschätzung nach wird es noch mehr darum gehen, im digitalen Dschungel auf qualitativen Umfeldern die richtigen Zielgruppen anzusprechen. „Das ist nicht mehr mit der Gießkanne möglich und kann nur dann wirklich funktionieren, wenn Werbetreibende und Content Owner miteinander kooperieren und in ein starkes technologisches Set-up investieren“, ist der Experte überzeugt.
Datenschutz: Nach dem Spiel ist vor dem Spiel
Google hatte es schon mehrfach angekündigt: Die Third-Party-Cookies in Chrome werden abgeschaltet. In diesem Jahr hat der Online-Gigant nun erstmals Ernst gemacht: Seit Januar sind Drittanbieter-Cookies für ein Prozent der Chrome Nutzer:innen nicht mehr verfügbar. Es wird erwartet, dass sukzessive weitere Nutzergruppen abgeschaltet werden, in 2025 ist dann voraussichtlich endgültig Schluss. Aber sind damit dann auch die Datenschutz-Diskussionen beendet? Maik Rogge, Chief Operating Officer der IQ Digital glaubt nicht daran: „Auch wenn Chrome einen Schlussstrich unter die Cookie-Ära ziehen wird, wird uns das Thema ‘Privacy’ mit all seinen Facetten sicher noch mehrere Jahre treu bleiben.” Wenn es nicht aus dem Markt getriebene Entwicklungen wie bei Chrome seien, schreite die Meinungsbildung seitens Gesetzgebung voran, die neue Anforderungen an die digitale Werbevermarktung stelle. „Da auch Werbekunden und -Agenturen ihre Strategien ändern werden müssen, können wir insbesondere in der kurzfristigen Phase der Umstellung von weiteren Marktbewegungen zugunsten tradierter Modelle und Technologien ausgehen.“
Auch Robert Herrmann, Chief Revenue Officer von Traffective und Flap.One, dem Sales House der Münchner Monetarisierungsplattform, geht davon aus, dass die Datenschutzdiskussionen anhalten werden. Insgesamt bleibt der technologische Wandel im digitalen Werbemarkt ihm zufolge weiter extrem dynamisch. "Egal ob Privacy Sandbox, Ad Selection API, DMA, DSA, CTV oder Open AI: Publisher wie Werbetreibende stehen vor der großen Herausforderung, die digitalen Möglichkeiten effektiv einzusetzen und dabei die persönlichen Daten der Konsumentinnen und Konsumenten maximal zu schützen", sagt Herrmann. Technologisch bedeute die Einhaltung aller neuen Standards ohne Umsatzverlust eine enorme Komplexität, die nicht jeder Publisher allein bewerkstelligen könne. Der Vertriebsexperte ist der festen Überzeugung, dass nur kumulierte, große Reichweite Mediaeinkäufern die nötige Kontrolle, Transparenz, Skalierung und Messbarkeit bieten kann. "Die Bedeutung spezialisierter Anbieter wird entsprechend steigen, da sie bereits vor Einführung neuer Branchenstandards in deren Entwicklung eingebunden sind", so Hermann.
Tibor Gaddum, Geschäftsführer von Quarter Media, glaubt, dass dieses Jahr – aber auch das kommende Jahr – vom Umstieg von Third-Party-Cookies auf andere ID-Lösungen geprägt sein werden. Da einige Browser die Drittanbieter-Cookies bereits abgeschafft haben und auch im Mobile-Bereich die klassischen Identifier verloren gegangen sind, rechnet der Vermarktungs-Chef bei der höheren Akzeptanz von ID-Lösungen vonseiten der Advertiser eher mit einer Marktbelebung und insgesamt höheren TKPs, wie man es aktuell bereits sehe. „Wichtig hierbei ist, dass Publisher gemeinsame übergreifende Lösungen dem Markt zur Verfügung stellen und keine eigenen Silos bilden“, betont Gaddum.
First-Party-Daten und Contextual als Chance für Vermarkter
Der Markt der ID-Lösungen ist aktuell noch sehr heterogen und zersplittert – was es weder Werbetreibenden noch der Vermarktungsseite leicht macht. Ob und wann sich eine Lösung durchsetzen wird, ist fraglich. Im Allgemeinen geht man davon aus, dass das Targeting der Zukunft eher eine Mischung aus viele Lösungen ist. Alexander Voss, Director Adtech & Monetization bei Funke Digital, geht davon aus, dass der Wegfall von Third-Party-Cookies und alternative Lösungen auch in 2025 ein großes Thema sein werden. „Wir setzen hier bereits auf Identifier und kontextuelle Lösungen wie PPID und PPS aus dem Google-Universum“, sagt Voss. Er sieht eine große Chance für Publisher und Advertiser darin, sich auf First-Party- und Contextual-Lösungen einzulassen, um langfristig geräteübergreifend in Apps und CTV Kampagnen fahren zu können. „Die Sandbox APIs wie Protected Audience und deren Adaption der Demandside werden zeigen müssen, inwieweit das Business mit den neuen Rahmenbedingungen zurechtkommt.“
Bisher läuft es jedoch eher holprig in Sachen Sandbox: Eine Analyse des IAB Tech Lab hat der Google-Lösung kürzlich zahlreiche Mängel bescheinigt: nicht nur hinsichtlich der Markensicherheit hatten die Experten Zweifel, es gab auch Bedenken in Bezug auf die Transparenz, Adressierbarkeit, Berichtsmechanismen, Gebotsentscheidungen, Skalierung und einiges mehr. Aktuelle Schnittstellen-Partner wünschen sich indes größere Nutzer:innen-Gruppen als die bisherigen ein Prozent, um aussagekräftigere Resultate zu erzielen.
Neugierig geworden?
Du möchtest wissen, welche konkreten Technologien die Vermarkter in diesem Artikel einsetzen? ADZINE präsentiert die Adtech-Stacks der deutschen Topvermarkter und zeigt die Entwicklungen auf. Abgefragt wurden die eingesetzten Adserver, Supply-Side-Plattformen, Header-Bidding-Technologien, Data-Management- und Customer-Data-Plattformen sowie etwaige Tools zur Yield-Optimierung.
Data Clean Rooms und Server-to-Server-Integrationen gefragt
In einem sind sich jedoch alle Marktbeobachter einig: Durch die Einführung der Google Privacy Sandbox im Web und auf Android werden sich die Spielregeln im Online-Marketing massiv ändern – vor allem im programmatischen Ökosystem. „Die Einkaufsseite hatte bisher selbst steuerbaren, User-zentrierten Zugriff auf Publisher-übergreifende Inventare. Diese Effizienzvorteile werden Werbetreibende nicht missen wollen“, sagt Alexander Peischl, Head Programmatic, Yield & Ad Technology bei United Internet Media. Auch die User bevorzugen personalisierte und im Umfeld passende Anzeigen vor willkürlich ausgelieferten Ads. Eine Effizienz, die laut Peischl auch dem Nachhaltigkeitsgedanken entspricht. „Die Branche wird also neue Wege gehen, um diese Vorteile auch weiterhin zu erzielen.“
Der Experte zählt dazu den Einsatz von alternativen ID-Lösungen wie NetID und kontextuell orientierte Kampagnenplanung. „Vor allem werden wir die direktere Zusammenarbeit zwischen Publisher und Advertiser etwa via Data Clean Rooms sehen, um die verfügbaren First-Party-Daten sinnvoll einzusetzen.“ Entsprechend sind beim Tech-Stack im Ökosystem Veränderungen zu erwarten: „Um Kampagnen noch effizienter zu gestalten, ist der weitere Ausbau von Server-to-Server-Werbeintegrationen bei den Publishern – vom Bidding bis hin zur Auslieferung – ein essenzieller Erfolgsfaktor“, betont Peischl. Server-to-Server-Logiken könnten nicht nur technische Latenzen deutlich reduzieren, sondern auch mehr Kontrolle über die Auslieferungsketten bringen.
KI wird zum Thema für Vermarkter
Bei Burda Forward geht man davon aus, dass die DSGVO und die notwendigen Maßnahmen für Nachhaltigkeit im Werbemarkt für mehr Transparenz und weniger Komplexität sorgen werden. Mit seiner hauseigenen Technologie fühlt sich der Vermarkter ebenfalls gut gewappnet für die Post-Cookie-Ära. „Wir glauben daran, dass die anstehenden Herausforderungen eine durchaus positive und bereinigende Wirkung auf die Vermarktungslandschaft haben können, die ja auch in der Vergangenheit schon immer eine große Resilienz bewiesen hat“, sagt Tanja zu Waldeck, CEO von Burda Forward.
Vor dem Hintergrund steigender Datenschutz-Anforderungen und Restriktionen durch Browser- und Betriebssystemhersteller wird nach Einschätzung von Abdelkader Barjiji, SVP Product Management Programmatic & Data bei Ströer Media Solutions, der Einsatz von Machine Learning und Technologien der Künstlichen Intelligenz entscheidend sein, um Zielgruppen zu identifizieren und Kampagnenauslieferungen effektiv zu optimieren. Ströer bietet bereits heute auf KI basierende Lösungen an, wie das Contextual AI Targeting der OSDS oder eine Reichweitenverlängerung für TV-Kampagnen über Programmatic Public Video (PPV) sowie Online Media in Kooperation mit All eyes on screen.
Insbesondere für die TV-Vermarktung können mit KI noch Potenziale gehoben werden. So hat kürzlich der Tech-Anbieter SQL Services von der Bergischen Universität Wuppertal (BUW) analysieren lassen, wie KI die Planung von TV-Kampagnen verbessern kann. Schon bei Betrachtung einer einzelnen Kampagne zeigte sich die Stärke von KI. Aber vor allem an die komplexen Anforderungen künftiger TV-Planungen kann sich eine KI leicht anpassen und sie könnte die Werbeinseln effizienter bestücken, als dies heute Algorithmus-basiert möglich ist. Auch für CTV sieht die Studie Potenziale für einen KI-Einsatz. Gleichzeitig gehen Marktbeobachter davon aus, dass lineares und digitales TV zunehmend
TV-Vermarktung: Tech-Stacks werden verknüpft
Die Digitalisierung der Wertschöpfungskette und die Automatisierung des gesamten Geschäftsprozesses werden wichtiger – auch für etablierte Medien wie lineares TV. „Die klassische TV-Werbeinsel wird über kurz oder lang entlinearisiert und Fernsehwerbung wie in der digitalen Welt gebucht, gekauft und optimiert“, ist Arne Steinmetz, General Director Client Services Ad Tech & Data der Ad Alliance, überzeugt. Für ihn ist das „nicht nur ein weiterer relevanter Buchungsweg, sondern verbessert die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber Onlinevideoanbietern.“ Bisher getrennte Ökosysteme rücken demzufolge näher aneinander und ermöglichen die konvergente Bündelung unterschiedlicher Reichweiten ‒ auch auf dem Big Screen.
Auch Oliver Vesper, Chief Digital Officer beim internationalen Vermarkter RTL Ad Alliance, geht davon aus, dass die Integration von linearem TV mit digitalen Werbetechnologien weiter voranschreiten wird, „wodurch lineares TV effizienter, datengetriebener und auch performanceorientierter wird“. Er rechnet damit, dass sich die Silos zwischen einzelnen Technologien auflösen werden, wodurch sich die Ausspielungen über verschiedene Kanäle hinweg verbessern und eine konsistentere Werbeerfahrung bieten werden. Die übergreifende Messung von linearem TV, sowie Addressable und CTV-Nutzung sei bereits sehr weit entwickelt. Und diese Entwicklung dürfte jetzt noch stärker voranschreiten: Bekanntlich wollen die beiden Sendergruppen RTL Deutschland und Prosiebensat.1 künftig eng im Bereich der Werbetechnologien zusammenarbeiten und somit auch unabhängiger von US-Technologien werden. Insbesondere die Technologien von Smartclip aufseiten von RTL Deutschland und Virtual Minds aufseiten von Prosiebensat.1 werden verknüpft. Über einen durchgängigen Adtech-Stack sollen Advertiser ihre Kampagnen über beide Sendergruppen einfacher planen, buchen und ausspielen können. Ebenfalls ist vorgesehen, digitale und lineare Bewegtbildreichweiten technologisch zu verknüpfen und mit übergreifenden Daten in der Ausspielung zu optimieren. Hier darf man gespannt sein, inwieweit es nun gelingt, europäische Adtech als Gegengewicht zu den US-Schwergewichten zu positionieren.
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