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DATA - Interview mit Adelina Peltea, Usercentrics

Vom Datengoldrausch zum Permission Marketing

Anton Priebe, 15. April 2024
Bild: John Matychuk – Unsplash Der Datensammelwut wird Einhalt geboten

Die Digitalwerbung macht einen grundlegenden Wandel durch. Viele Jahre lang war es nur darum gegangen, so viele Nutzerdaten wie möglich zu sammeln, um die Treffsicherheit und Relevanz der Werbemaßnahmen zu maximieren. Diverse Verordnungen sorgen nun auf der ganzen Welt dafür, diese Sammelwut wieder unter Kontrolle zu bringen und Transparenz für die User zu schaffen. Die Marketing- und Datenschutzexpertin Adelina Peltea spricht im Interview über die Zeitenwende im Digital Advertising und die Bedeutung für die Marktteilnehmer des Werbeökosystems in der Praxis. Als Chief Marketing Officer von der Consent Management Platform (CMP) Usercentrics kennt sie sich mit datenschutzorientierten Marketingstrategien bestens aus.

Bild: Usercentrics Adelina Peltea, Usercentrics

ADZINE: Hallo Adelina, vor welchen Herausforderungen stehen Werbetreibende derzeit im digitalen Advertising?

Adelina Peltea: In der Vergangenheit gab es, was Kundendaten betraf, einen regelrechten Goldrausch. Deshalb ging es in den letzten zehn Jahren in erster Linie darum, Technologien zu entwickeln, mit dem Ziel, so viele Daten wie möglich für gezielte Marketingmaßnahmen und effektive Werbung zu sammeln.

Rückblickend könnte man sagen, dass viele es mit der Datensammlung übertrieben haben. Ein Großteil der Werbetreibenden hatte grundlegend versäumt, den Nutzerinnen und Nutzern Transparenz und Kontrolle über ihre Daten zu geben. Welche Daten werden überhaupt gesammelt? Mit wem werden diese geteilt? Und für welche Zwecke werden sie genutzt? Diese Fragen wurden nicht immer ausreichend beantwortet.

Als dann 2018 die DSGVO in Kraft trat und auch außerhalb der EU immer mehr Datenschutzgesetze verabschiedet wurden, rückte das Thema Datenschutz bei den Nutzerinnen und Nutzern auf einmal verstärkt in den Fokus. Für Werbetreibende bedeutet dies seitdem: Sie dürfen nicht nur ihre Performance im Blick haben, sondern müssen dabei auch die Präferenzen ihrer Kundinnen und Kunden im Umgang mit deren Daten respektieren.

Das ist neu, denn nach Inkrafttreten der DSGVO hatten die meisten Marketer lediglich ein Cookie-Banner auf ihrer Website hinzugefügt und auf die neue Datenschutzrichtlinie verlinkt – und selbst das oft nur mit überschaubarem Engagement.

ADZINE: Anfang März 2024 ist der Digital Markets Act (DMA) in Kraft getreten. Wie hat er die Situation verändert?

Peltea: Obwohl Werbetreibende von diesem neuen Gesetz nur indirekt betroffen sind, sind die Auswirkungen auf sie enorm. Denn die Vorgaben des DMA führen dazu, dass die großen Technologieunternehmen, wie beispielsweise Google, ihre Kunden dazu verpflichten, Daten gesetzeskonform zu sammeln und die Nutzereinwilligung zu respektieren, wenn sie bestimmte Werbefunktionen weiterhin nutzen wollen.

2024 markiert aus Marketingsicht also definitiv einen Wendepunkt. Für das kommende Jahrzehnt erwarte ich deshalb eine schrittweise Transformation, an deren Ende das Gleichgewicht zwischen Unternehmenswachstum auf der einen und Akzeptanz der Präferenzen der Nutzerinnen und Nutzer in Bezug auf ihre Daten auf der anderen Seite steht. Anders ausgedrückt: Jetzt wird der Grundstein für ein Internet-Ökosystem mit mehr Achtsamkeit und eine Welt, die wirklich nutzerzentriert ist, gelegt.

ADZINE: Was bedeutet diese Entwicklung für Technologieanbieter?

Peltea: Technologien, die diesen Wandel ermöglichen, sind im Moment sehr gefragt. Dabei geht es zum einen um Lösungen für die Verwaltung von Nutzereinwilligungen, wie die CMPs, die wir sowohl für das Web als auch für Apps anbieten; zum anderen geht es um Lösungen für den Umgang mit First-Party-Cookies, deren Relevanz angesichts des Endes der Third-Party-Cookies gestiegen ist.

Unternehmen stehen also ganz neuartige Tools zur Verfügung. Diejenigen, die als Erste die Bedürfnisse der Nutzerinnen und Nutzer hinsichtlich Transparenz und Datenkontrolle erfüllen, werden davon profitieren – nämlich derart, dass sie im Vergleich zur Konkurrenz bevorzugt werden. Am Beispiel von Apple kann man gut sehen, dass das Engagement für den Datenschutz zum Wettbewerbsvorteil werden kann.

Was Werbung, E-Mail-Marketing und Lead-Generierung angeht, können Unternehmen nicht weitermachen wie bisher. Sie werden sich auf eine neue Art des Marketings einstellen müssen – das “Permission Marketing”, von dem ja bereits seit Jahrzehnten die Rede ist.

ADZINE: Welche neuen Datenschutzvorgaben sollten Werbetreibende aktuell besonders beachten?

Peltea: Insbesondere in den Regionen, in denen sie aktiv sind oder in Kürze aktiv werden wollen, sollten Werbetreibende die aktuellen Entwicklungen der Datenschutzgesetze im Blick haben. Zu diesen gehören natürlich die Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO), der CCPA (California Consumer Privacy Act) in Kalifornien und sein Nachfolger CPRA (California Privacy Rights Act). Darüber hinaus lohnt es sich auch, Brasiliens LGPD (Lei Geral de Proteção de Dados) und das neue indische Datenschutzgesetz zu beachten, das im vergangenen Jahr verabschiedet wurde.

Diese Gesetze prägen das Thema Datenschutz weltweit und haben direkten Einfluss auf die Umsetzung digitaler Werbemaßnahmen. Mit der schnellen Weiterentwicklung und Erweiterung der Vorgaben Schritt zu halten, ist aber leider alles andere als einfach. Größere Unternehmen tun sich hier in der Regel leichter, denn sie verfügen oft über Fachpersonal, das sich um die Einhaltung der Vorschriften kümmert. Bei KMU sieht das meistens anders aus.

ADZINE: Wie wirken sich denn die genannten Verordnungen in der Praxis auf die Datenerhebung und die Datennutzung aus?

Peltea: All diese Datenschutzvorgaben haben eines gemeinsam: Sie schreiben die ausdrückliche Einwilligung der Nutzerinnen und Nutzer zur Datenerhebung und -verwendung vor. Weit gefasste, implizite Einwilligungsstrategien, wie sie bisher angewandt wurden, werden damit weitestgehend hinfällig. Außerdem verlangen die Verordnungen Transparenz über die Art der erhobenen Daten, die Zwecke, für die sie verwendet werden, und darüber, mit wem sie geteilt werden. Das bedeutet: Werbetreibende müssen sicherstellen, dass die Mechanismen zur Datenerfassung konform sind und dass die Nutzerinnen und Nutzer in die Lage versetzt werden, informierte Entscheidungen in Bezug auf ihre Daten zu treffen.

ADZINE: Inwiefern verändert dies insbesondere die Zielgruppenansprache?

Peltea: Werbetreibende sollten verstärkt auf First-Party-Daten, kontextuelle Werbung und computergestützte Technologien zur Verbesserung des Datenschutzes setzen – ein Großteil hat damit auch bereits begonnen. Dadurch werden Qualität und Relevanz der Inhalte im Vergleich zur Reichweite in den Vordergrund gerückt. Werbetreibende müssen daher neue Ansätze bei der Ansprache ihrer Zielgruppen finden.

ADZINE: Welche Ratschläge kannst du Werbetreibenden mit auf den Weg geben, um auch in Zukunft reichweitenstarke Werbekampagnen mit sinnvollem Targeting durchführen zu können?

Peltea: Erstens: Investieren Sie in Standardtechnologie für das Einwilligungsmanagement. Implementieren Sie leistungsfähige Einwilligungsmanagement-Plattformen, um die Komplexität der globalen Datenschutzbestimmungen effizient zu bewältigen.

Zweitens: Nutzen Sie First-Party-Daten und Server-Side Tagging. Konzentrieren Sie sich auf den Aufbau direkter Beziehungen zu Ihrer Zielgruppe und Ihren Kunden, um First-Party-Daten zu sammeln, Transparenz zu gewährleisten und Vertrauen zu schaffen.

Drittens: Investieren Sie in kontextbezogene Werbestrategien, die nicht auf persönliche Daten für die Zielgruppenansprache angewiesen sind.

Viertens: Klären Sie die Nutzerinnen und Nutzer auf und geben Sie ihnen Kontrolle. Bieten Sie einen klaren Mehrwert, um sie zur freiwilligen Weitergabe ihrer Daten zu bewegen.

ADZINE: Muss sich dafür in den Unternehmen auch strukturell etwas ändern?

Peltea: Ja, um sich an diese Marktveränderungen anzupassen, sind oft strukturelle Anpassungen innerhalb der Unternehmen nötig. Dazu gehören beispielsweise die Integration des Prinzips “Privacy by Design” in die Produktentwicklung und die Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen der Rechts-, der Marketing- und der IT-Abteilung, um die Einhaltung der Vorschriften und ein effektives Datenmanagement zu gewährleisten.

ADZINE: Welche Entwicklung erwartest du in Sachen Datenschutz für 2024?

Peltea: Wir erwarten eine Verschärfung der globalen Datenschutzvorschriften, da weitere Länder strenge Datenschutzgesetze ähnlich der DSGVO und dem CCPA einführen werden. Auch der Digital Markets Act, der im März 2024 in Kraft getreten ist, wird dazu führen, dass große Adtech-Unternehmen wie Google einen sorgfältigeren Umgang mit Einwilligungen und den Schutz der Privatsphäre verlangen. Und höchstwahrscheinlich wird auch der technologische Fortschritt bei KI und maschinellem Lernen neue Herausforderungen und Lösungen für den Datenschutz mit sich bringen. Zudem wird sich die Nachfrage der Verbraucherinnen und Verbraucher nach Datenschutz verstärken und zu mehr Transparenz und Kontrolle über persönliche Daten führen.

Folglich werden Werbetreibende zunehmend datenschutzorientierte Ansätze und Technologien einsetzen müssen, um nicht nur gesetzeskonform, sondern auch wettbewerbsfähig zu bleiben.

ADZINE: Danke für das Gespräch, Adelina!

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