Die Erfolgsmessung im digitalen Marketing ist heute weitaus komplexer als noch vor wenigen Jahren. Das Performance Measurement, das Daten zur Optimierung von Kampagnen liefern soll, stößt bei der Vielfalt an Kontaktpunkten durch unterschiedliche Kanäle oft an seine Grenzen. Dafür sorgen einerseits die Rechtsprechung, die Marketingverantwortliche zurück in die Silobetrachtung treibt, und andererseits technologische Veränderungen, die vor allem Big Tech mehr Marktmacht verleihen, weiß Stephan Koch, Chief Product Officer des Measurement-Spezialisten Exactag. Im Interview beleuchtet der Experte die Herausforderungen in puncto Performance-Messung und zeigt auf, wie sich Advertiser von der Silodenke und Datenabhängigkeit der großen Plattformen befreien können.
ADZINE: Hallo Stephan, was sind die größten Herausforderungen, denen sich Marketingverantwortliche heute stellen müssen, um den Erfolg ihrer Kampagnen zu messen?
Stephan Koch: Sie müssen sich der Komplexität stellen, die zum einen durch die rechtlichen Veränderungen der letzten Jahre getrieben ist und parallel durch die technischen Veränderungen, vor allem im Browserumfeld, bedingt ist. Rechtliche und technische Themen gehören nicht zwingend zu den Lieblingsthemen der meisten Menschen im Marketing. Hier eine zukunftsfähige Lösung zu schaffen, ist die größte Herausforderung.
ADZINE: Welche konkreten rechtlichen Veränderungen oder Verordnungen legen dem Performance-Measurement Steine in den Weg?
Koch: Der größte Anstoßpunkt war die DSGVO vor vielen Jahren, mit diversen Rechtsprechungen und Interpretationen vonseiten der deutschen Behörden und anderer Länder. Darüber hinaus zwingt die E-Privacy-Verordnung zu Veränderungen, mit nationalen Ablegern wie dem TTDSG in Deutschland. Jetzt kommen der Digital Markets Act und Service Act hinzu, deren Auswirkungen sich noch zeigen müssen.
ADZINE: Wie äußert sich das in der Praxis? Wo stoßen Advertiser an ihre Grenzen?
Koch: Die Praxis war lange Zeit geprägt von einer großen Unsicherheit, weil niemand wusste, wie er sein eigenes Setup verändern muss. In der Vergangenheit konnten Advertiser eine Lösung danach auswählen, wie granular sie ist und welche Kennzahlen sie abdeckt. Das ist jetzt fast in den Hintergrund gerückt. Es geht heute darum, welche Daten auf welcher rechtlichen Grundlage verarbeitet werden und wie welcher Algorithmus wirklich zu den unterschiedlichen Daten passt. Damit muss sich ein CMO beschäftigen, ob er will oder nicht.
ADZINE: Lass uns auf die technischen Veränderungen zu sprechen kommen. Die Abschottung von Big Tech spielt dabei auch eine große Rolle. Wie entwickelt sich das Performance Measurement bei den Gatekeepern?
Koch: Grundsätzlich waren die Entwicklungen, die wir durch die Gesetzgebung gesehen haben, für Big Tech eher vorteilhaft. Die Marktmacht wurde zu ihren Gunsten verschoben. Das liegt zum einen daran, dass sie mehr First-Party-Daten haben. Meta oder Google kann mit denen – und einem vermeintlich vorhandenen Consent – besser Daten matchen.
Zum anderen werden unter dem Deckmantel des Datenschutzes durchaus auch Features gelauncht, die aus meiner Sicht nichts mehr mit Datenschutz zu tun haben. Sie versuchen, ihre Wettbewerbsposition zu stärken.
ADZINE: Hast du ein Beispiel?
Koch: Das Thema Attribution wird massiv gepusht. Dabei gehen wir zu einer Definition von Attribution zurück, die es im Markt schon viele Jahre gar nicht mehr gab: Single-Touch-Attribution. Wir waren eigentlich bei der Multi-Touch-Bewertung. Aber mit ihren First-Party-Daten und der entsprechenden Manpower, um das Thema in den Markt zu drücken, können die Gatekeeper den Advertisern diese alte Herangehensweise als Lösung verkaufen. CMOs stellt das bei der Erfolgsbewertung vor Probleme, weil er mit Halbwahrheiten arbeitet.
ADZINE: Wie schafft man es, sich unabhängiger von den Gatekeepern zu machen?
Koch: Man kann als Advertiser durchaus selbst eine First-Party-Data-Collection aufbauen. Die Datensammlung auf der eigenen Website steht dabei im Kern. Setzt man hier auf die richtigen Tools, kann man diese Daten intelligent mit den Daten aus Kampagnen-Management-Tools und von Partnern verknüpfen. Wichtig ist dabei, dass man die Touchpoints aller Kanäle zusammenbringt und für eigene, neutrale Analysen nutzt.
ADZINE: Aus welchen Bestandteilen besteht eine moderne Datenbasis?
Koch: Eine Datenbasis für das Performance Measurement umfasst natürlich Traffic-Metriken wie Klicks, Ad Impressions und Views. An der Stelle kommen aber schon unterschiedliche Technologien und Tools ins Spiel. Daher geht es grundsätzlich um die Frage, ob man als Advertiser sein Tracking selbst aufsetzt oder nicht.
Wenn ich das nicht selbst mache, würde ich zum Beispiel auf einen Datensatz zurückfallen, den ich mit Tools wie beispielsweise Google Analytics erhoben habe. Hier muss man sich der Verzerrung bewusst sein, die man riskiert. Denn Google Analytics hat Features wie Enhanced Conversions, die Kanäle unterschiedlich behandeln. So werden in der Datenbasis Google-Kanäle bevorzugt.
Zu den Traffic-Daten kommen Daten aus eigenen Systemen und Metadaten. Diese Daten werden heute sehr gut automatisiert über die verschiedenen Schnittstellen gezogen. Dazu gehören Metadaten zu Kampagnen, Kosten sowie Umsatz- und Kundendaten. Hier wird es schon einfacher, weil man weniger damit kämpfen muss, eine neutrale Datenbasis herzustellen.
ADZINE: Nicht alle Advertiser bauen sich ein sauberes Tracking auf. Siehst du die Gefahr, dass es dort wieder zurück in die Silo-Messung geht?
Koch: Absolut. Die angesprochene Unsicherheit hat auch dazu geführt, dass am Markt diverse Conversion-APIs oder ähnliches verkauft wurden. In dem Moment freut sich der Channel Manager für seinen Kanal, aber derjenige, der die Kanäle übergreifend steuert, fängt an zu weinen, weil jeder für sich rechnet und ein einzelner Sale mehrfach als Erfolg verkauft wird. Für eine Intra-Channel-Optimierung ist das nicht verkehrt, aber da selbst dort die Datentransparenz sinkt, kann man auch in dem Silo immer weniger sehen.
ADZINE: Wie löst ihr dieses Problem?
Koch: Wir setzen für Advertiser eine First-Party-Messung auf und vertrauen dabei nicht auf Daten, die andere erheben und verknüpfen. Informationen wie Kosten oder Metadaten, also Daten zur Kampagne, importieren wir durch zahlreiche Schnittstellen. Aber wenn es um die Touchpoints und Conversions geht, messen wir komplett selbst, um Neutralität walten zu lassen und keinen Verzerrungen, Implementierungsfehlern oder Annahmen zum Opfer zu fallen.
ADZINE: Wo steckt im Performance Measurement noch Innovation?
Koch: Sicherlich in der Kombination von Methoden. Advertiser haben heute ja eine ganz heterogene Datenbasis. Wir kommen aus einer Welt, in der im Digitalen quasi alles gleich gemessen wurde. Vor fünf Jahren wurden alle Events, also Touchpoints oder Conversions, wie auf einer Perlenschnur aneinandergereiht. Man konnte dann die Methode, die einem am liebsten oder am vertrautesten war, darauf anwenden. Das ist heute anders.
Wenn du ein solides First-Party-Measurement inklusive Cross-Device-Tracking aufsetzt, kannst du die Perlenschnur aus Klicks und Conversions bis zu einem gewissen Grad realisieren, aber spätestens an der Ecke der Ad Impressions oder der Views wird daraus eine heterogene Datenbasis. Zu den Daten auf Nutzerebene kommen Daten für Mikro-Aggregate oder Daten auf Kampagnenebene. Dann kommen auch noch Daten aus dem Wettbewerb oder aus Offline-Kanälen hinzu. Es gibt nicht viele Lösungen, die diese Heterogenität gut managen.
Wer hier das Maximale herausholen will, kommt um eine Kombination unterschiedlicher Methoden nicht herum. Methoden heißt Algorithmen auf der einen Seite, aber auf der anderen Seite auch Methoden, um die Ergebnisse der unterschiedlichen Algorithmen zusammenzubringen. Darin steckt noch eine ganze Menge an Innovation für die Marketing-Praxis.
Weiteres Potenzial steckt hinterher in der Automatisierung der Ergebnisse. Die Ergebnisse, die erzeugt werden, lassen sich natürlich zur Optimierung nutzen, indem beispielsweise Budgets umgeshiftet werden. Wir haben schon heute Schnittstellen zu vielen Publishern, damit unsere Daten automatisch und schnell im Bid Management berücksichtigt werden. Diese Optimierung können künftig sicherlich noch viel häufiger, wo immer es geht und sinnvoll ist, Maschinen übernehmen.
ADZINE: Danke für das Gespräch, Stephan!
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