Im Werbeökosystem scheinen sich besonders die Advertiser mit der Umstellung auf Cookieless-Technologien schwer zu tun. Publisher reagierten schnell auf Googles einschneidende Ankündigung und integrierten entsprechende Lösungen, um ihre Zielgruppen in marktbeherrschenden Browser Chrome weiter vermarkten zu können. Werbetreibende jedoch schalten offenbar munter weiter ihre cookiebasierten Kampagnen, solange es noch geht. Google selbst tüftelt seit Jahren an seiner Privacy Sandbox, um alternative Targeting- und Messtechnologien in Chrome bereitzustellen – mit mäßigem Erfolg, wenn man aktuellen Berichten Glauben schenkt. Trotzdem soll schon bald der Stecker für Drittanbieter-Cookies gezogen werden. “Wir haben es euch doch gesagt”, würde Jan Heumüller von Ogury an dieser Stelle wohl anmerken. Das Adtech-Unternehmen hat sich frühzeitig mit einer Cookie- und ID-losen Targeting-Alternative positioniert. Zentraleuropachef Heumüller spricht im Interview über die Reaktionen auf die nahende Cookie-Deadline, Googles Bemühungen in Sachen alternatives Targeting und die Zukunft der Zielgruppenansprache in der digitalen Werbung.
ADINE: Hi Jan, dein Beitrag “Stoppt das Schlafwandeln in die Post-Cookie-Welt” vom Dezember war eine Art Weckruf. Hat er gewirkt? Siehst du jetzt mehr Bemühungen seitens der deutschen Advertiser, sich auf eine Zeit ohne Cookies vorzubereiten?
Jan Heumüller: Schon über zwei Jahre vor der Veröffentlichung dieses Artikels haben wir gesagt, dass das Ende der Cookies von Drittanbietern nur noch eine Frage der Zeit ist. Bei Ogury wussten wir immer, dass die Frage nicht “ob” sondern “wann” lautet – und dieser Zeitpunkt ist jetzt gekommen.
Trotz mehrerer Fehlstarts brachte der Januar den lang erwarteten Meilenstein für das Ende der Third-Party-Cookies: Google schränkt seitdem für ein Prozent der Chrome-Nutzer Cookies ein. Diese fundamentale Veränderung hat sich bereits schnell auf das Ökosystem der digitalen Medien ausgewirkt, da Marken und Agenturen erkennen, dass sich das Zeitfenster für die Umstellung auf realisierbare Cookie-Alternativen langsam schließt.
ADZINE: Google selbst arbeitet in seiner Privacy Sandbox an Alternativen zum Cookie-Targeting. Die Informationen, die nach außen dringen, sind jedoch recht vage. Das IAB Tech Lab hat gerade ein hartes Urteil gefällt. Die Protected Audience APIs (PAAPI), die laut Plan noch dieses Jahr zum Einsatz kommen sollen, funktionieren noch nicht. Habt ihr bei Ogury weitere Einblicke in diese Angelegenheit?
Heumüller: Um ehrlich zu sein: Die Ablehnung der Industrie gegenüber der Abschaffung von Drittanbieter-Cookies ist nicht überraschend. Ich habe das zwar erwartet, aber es ändert nichts an der Tatsache, dass die Abschaffung der Cookies eine Verbesserung für die Privatsphäre der Verbraucher darstellt.
Der Bericht nimmt sich viel Zeit für die Kritik an den Protected Audience APIs (PAAPI) des Chrome-Browsers. In der Praxis ersetzt oder verhindert PAAPI den bestehenden Header-Tag oder Ähnliches aber nicht – diese Dinge wird es weiterhin geben, nur eben ohne Drittanbieter-IDs.
Also ja, der bestehende Header-Tag und die Auktion unterstützen kein Retargeting, und PAAPI bietet nur eine abgeschwächte Version der gleichen Funktionalität. Aber überrascht das wirklich jemanden? Retargeting ist wahrscheinlich eine der am stärksten in die Privatsphäre eingreifenden Form der Werbung. Das gilt für jede Werbeform, die die Übertragung von Zielgruppen- oder Verhaltensdaten der Verbraucher zwischen vielen (dritten) Parteien erfordert, die keine direkte Beziehung zum Verbraucher haben.
ADZINE: Google betont, dass die Abschaffung von Cookies Investitionen, Anstrengungen und die Zusammenarbeit aller beteiligten Parteien erfordert. Alle sollten gemeinsam an der Sandbox arbeiten. Kannst du dem zustimmen?
Heumüller: Erstens sollten wir nicht vergessen, dass Google nur ein Teil des Kuchens ist und dass Third-Party-Cookies bereits vom Rest unseres Ökosystems abgeschafft wurden. Wir sollten Googles Engagement, Lösungen für die Branche zu finden, begrüßen und freuen uns, dass Google die Branche mit einbezieht. Die Realität ist aber, dass sie auch den Weg von Safari hätten einschlagen und alles einfach abschalten können.
Es ist zu kurzsichtig gedacht, zu diesem Zeitpunkt eine perfekte Privacy Sandbox zu erwarten. Ein überstürzter Rückzug würde die Situation noch viel schlimmer machen. Wie der IAB-Bericht zeigt, ist die Sandbox immer noch eine unerprobte Technologie. Kein bekannter Werbetreibender, einschließlich Google in seinen öffentlichen Erklärungen, nutzt sie in signifikanter Weise mit nachweisbaren Ergebnissen. Sie ist sehr komplex zu implementieren und muss sich erst noch bewähren. Der Markt braucht also noch Zeit.
ADZINE: Was wird passieren, wenn Google dieses Jahr tatsächlich den Stecker zieht?
Heumüller: Ich bleibe optimistisch, aber wir müssen uns alle eingestehen, dass dies ein komplexer und schwieriger Prozess ist. Könnte sich der Zeitplan also verschieben? Sicherlich, aber ich denke, dass wir das große Ganze im Auge behalten müssen. Die Abschaffung von Cookies in Chrome ist zum jetzigen Zeitpunkt nämlich wie gesagt eine Frage des “Wann” und nicht des “Ob”. Langfristig sollten wir uns einig sein. Solange Google ernsthaft daran arbeitet – und davon gehe ich aus –, wird die Frage des Zeitpunkts im Rückblick keine Rolle spielen.
Eine mögliche Verlängerung der Frist von 2024 auf 2025 wird nichts daran ändern: Die Datenschutzwelle ist unaufhaltsam und begann lange vor Googles Ankündigung. Wir stehen an einem entscheidenden Wendepunkt für den Schutz der Privatsphäre der Verbraucher.
ADZINE: Mit eurem Persona-Targeting wollt ihr euch auf die Umfelder konzentrieren, in denen Inhalte konsumiert werden. Die Werbeindustrie scheint sich jedoch nach Audience Based Targeting zu sehnen. Vor allem in Deutschland versprechen ID-Lösungen wie NetID, ID5, Unified ID oder im mobilen Kosmos Utiq, das Matching am Leben zu erhalten. Glaubst du, dass all diese Lösungen über kurz oder lang scheitern werden?
Heumüller: In den letzten Jahren sind in verschiedenen Ökosystemen mehrere Arten von Technologien entstanden, insbesondere Lösungen auf der Grundlage gemeinsamer IDs. Verbraucher zögern jedoch zunehmend, ihre Zustimmung zu Werbezwecken zu geben, und es ist unwahrscheinlich, dass sich alle Akteure der Branche auf einen einzigen Standard in diesem Bereich einigen können.
ADZINE: Wie lange werden wir Identifier noch im Ökosystem der Werbung sehen?
Heumüller: Zunächst einmal müssen wir festhalten, dass es ohne Werbung kein freies Internet gäbe. Digitale Werbung wird es immer geben, und die Marken werden weiterhin massiv in Online-Werbung investieren. Die Player auf dem Markt stehen jedoch vor noch nie dagewesenen Herausforderungen. Das Ende der Identifier stellt eine große technologische Hürde dar, ist aber die Folge einer grundlegenden Bewegung zum Schutz der Privatsphäre der Verbraucher.
Diese Bewegung entstand insbesondere in Europa mit der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Zum Zeitpunkt der Umsetzung im Jahr 2018 wussten viele Verbraucher gar nicht, wie Unternehmen ihre personenbezogenen Daten nutzen. Doch heute sind dieselben Verbraucher für dieses Thema zunehmend sensibilisiert. Wenn sie die Wahl haben, verweigern immer mehr Nutzer ihre Zustimmung zu Werbezwecken.
Für unsere Branche ist es sinnlos, sich an ein Modell zu klammern, das nicht zukunftsträchtig ist. Es ist höchste Zeit, dass sich alle im Ökosystem zusammenschließen und wirksame, skalierbare Alternativen schaffen, die über Drittanbieter-Cookies hinausgehen.
ADZINE: Danke für das Gespräch, Jan.
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