Omnichannel-Videowerbung heute und in Zukunft
Anton Priebe, 18. März 2024Omnichannel meinte vor einigen Jahren die Bündelung einer knappen Handvoll von Optionen. Heute fällt eine wahre Flut an Kanälen und Plattformen darunter, die wiederum eigene Ökosysteme unter sich vereinen. Marken, die ihre Zielgruppe über sämtliche Werbekanäle ansprechen wollen, stehen vor einem Mammutprojekt. Insbesondere wenn sie die Überschneidungen zwischen den einzelnen Werbedisziplinen wie Programmatic, TV und Youtube bewerten möchten. Sedat Polat, Solution Director von Audienceproject, geht im Interview auf die Herausforderungen ein, denen sich Werbetreibende aktuell mit Blick auf Omnichannel-Videowerbung stellen müssen und zeigt auf, was sich für die Zukunft ändern muss.
ADZINE: Hallo Sedat, Omnichannel-Werbung ist seit jeher eine immense Herausforderung für Advertiser. Wo liegen heute die größten Baustellen aus Markensicht?
Sedat Polat: Omnichannel-Advertising ist per se nichts Neues. Nur dass früher die analogen Kanäle TV, Radio, Print und Out-of-Home darunter fielen. Die Herausforderung heute ist, dass man es als Werbetreibender mit einer größeren Anzahl voneinander getrennter Kanäle zu tun hat. Hinzu kommt, dass es auch innerhalb der Gattungen sehr viel stärker fragmentiert ist. In TV beispielsweise gibt es nicht nur deutlich mehr Sender, sondern mit CTV und Streaming auch neue Möglichkeiten. Hinzu kommen die Walled Gardens, die zudem Datensilos darstellen.
Als Advertiser ist es heute also eine viel größere Herausforderung, möglichst viel und effizient Reichweite aufzubauen. Früher wäre man einfach zu den großen Fernsehsendern gegangen und hätte in der Primetime 80 Prozent Reichweite in der Bevölkerung buchen können. Jetzt muss ich mir erst einmal klarmachen, wo ich welche Zielgruppen überhaupt noch erreiche. Und dann gibt es noch die Fragmentierung auf Geräteebene: In Deutschland hatte laut einer Studie, die wir 2020 durchgeführt haben, jeder Haushalt im Schnitt mehr als sieben internetfähige Geräte. Diese Zahl dürfte inzwischen nochmal gestiegen sein. Das bringt zusätzliche Komplexität.
ADZINE: Wie bekommen Advertiser heraus, welche Kanäle für sie die richtigen sind?
Polat: Für die meisten Kanäle sind Planungsdaten vorhanden, anhand derer man sich natürlich einen zumindest groben Überblick über die erreichbaren Zielgruppen machen kann. Bei Markenwerbung orientiert man sich dabei oft nicht an kleinteiligen, sondern eher an breiten Zielgruppendefinitionen wie dem Alter oder dem Geschlecht. Und da gibt es große Unterschiede in der Mediennutzung: Jüngere Zielgruppen etwa werde ich über lineares TV nicht mehr so gut erreichen wie früher. Diese sind zunehmend auf digitalen Kanälen unterwegs.
Und weil man dort die bereits erwähnte Fragmentierung vorfindet, ist es unerlässlich, auch medienübergreifend zu messen, wie gut man das, was man geplant hat, auch wirklich erhalten hat. Hätte ich zum Beispiel Reichweite in meiner Zielgruppe der 18- bis 29-Jährigen besser und günstiger auf dem einen Kanal als auf dem anderen aufgebaut, weil hier ein höherer Zielgruppenanteil gemessen wurde als dort, weil die Kontakthäufigkeit hier niedriger war als dort und weil dazu noch zwischen den beiden Kanälen ein großer Overlap gemessen wurde? All diese Erkenntnisse kann man iterativ aufbauen und in die jeweils nächste Planung übernehmen und so immer effizienter in der Auswahl der richtigen Kanäle werden.
ADZINE: Gut, nun sind mit Amazon, Netflix, Tiktok oder Snap neue Player hinzugekommen, die ihre Daten in ihren eigenen Ökosystemen halten. Wie können trotz fehlender gemeinsamer Datengrundlage übergreifende Kampagnen geplant werden?
Polat: Die Walled Gardens, vor allem wenn wir an Meta, Youtube, Amazon oder Netflix denken, konkurrieren ja um die TV-Budgets. Ein Werbetreibender ruft entweder in Unterföhring an und bestellt einen Dreißigsekünder bei Germany's Next Topmodel oder er bucht ihn bei Amazon in der Werbepause des Champions-League-Spiels. Für die Walled Gardens ist es in ihrem eigenen Interesse, den Werbetreibenden die Argumente für sich an die Hand zu geben – und dafür braucht es vergleichbare Planungsdaten.
Im linearen Fernsehen habe ich die AGF, die solche Zahlen herausgibt. Die Walled Gardens brauchen ebenso einen unabhängigen Dienstleister, der Werbetreibenden Daten zu Zielgruppen-Reichweite und -Kontakthäufigkeit liefern kann.
ADZINE: Einer dieser Dienstleister seid ihr. Sind die Plattformen offen für die Messungen?
Polat: Ja. Die Plattformen schotten sich ja vor allem ab, was die Aktivierung der Daten und das Tracking der User angeht. Inzwischen ist die Erkenntnis seitens der Plattformen gereift, dass eine unabhängige Messung in ihrem Interesse ist, weil immer mehr Werbetreibende nach solchen Leistungswerten für ihr Media-Investment verlangen. Und letztlich ist es der Markt, der hier die Erkenntnis reifen lässt: Ob sich ein Tiktok zum Beispiel unabhängig messen lässt oder nicht, hängt natürlich nicht von uns ab, sondern von den Werbetreibenden, die das von Tiktok verlangen.
ADZINE: Die Planung ist eine Seite der Medaille. Lässt sich auch der Erfolg der Kampagnen unabhängig messen?
Polat: Es kommt natürlich darauf an, was man als Kampagnenziel – und damit als Erfolg – vorher definiert hat. Wenn es ein möglichst effizienter Reichweitenaufbau ist, also, dass man möglichst viele Personen möglichst selten treffen möchte, dann lässt sich das sehr gut über eine panelbasierte Passivmessung abbilden. Bei im Marketing-Funnel nachgelagerten Erfolgskriterien, wie Brand-Awareness, Brand-Consideration und Ähnlichem, bieten sich hingegen aktive Messungen wie beispielsweise Befragungen von Kontroll- und Testgruppen an.
ADZINE: Wie schafft man es nun, die Zahlen, die man dort ermittelt, mit den anderen Kanälen zu vergleichen? Im TV gibt es eine lineare Währung von der AGF, wie du bereits angemerkt hast. In der fragmentierten CTV-Landschaft sieht es wiederum ganz anders aus. Welche Kennzahlen kann und sollte man zur Bewertung der übergreifenden Kampagnen einsetzen?
Polat: CTV wird immer noch häufig mit Metriken bewertet, die sehr stark in der digitalen Gattung verwurzelt sind. Beispielsweise die Anzahl der ausgelieferten Impressions. Dabei sind Impressions ja eine Buchungskennzahl und keine Erfolgsmetrik. Im linearen TV kauft man eine bestimmte Anzahl an Werbespots und bewertet den Erfolg ja nicht anhand der ausgestrahlten Minuten, sondern daran, wie viele Personen aus der Zielgruppe wie oft erreicht wurden. Das muss gleichermaßen für alle Bewegbildkampagnen im Digitalen gelten, um vergleichbar mit TV zu werden.
ADZINE: Was muss geschehen, damit Omnichannel-Bewegtbildwerbung in Zukunft beherrschbarer wird? Was siehst du für Weichen, die gestellt werden müssen, um das Ganze besser ausführen zu können?
Polat: Einzelne Schritte dahin sind schon zu beobachten. Die Vermarkter der Fernsehhäuser beispielsweise bündeln ihr lineares und digitales Inventar und bieten es im Paket an. Das ist hilfreich, um die Barriere im Kopf zwischen Linear und Digital aufzuheben. Letztlich müssen sich die Werbetreibenden fragen, welche Zielsetzungen sie verfolgen, wie diese am besten erreicht werden und mit welchen Metriken sie sinnvoll gemessen werden können, egal ob digital oder analog.
Und wir als digitale Mediengattung müssen auch erwachsener werden. In den Anfangsjahren war es großartig als Rückkopplungskanal eine Besonderheit darzustellen, in dem Sinne, dass jeder Werbeeuro penibel messbar, nachverfolgbar und zuordenbar war. Die Frage ist, ob das heute überhaupt noch sinnvoll ist. Für Performance-Kampagnen sicherlich, aber für Branding?
Außerdem: Wie groß ist der Unterschied zwischen einem Netflix auf dem Tablet abends auf der Couch und einem linearen Fernsehsender auf dem TV-Gerät, rein aus der Qualitätsbetrachtung? Die Nutzungssituation und Werbewirkung sind doch vergleichbar, und deswegen sollte man sich als digitale Gattung auch nicht klein machen.
Wenn diese Erkenntnis gereift ist und die Werbetreibenden im Digitalen nicht mehr nach Impressions fragen, sondern nach denselben Metriken, die sie aus dem TV kennen, fallen auch diese Hürden zunehmend.
ADZINE: Danke für das Interview, Sedat!
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