In den Fängen der Privacy Sandbox: Das Stockholm-Syndrom in Adtech
Mathieu Roche, 15. März 2024Die digitale Werbeindustrie nähert sich schnell und unaufhaltsam der Endphase der Abschaffung von Cookies. Das mag zwar manche Marktteilnehmer beunruhigen, aber tatsächlich sind Cookies von Drittanbietern schon länger eine größere Belastung für die Performance und die Datensicherheit, als wir uns das eingestehen möchten. Ihre Abschaffung kann daher nicht schnell genug kommen. Überraschenderweise bekommen nun einige Marktteilnehmer trotz der vier Jahre Übergangszeit kalte Füße.
Adtech und die Folgen ihres Stockholm-Syndroms
Während viele diese Gelegenheit genutzt haben, um eigenständige Alternativen in cookiefreien Browsern wie Safari zu entwickeln und zu testen, ist dies nicht bei allen der Fall. Es scheint, als hätten viele Player der Branche eine Art Stockholm-Syndrom entwickelt, da sie unter extremem Druck stehen und machen, was ihr Geiselnehmer sagt. Woran lässt sich das erkennen? Daran, dass einige Marktteilnehmer all ihre Hoffnungen auf Googles Privacy Sandbox setzen.
Nachdem sie jahrelang von Google verschaukelt wurden, sollte man meinen, dass Publisher, Marketer und ihre Partner die aktuelle Situation nutzen würden, um dem Tech-Giganten die Stirn zu bieten. Aber ganz im Gegenteil tappen viele in die Falle, die Google ihnen gestellt hat, als es beschloss, die Abschaffung von Cookies und die Einführung der Privacy Sandbox API miteinander zu verknüpfen. Der Trick dabei ist: Wenn die Privacy Sandbox nicht ganz auf der Höhe der Zeit ist, wird der Druck, die Abschaffung von Cookies zu verschieben, größer – und so würde der Status quo aufrechterhalten, der dem Tech-Giganten zugutekommt. Wenn jedoch Googles Framework tatsächlich alle Use Cases unterstützt, werden Marketer und Publisher noch stärker an Google gebunden sein, das alle Werbemaßnahmen kontrolliert. So oder so, Google gewinnt.
Die entscheidende Rolle der CMA
Die britische Wettbewerbs- und Marktaufsichtsbehörde (Competition and Markets Authority, CMA) hat sich eingeschaltet, um die Auswirkungen der Privacy Sandbox zu bewerten und sicherzustellen, dass sie die Spielregeln nicht zu Gunsten von Google verändert. Das Ziel der CMA ist das Erhalten eines wettbewerbsfähigen Umfelds, weshalb es nicht ausreicht, sich auf die Effektivität der Anwendungsfälle der Privacy Sandbox zu konzentrieren.
Um einen fairen Wettbewerb innerhalb der Branche zu gewährleisten, sollte die CMA auch die von Google geplanten Restriktionen, die ebenfalls in der Privacy-Sandbox-Initiative gebündelt wurden, genau prüfen. Maßnahmen wie Googles Fenced Frames und der Schutz von IP-Adressen können Innovationen hemmen und alternative Werbemethoden wie Data Clean Rooms, kontextbezogene Werbung und Panel-basierte Messlösungen stark behindern.
Der Teufel steckt im Detail
Die Fenced-Frames-Initiative trennt den Zugang zu Daten, um die gemeinsame Nutzung von Daten über mehrere Websites hinweg zu verhindern. Mit anderen Worten: Google entscheidet, welche Informationen geteilt werden, und untergräbt damit die Möglichkeit von Marken, auf Daten zuzugreifen, die sie für wesentliche Anwendungen wie Messung und Attribution außerhalb der Sandbox benötigen. Dies ist ein weiteres Beispiel dafür, wie die Abschaffung von Cookies von Google genutzt wird, die Spielregeln zu seinen Gunsten zu verändern, und alles unter dem Deckmantel des Datenschutzes.
Daneben soll der Schutz der IP-Adressen von Google den Datenschutz und die Kontrolle verbessern, indem er das Risiko einer unbefugten Identifizierung und eines Datenverlusts für Publisher minimiert. Es steht zwar zu erwarten, dass das nur begrenzte Auswirkungen auf Lösungen zur Adressierbarkeit haben wird, die sich auf einen Consent oder die Integration von First-Party-Daten von Publishern stützen. Aber dennoch könnte es sich negativ auf Publisher und Werbetreibende auswirken, insbesondere wenn es um die Erkennung von Betrug und Geotargeting geht.
Befreien wir uns von Cookies (und Google)
Die Abschaffung von Cookies bietet der Werbung die Möglichkeit, neue Technologien und Methoden für Adressierbarkeit und Datenschutz zu entwickeln. Dadurch ließen sich unabhängig Lösungen entwickeln, mit denen die Ziele von Marketern und Publishern effektiv erreicht und gleichzeitig die Datenschutzbestimmungen einhalten werden können. Wenn wir uns jedoch in einem von Google festgelegten Rahmen bewegen, erhöhen wir unsere Abhängigkeit von dem Tech-Giganten. Während es in der Verantwortung der CMA liegt, ein Umfeld zu schaffen, in dem Wettbewerb möglich ist, ist es unsere Pflicht als Branche, den Status quo infrage zu stellen und uns aus der Dominanz der Big Techs zu lösen. Es liegt in unserer Macht, das Stockholm-Syndrom zu überwinden und eine neue Wachstumsphase für die Branche zu unseren Bedingungen einzuleiten.
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