In den Anfangszeiten der Digitalwerbung wurden Daten und Inventar stets im Paket verkauft. Umfeldwerbung nannte es sich, wenn die Ads für Autointeressent:innen auf dem Autosport-Blog erschienen. Mit der Erfindung des Third-Party-Cookies und Programmatic Advertising konnten die Daten vom Inventar gelöst werden. Die Idee: Autointeressent:innen sind schließlich auch beim Nachrichtenlesen oder sonstigen Browsen für die Autowerbung empfänglich. Der Schuh vom Shoppingportal, der die User per Retargeting durch das gesamte Internet begleitet, diente lange Zeit als Paradebeispiel für dieses Prinzip. Die Targeting-Intelligenz verlagerte sich damit Stück für Stück auf die Buy-Side. Heute scheint man sich in der programmatischen Werbung zunehmend wieder an den Ursprüngen zu orientieren – technologisch jedoch sehr viel ausgereifter. Denn mit Curation schnüren Publisher erneut Pakete aus Media und Daten und vermarkten diese programmatisch mit ihrer eigenen Targeting-Intelligenz. Laut Drew Stein, Gründer und CEO des New Yorker Curation-Spezialisten Audigent, handelt es sich hierbei um einen wachsenden Trend. Im Interview erklärt Stein, wieso Daten mithilfe von Curation auf der Sell-Side sowohl effektiver aktiviert als auch monetarisiert werden können und welche Rolle Googles Privacy Sandbox dabei spielt.
ADZINE: Drew, was steckt hinter Audigent?
Drew Stein: Wir sind ein Adtech-Unternehmen für Curation, Identity und Datenmonetarisierung. Curation ist zurzeit ein heißes Thema, aber vor fünf Jahren, als wir Audigent gegründet haben, existierte das Wort noch nicht einmal. Doch uns war klar, dass die Datenaktivierung veraltet und somit ineffizient ablief.
DMP-Segmente wurden auf der Buy-Side erstellt und in die Marktplätze gepusht. Die DMPs konnten mit Echtzeitdaten wenig anfangen und das Pricing war auch ausbaufähig. Wir haben uns daher einen neuen Ansatz ausgedacht.
ADZINE: Welchen Weg habt ihr eingeschlagen?
Stein: Die Daten werden gemeinsam mit dem Inventar auf der Sell-Side als Paket verpackt und in eine DMP oder Deal-ID verfrachtet. Dementsprechend werden sie im Supply-Path also auch direkt aktiviert.
Damals befanden sich Produkte wie Xandr Curate oder Pubmatic Encore in der Entstehung und wir waren einer der ersten Partner an deren Seite. Heute heißt das Curation und hat massiv beeinflusst, wie Daten von der Buy-Side aktiviert werden. Und der Trend wird eindeutig anhalten.
ADZINE: Warum wird Curation weiter wachsen?
Stein: Dafür gibt es vier Gründe. Erstens sind die Daten günstiger. Früher war das Pricing statisch, unabhängig von Faktoren wie Performance oder Uhrzeit. Auf der Supply-Side hingegen ist das Pricing dynamisch, sodass kosteneffizienter eingekauft werden kann.
Zweitens lässt sich der Dateneinsatz optimieren. Heute sind dynamische Feeds von der SSP und der DSP zur Performance der Daten einsehbar, um die Signale zur Optimierung in Echtzeit zu nutzen. Die Performance ist also besser.
Drittens sind 70 bis 80 Prozent der DMP-Segmente cookiebasiert und werden aussterben. Heute haben wir Schnittstellen zu den SSPs, um ohne Cookies oder andere Identifier mit dem Bidstream zu kommunizieren.
Viertens werden Datenunternehmen wieder zu Datenunternehmen. In einem DMP-Segment erhalten wir keine Einsicht in Event- oder Log-Level-Daten. In kuratierten Produkten von der Supply-Side funktioniert das sehr wohl und kann beispielsweise zum Reporting, zur Analyse oder Attribution eingesetzt werden.
ADZINE: Wieso funktioniert Curation cookielos? Welche Identifier spielen dabei eine Rolle?
Stein: Wir arbeiten auf der Grundlage eines Contextual-Stacks und kontextuelle Technologien haben eine neue Evolutionsstufe erreicht. Anfangs funktionierte kontextuelles Targeting Keyword-basiert. Heute arbeiten viele Stacks semantisch mithilfe von Machine Learning, um Texte zu verstehen. Die neueste Generation hingegen zielt auf Cognitive oder Predictive Data ab.
Nehmen wir einen Hot Dog als Beispiel. Contexual 1.0 erkennt das Wort und identifiziert das Fast Food. Eine semantische Technologie kann noch unterscheiden zwischen dem Essen und einem Hund, dem im Auto heiß wird. Der Predictive Stack hingegen versteht, dass es sich um das Essen handelt und weiß, dass die Person noch Senf und Bier dazu braucht.
Wenn First-Party-Daten mit kontextuellen Signalen verknüpft werden, können daraus robuste, cookie- und geräteunabhängige Predictive-Audiences entstehen. Wir nutzen dazu unsere eigene Hadron ID. Dabei handelt es sich nicht um einen deterministischen Identifier, sondern einen Mix aus deterministischen, probabilistischen und prädiktiven Signalen. Beispielsweise verwenden wir eine UID 2.0 als Anker, die wir mit kontextuellen und prädiktiven Informationen anreichern.
Für Measurement sind deterministische IDs durchaus sinnvoll. Aber für das Targeting reichen in 90 Prozent der Use Cases probabilistische und prädiktive Signale aus, um skalierbar und weitaus datenschutzfreundlicher zu werben. Sonderfälle wie Retargeting fallen unter die zehn Prozent.
ADZINE: Abseits der ID-Welt schraubt Google an der Privacy Sandbox, um kontextuelles Targeting in Chrome zu realisieren. Glaubst du, dass aus der Sandbox vernünftige Targeting-Lösungen hervorgehen werden?
Stein: Ja, ich sehe viel Potential in der Sandbox und wir arbeiten eng mit Google zusammen. Die Skalierbarkeit der Interessengruppen, basierend auf den Auktionen rund um die Protected Audience APIs (PAAPI), ist vielversprechend.
ADZINE: Dabei hat das IAB Tech Lab die APIs doch erst kürzlich hart kritisiert?
Stein: Das stimmt, wobei unser CTO Teil der IAB-Gruppe ist, die für den Report getestet haben. Stand heute ist der Bericht absolut korrekt. Aber die Sandbox ist ein komplexes Ökosystem. Ein Unternehmen alleine kann keinen Durchbruch schaffen. Die DSPs müssen ebenso wie die SSPs und die Datenspezialisten ihren Teil dazu beitragen, um Audiences auf der Basis von Interessengruppen zu bauen. Dabei handelt es sich um die zukünftigen DMP-Segmente in Chrome, also müssen die Datenplattformen sie bauen, die DSPs mit ihnen zusammenarbeiten und die SSPs den Code für das Chrome-Bidding übernehmen. Wir können nicht vernünftig testen, bis jeder seinen Beitrag geleistet hat.
Außerdem existiert der Zugang erst seit ein paar Monaten und Google hat es den Unternehmen nicht gerade leicht gemacht, sich eine Übersicht zu verschaffen. Auch der Support fehlt. Darüber hinaus braucht man sehr viele Ressourcen, technisch und finanziell, um an den Lösungen zu arbeiten. Das können nur wenige Unternehmen leisten.
ADZINE: Welche Folgen hat die Tatsache, dass die Datenhoheit im Programmatic-Bereich damit weiter auf die Sell-Side verlagert wird?
Stein: Die Privacy Sandbox ist eigentlich nichts anderes als ein Private Market Place und Curation in Reinform – Inventar verknüpft mit Daten im Chrome-Browser.
ADZINE: Warum kuratieren nicht mehr SSPs ihre Inventare? Sie sind schließlich bereits mit vielen Publishern vernetzt. Was könnt ihr, was sie nicht können?
Stein: Das tun sie. Dabei handelt es sich jedoch immer um geschlossene Systeme. Xandr verkauft nur Xandr-Inventar, Pubmatic verkauft nur Pubmatic-Inventar und Magnite verkauft nur Magnite-Inventar. Außerdem ist jede SSP wiederum verschiedene Partnerschaften mit DSPs eingegangen.
Wir sind Inventar- und SSP-agnostisch, optimieren also über mehrere SSPs hinweg. Eine SSP hat eine Curation-Plattform, um das eigene Inventar zu verkaufen. Wir hingegen sind die Schweiz und schauen uns alle Inventare an, die es da draußen gibt.
ADZINE: Wie wird sich das Programmatic-Ökosystem weiterentwickeln? Werden Daten weiterhin getrennt von Inventar gehandelt oder gibt es die bald nur noch im Paket?
Stein: Es wird beides geben, Spezialisten für Sell-Side- und Spezialisten für Buy-Side-Daten. Daten von The Trade Desk beispielsweise werden weiterhin innerhalb von The Trade Desk erfolgreich sein. Das Unternehmen ist ein gutes Beispiel für eine DSP, die ihren Datenstrom geöffnet und sich somit auf die cookielose Zeit vorbereitet hat. Beides hat seine Daseinsberechtigung.
ADZINE: Danke für das Interview, Drew!
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