Brand Safety nehmen heute alle ernst
Anton Priebe, 29. Februar 2024Niemand möchte seiner Marke schaden, indem die eigene Werbung in fragwürdigen Umfeldern oder unpassenden Kontexten ausgespielt wird. Das klassische Beispiel mit der Fluggesellschaft, dessen Ad in einem Artikel über einen Flugzeugabsturz erscheint, veranschaulicht die Problematik ohne weitere Erklärungen. Eine Lebensversicherung könnte sich wiederum gerade für solche Schreckensmeldungen interessieren. Brand Safety und Suitability sind ebenso elementar wie herausfordernd, weiß Patrick Stoltze, Country Manager für Mittel- und Osteuropa bei Integral Ad Science. Er arbeitet seit fünfeinhalb Jahren bei dem Adtech-Unternehmen und war zunächst auf der Sell- und dann auf der Buy-Side aktiv. Davor hat er bereits Programmatic-Erfahrung bei Rocket Fuel und Sizmek gesammelt. Im Interview spricht Stoltze über die Fortschritte in den Diskussionen rund um Markensicherheit, über Entwicklungen hinsichtlich der Sichtbarkeit von Werbeanzeigen und Ad Fraud in Deutschland.
ADZINE: Hallo Patrick, wir bezeichnen euch in der Regel als “Mess- und Analysedienstleister”. Wie würdest du IAS selbst in wenigen Worten beschreiben?
Patrick Stoltze: Ich würde uns als Dienstleister zur Messung und Optimierung der Mediaqualität beschreiben. Wichtig dabei ist die ganzheitliche Perspektive von Vermarktern und der einkaufenden Seite sowie die Abbildung der gesamten technologischen Kette dazwischen. Wir arbeiten also sowohl mit Vermarktungshäusern und Agenturen oder Werbebetreibenden als auch mit den gängigen DSPs und teilweise SSPs zusammen.
ADZINE: Eure Kernthemen sind die Messung von Sichtbarkeit, Markensicherheit, Brand Suitability und Ad Fraud. Lass uns die Bereiche in der Reihenfolge durchgehen. Inwiefern ist Viewability heute noch ein Thema? Man sollte doch davon ausgehen, dass mittlerweile bei allen Kampagnen Tools wie eure mitlaufen und Sichtbarkeit garantieren. Was gibt es da noch zu tun?
Stoltze: In den fünfeinhalb Jahren, die ich bei IAS bin, hat sich gerade im Bereich Viewability viel getan. Die technologischen Standards wurden deutlich weiterentwickelt und das Verständnis von allen Marktteilnehmenden ist größer geworden. Dennoch sind beispielsweise Web-Video-Messungen basierend auf dem Open Measurement SDK und damit einhergehende Benchmarks noch immer Bereiche, an denen gefeilt werden muss. Außerdem bleibt die Industrie ja nicht stehen und wir sehen den Fokus auf dem Bereich CTV. Hier müssen in Sachen Viewability noch Hausaufgaben gemacht werden.
Uns beschäftigen zunehmend Themen wie CO2-Messung über unsere angeschlossenen Partner oder Viewability weitergehend im Bereich Attention-Messung. Dabei handelt es sich um Weiterentwicklungen der Sichtbarkeit.
ADZINE: Kommen wir zur Markensicherheit, die für Advertiser strategisch natürlich ein sehr wichtiges Thema ist. Schließlich möchte niemand seiner Marke schaden, wenn er beispielsweise in den falschen Umfeldern wirbt. Aber wie sieht das im operativen Bereich aus? Ich habe gehört, dass dies sehr chaotisch abläuft und erst beim Kampagnenstart ausgelotet wird, welche Tools die Publisher dafür überhaupt anbieten. Die Kommunikation fehlt. Du bist ja auch dafür zuständig, hier im DACH-Raum mit Agenturen und Advertisern zu sprechen. Wie ist dein Eindruck?
Stoltze: In der Detailtiefe steckt eine gewisse Komplexität, der sich alle Beteiligten am Markt stellen müssen. Einerseits geht es um die Kommunikation. Die transparente, offene und immer zielgerichtete Kommunikation von allen Beteiligten in der Wertschöpfungskette ist elementar. Einem Werbetreibenden muss beispielsweise bewusst sein, welchen Impact seine Einstellungen in den Tools auf Vermarktungshäuser haben können.
Andererseits geht es um das tiefe Verständnis des Themas. Der Werbetreibende muss sich sehr intensiv Gedanken darüber machen, was Brand Safety und Brand Suitability für ihn als Marke bedeuten. Als ich meinen Job antrat, haben wir einen Roundtable für die Vermarkterseite ins Leben gerufen. Da kamen dann Aussagen wie “Wir wollen Brand Safety”. Heute weisen die Gespräche ganz klar eine andere Tiefe auf. Das bedeutet aber wiederum auch, dass die Komplexität zunimmt. Für einen Alkoholhersteller ist Markensicherheit eben etwas anderes als für den Vertreiber von Babyprodukten. Es wirkt zwar wie ein trockenes Thema, aber alle Seiten nehmen sich dessen an und verstehen die Relevanz.
ADZINE: Gerade im programmatischen Bereich spielt Brand Safety eine übergeordnete Rolle. Dort ist es teils schwierig, nachzuvollziehen, wo letztendlich die Kampagne läuft. Außerdem werden immer mehr Kanäle programmatisch erschlossen. Siehst du besonders Kanäle, in denen es noch hakt bei der Brand Safety und Suitability?
Stoltze: Wir versuchen, eine möglichst holistische Abdeckung zu gewährleisten. Dazu gehören Open-Web-Ansätze genauso wie soziale Plattformen oder, wie bereits angesprochen, das CTV-Umfeld. Im Bereich Audio haben wir in den vergangenen zweieinhalb Jahren stark investiert, um nicht nur das geschriebene Wort, sondern genauso das gesprochene Wort oder darüber hinaus den Inhalt von Bewegtbild analysieren zu können. Gaming ist ebenfalls ein großes Thema. Es gibt also noch viel zu tun.
ADZINE: Wie entwickelt sich Ad Fraud in Deutschland? Habt ihr offizielle Zahlen für den deutschen Markt?
Stoltze: Im Media Quality Report veröffentlichen wir einmal im Jahr explizit auch deutsche Daten. Im Desktop-Display-Bereich waren im zweiten Halbjahr 2022 2,4 Prozent der ausgelieferten Impressions von Ad Fraud betroffen. Für Desktop-Video waren es 2,5 Prozent. Im Mobile-Bereich kommen wir auf 1,5 für Display beziehungsweise 1,3 Prozent für Video.
ADZINE: Stecken dahinter Personen, die Bots trainieren, um Fake-Impressions zu generieren, oder beinhaltet dies auch Crawling-Bots, die nicht richtig zugeordnet wurden?
Stoltze: Beides. Dies ist der Invalid Traffic, der nichtmenschliche Traffic. Es geht ja darum, die personalisierte und optimierte Aussteuerung in der programmatischen Welt zu gewährleisten. Letztlich sprechen wir von der Effizienz der Werbebudgets. Wir sehen aber den Hang zum Sophisticated Invalid Traffic, also zum betrügerischen Ansatz.
Man muss dazu sagen, dass wir aus dem Web-Video-Umfeld viel gelernt haben, etwa was die Akzeptanz von globalen Standards wie das Open Measurement SDK betrifft, das nun in das CTV-Umfeld überführt wird und für mehr Sicherheit sorgt.
ADZINE: Gut, ich habe abschließend noch eine Frage zu einem anderen Geschäftsbereich von euch. Ihr bietet auch Contextual Targeting für den programmatischen Mediaeinkauf an. Das liegt nahe, wenn ihr Umfelder ohnehin im Rahmen von Markensicherheit analysiert. Ist dies ein wachsender Bereich bei euch, mit Blick auf verschärfte Datenschutzbedingungen und Maßnahmen der Browserbetreiber?
Stoltze: Es ist unser Job, mit unserer Messung Transparenz für die Basis zur Optimierung zu schaffen. Unsere Technologie funktioniert mittlerweile so, dass wir eine kontextuelle Segmentierung benötigen, um der Komplexität von Brand Safety und Suitability gerecht zu werden. Da reden wir nicht mehr über Keyword-Listen – das Sentiment eines Inhalts muss mit analysiert werden. Dies kann man entweder klassisch zum Markenschutz nutzen und in bestimmten Umgebungen nicht ausliefern. Oder man bietet es im positiven Sinne zum Kontext-Targeting an.
Wir sehen die Relevanz des Angebots mit dem eingeschrittenen Cookie-Sterben sicherlich steigen. Contextual Targeting wird aber nicht unser Hauptfokus werden. Der bleibt in dem Feld der Markensicherheit, des Bereitstellens zur Optimierung, um Kampagnen möglichst effizient aussteuern zu können.
ADZINE: Danke für das Interview, Patrick!
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