Wird KI die Adressierbarkeitslücke stopfen?
Anton Priebe, 31. Januar 2024Über Jahre hinweg wurde in der Werbeindustrie kaum ein Thema so heiß diskutiert wie der Schwund der Third-Party-Cookies. Seit dem Jahreswechsel beginnt Google mit deren Ausschleichen in Chrome. Die Adtech-Welt hat sich lange auf diesen Moment vorbereitet und alternative Methoden für Targeting und Measurement entwickelt. Die Adtech-Plattform Quantcast setzt an der Stelle auf eine Vielzahl unterschiedlicher Signale und holt sich Unterstützung vonseiten Künstlicher Intelligenz, um nicht in den Blindflug zu geraten. DACH-Chefin Sara Sihelnik spricht im Interview über diesen Multi-Signal-Ansatz, der insbesondere auch im aufstrebenden Kanal Connected TV zum Einsatz kommt, sowie über die Rolle von KI und Machine Learning im Media Buying der Zukunft.
ADZINE: Hallo Sara, Google hat mit seinen Tests begonnen. Ein Prozent der globalen Third-Party-Cookies im Chrome-Browser sind abgeschaltet. Seht ihr in eurer DSP erste Auswirkungen beim Mediaeinkauf?
Sara Sihelnik: Ein Prozent ist nur ein sehr geringer Teil und aufgrund der Tatsache, dass wir unsere Targeting-Lösung schon seit langem nicht ausschließlich auf das Third-Party-Cookie-Signal ausrichten, sondern viele weitere Signale und damit einen Multi-Signal-Approach verfolgen, ist es für uns weniger spürbar.
ADZINE: Was wird deiner Meinung nach passieren, falls Google in der zweiten Jahreshälfte Ernst macht und alle Drittanbieter-Cookies deaktiviert? Was werdet ihr da spüren? Was wird der Markt spüren?
Sihelnik: Es wird zu noch mehr Fragmentierung für das gesamte Ökosystem führen. Starten wir mal bei dem Thema Measurement – also noch nicht einmal Targeting, denn das kann jeder für sich zumindest ansatzweise in seinem Ökosystem oder in seinem Walled Garden lösen. Doch wie schaffen es die Werbetreibenden dann weiterhin holistisch, die Resultate zu messen? Eine Media-Buying-Strategie ist ja nicht nur auf einen Kanal, sondern auf mehrere Kanäle ausgerichtet. Ohne die Messbarkeit wird jeder Kanal wieder in seinem Silo ausgewertet.
Bis die Branche lernt, mit der neuen Situation umzugehen, wird sicherlich mehr in Walled Gardens investiert, da der ROI dort direkt messbar ist. Dies wird wiederum gewisse Preise in die Höhe schießen lassen und vielleicht auch den einen oder anderen Tech-Anbieter in eine brenzlige Lage bringen. Wir haben bereits letztes Jahr Konsolidierung in der Adtech-Welt gesehen und das wird im zweiten Halbjahr bestimmt weitergehen. Die Frage ist vor allem, was mit den Attribution-Anbietern am Markt passiert. Eine Lösung für das Dilemma existiert meines Wissens noch nicht.
ADZINE: Du hast uns bereits verraten, dass ihr alternative Signale wie First-Party-Daten, ID-Lösungen, kontextuelle Signale und allerhand Informationen wie den Gerätetyp nutzt, um Targeting und Messung ohne Third-Party-Cookies zu gewährleisten. Wie breit seid ihr mittlerweile aufgestellt? Braucht ihr die Third-Party-Cookies noch?
Sihelnik: Cookies sind nicht mehr in der Größenordnung verfügbar, wie sie es etwa noch vor einem Jahr waren. Aber wenn die Cookie-Signale aktiv und verfügbar sind, dann werden sie natürlich auch weiterhin genutzt. Viele Kunden vergleichen die Ergebnisse mit denen aus Cookieless-Umgebungen und wir sehen, dass sich diese mehr und mehr annähern.
ADZINE: Was ist mit alternativen IDs? Welche seht ihr mehr, welche weniger?
Sihelnik: In den Bidstreams ist das Vorkommen der ID-Signale sehr bescheiden. Die Shared-ID von Prebid ist zum Beispiel eine Open-Source-Variante, die häufig auftaucht und eine gewisse Relevanz hat.
ADZINE: Von der Agenturseite höre ich meistens, dass sich die ID5 und die NetID in Deutschland vorne positioniert haben.
Sihelnik: Die kommen in unserem Kosmos auch vor, aber nicht in der Relevanz, in der man vielleicht gedacht oder sich erhofft hätte.
ADZINE: Die Targeting-Logiken übertragt ihr auch auf neue Kanäle wie beispielsweise CTV – wie wird dieser programmatische Ansatz in Deutschland inzwischen angenommen? Kauft ihr zunehmend programmatisches Inventar im TV?
Sihelnik: Absolut. Connected TV ist einer der Bereiche, der mit Abstand das größte Wachstum im letzten Jahr hingelegt hat. Es ist eine Riesenchance für Werbetreibende, denen das lineare TV bislang zu teuer war. Weil der Supply günstiger ist und man auf Programmatic Buying und Targeting zurückgreifen kann, ist CTV viel effizienter bei der Aussteuerung.
Wir verfolgen den Ansatz, dass dein Online-Surfverhalten viel mehr über deine Interessen und deine jetzigen Kaufabsichten aussagt, als dein lineares TV- oder Streamingverhalten.
Unsere First-Party-Daten aus der Online-Welt, übertragen in die CTV-Welt, können sehr granular beim Targeting in CTV eingesetzt werden. Damit unterscheiden wir uns enorm von anderen CTV-Anbietern.
ADZINE: In der Online-Welt seid ihr bei den Seiten integriert und analysiert Besucherdaten. Aber wie kommt der Match mit dem Fernseher zustande?
Sihelnik: Die Daten stammen primär aus unserem First-Party-Measure-Footprint, denn wir haben 100 bis 150 Millionen Publisher vertaggt. Mit diesen First-Party-Daten füttern wir unsere KI, die primär auf Machine Learning basiert. Bereichert werden die Daten zusätzlich durch eine kontextuelle Analyse des Webs. In dem Fall setzen wir vor allem auf Natural Language Processing, also eine andere Untersparte der Künstlichen Intelligenz. Daraus entstehen probabilistische Datenpunkte, die wir zur Modellierung nutzen. Bei den probabilistischen Daten handelt es sich um Annahmen, basierend auf den Mustern beim Surfverhalten. So können beispielsweise Desktop und Mobile gematcht werden.
In Richtung CTV kommen deterministische Datenpunkte wie IP-Adresse, Device-ID oder weitere ID-Signale wie Logins hinzu, um den Haushalt zu matchen, in dem sich das CTV-Endgerät befindet. Die Geräte, die ans Internet angeschlossen sind, nutzen ja auch ein Wifi-Netzwerk. Die Device-ID im Zusammenspiel mit der geografischen Location – man loggt sich meistens im selben Radius ein – kann auch dazu genutzt werden.
ADZINE: Wir hören es schon heraus – Machine Learning und Künstliche Intelligenz sind euer Steckenpferd. Welche Rolle wird KI im Media Buying der Zukunft spielen?
Sihelnik: Wir haben in den letzten Jahren bereits sehr viele Bereiche gesehen, wie KI die Wertschöpfungskette im Mediaeinkauf verbessert hat. Angefangen von der Datenerfassung, -erhebung und -analyse, also in welchen Zeitfenstern welche Datenmengen verarbeitet und eingesetzt werden können. Weiter geht es mit der Auswertung von Zielgruppen und Personalisierung des Einkaufs und der Werbung, die wir ausspielen. Teilweise findet man Zusammenhänge über die Audience heraus, die man gar nicht auf dem Schirm hat.
Mit Blick auf den tatsächlichen Einkauf, das Bidding und die Optimierung der Kampagne brauchen wir heute gar keine Campaign Manager mehr, die sämtliche Faktoren einstellen und jeden Hebel umlegen. In Sachen Effizienz, wie viel man wo bietet, wann und in welchem Umfeld, haben wir große Fortschritte gemacht.
In der Attribution und der Kampagnen-Auswertung können wir komplexe User-Journeys über mehrere Kanäle analysieren. Da wird KI mit Blick auf die kommende Adressierbarkeitslücke eine noch größere Rolle einnehmen. Hier müssen viele unterschiedliche Datenpunkte in Echtzeit zusammengebracht und ausgewertet werden – da wird sich in Zukunft zeigen, welche Unternehmen wahre KI im Portfolio haben. Außerdem können wir Predictive Modelling nutzen, um Umfelder auf die Themen Brand Safety, Brand Suitability und Ad Fraud hin zu überprüfen.
Doch eine große Frage bleibt: In welche Richtung wird sich Künstliche Intelligenz entwickeln? Wird es Regulierungen geben? Wie viel Freiheit haben wir künftig bei der Weiterentwicklung von KI? In der Arbeitswelt hilft es uns heute jedenfalls schon in vielen Bereichen und wirkt Fachkräfte- sowie Ressourcenmangel entgegen.
ADZINE: Danke für das Interview, Sara!
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