Kein Tag vergeht, ohne dass Künstliche Intelligenz irgendwie irgendwo im digitalen Advertising mitmischt. Auch im Mediaeinkauf dürfte KI in diesem Jahr ihre Spuren hinterlassen. So könnte sie die Datenmengen neuer Kanäle detailliert analysieren und eine besondere Rolle beim Wegfall der Drittanbieter-Cookies spielen. Adzine hat in der Adtech-Branche nachgehorcht, welche Aufgaben KI beim Media Buying übernehmen kann und wird.
Künstliche Intelligenz ist besonders nützlich, wenn große Datenmengen analysiert und in Echtzeit optimale Entscheidungen getroffen werden müssen. Der programmatische Mediaeinkauf ist ein Paradebeispiel dafür: The Trade Desk sieht beispielsweise circa 13 Millionen Anzeigenmöglichkeiten pro Sekunde. „Die Analyse dieser riesigen Datenmengen, kombiniert mit weiteren Datenquellen – beispielsweise zum Ort, Wetter, Kontext und natürlich Angaben zum jeweiligen User – wäre ohne KI gar nicht möglich“, sagt Dominik Laudage, General Manager Client Services bei The Trade Desk. Dadurch, dass KI komplexe Daten in Millisekunden analysiert, können Werbungtreibende die richtigen Anzeigenplätze zum richtigen Preis kaufen.
Nach Einschätzung von Laudage ist im Jahr 2024 – dem Jahr, in dem Chrome den Third-Party-Cookies aller Voraussicht nach abschaffen wird – eine Omnichannel-Strategie, die alle verfügbaren digitalen Kanäle im offenen Internet einbezieht, wichtiger denn je. Nur so könne die fragmentierte Mediennutzung der Verbraucher:innen erfolgreich abgedeckt werden – und das bei sinnvollem Frequency Capping.
Gleichzeitig spielt der KI eine weitere Entwicklung in die Hände: Denn je mehr Kanäle es gibt, desto vielfältiger werden auch die Datenpunkte. Werbungtreibende müssen sich darauf verlassen können, dass diese sinnvoll verknüpft werden. „Auch hierfür ist KI zentraler Enabler im Backend und zwar schon seit langem“, sagt Laudage. Die Wichtigkeit von KI wird sich aus seiner Sicht 2024 noch weiter verstärken, wenn Kanäle wie Streaming TV oder Digital Audio zusätzliche Daten zur Aussteuerung bereitstellen und Lücken durch das Wegfallen von Cookies geschlossen werden müssen.
Zusätzliche Daten verarbeiten, fehlende kompensieren
Schon seit Jahren geht die Entwicklung in diese Richtung: Immer mehr Kanäle und immer mehr Daten müssen analysiert und aufbereitet werden, um aus ihnen die richtigen Schlüsse – und vor allem die richtigen Kaufentscheidungen im Kanal-Mix – zu ziehen. Für Künstliche Intelligenz ist dies ein Heimspiel. „Da sich die Marketingkanäle schneller vermehren als konsolidieren, erwarten wir, dass Marketer KI nutzen werden, um eine ganzheitliche Kampagnenübersicht aus ihren heterogenen Daten zu erlangen“, sagt Romain Lerallut, VP Engineering und Head of Criteo AI Lab, Criteo. „Wir bewegen uns immer mehr in Richtung einer phygitalen Welt, die von Marketern erfordert, für einen nahtlosen Übergang ihrer Botschaften über traditionell getrennte Kanäle wie stationärer Handel, Offsite- und Onsite, aber auch CTV oder smartes E-Mailing zu sorgen“, so der Experte. Weitere Auswirkungen auf das Media Buying sieht er in KI-generierten Inhalten und dem Smart Buying, also dass smartere Algorithmen für mehr personalisierten Content sorgen, der zum passenden Zeitpunkt ausgespielt und mehr User Engagement erzeugen wird.
Und sogar wenn Daten zur Aussteuerung wegfallen – wie es in diesem Jahr durch den Drittanbieter-Cookie-Tod der Fall sein wird –, könnte künstliche Intelligenz dabei helfen, diesen Daten-Verlust zu kompensieren. So wird nach Einschätzung von Sara Sihelnik, DACH-Chefin von Quantcast, der Einsatz von KI im Jahr 2024 in erster Linie die Auswirkungen des Endes der Third-Party-Cookie-Ära abfedern. „Durch den Wegfall der Third-Party-Cookies entsteht eine enorme Lücke in der Adressierbarkeit von Zielgruppen“, sagt Sihelnik. Um diese Lücke zu schließen, wurde in den letzten Jahren eine Vielzahl an Lösungen geschaffen. Jeder Player auf dem Markt hat mittlerweile seinen eigenen Favoriten. „Das führt aber letztendlich dazu, dass der Kanon der Datenquellen und -signale noch fragmentierter wird“, so die Expertin. Um diese Fragmentierung einzudämmen und den Zugriff auf alle diese Quellen und Signale zu ermöglichen, braucht es ein Mittel, das die Vielzahl an Quellen verarbeitet und die Informationen zusammenfasst. Und das wird nach Einschätzung von Sihelnik in naher Zukunft nur durch Künstliche Intelligenz möglich sein.
Keine Fehlkäufe mehr
Grundsätzlich kann eine KI fast bei jedem Aspekt des Media Buying eine enorme Hilfe sein. Vor dem eigentlichen Kauf hilft eine KI, enorme Datenmengen aus verschiedenen Quellen und Signalen zu erfassen und anschließend zu analysieren. Sie gibt Auskunft über Zielgruppen und wie man die jeweilige Werbung auf Einzelpersonen zugeschnitten am besten ausliefern sollte. „Beim Kauf selbst kann Werbetreibenden ein KI-basierter Bidding-Algorithmus helfen, der den perfekten Zeitpunkt, Preis, Ort für Gebote berechnet und die anschließende Kampagnenwirkung live misst“, erläutert Sihelnik.
Ein oft unterschätzter Aspekt in dieser Thematik ist nach Einschätzung der Expertin das Potenzial für Brand Safety oder auch Suitability, und darüber hinaus der Schutz vor Ad Fraud. Denn mitunter wird in der Online-Werbebranche Media zwar sehr effizient eingekauft, aber auf fragwürdigen Seiten oder in einem Kontext ausgespielt, der nicht markensicher ist. Ein präventives Targeting auf Basis von Predictive Modelling ist aus Sicht von Sihelnik ein probates Mittel, mit dem sich Werbetreibende vor ungewünschten Umfeldern und Betrügern im Open Web schützen können.
Workflows und Messansätze müssen nachziehen
Wie in anderen Bereichen dürfte KI den Mediaeinkauf also effizienter machen. Nicht nur durch veränderte Workflows und Prozesse, sondern auch durch die Möglichkeit, auf den eingekauften Platzierungen höhere Conversions zu erzielen. KI sorgt schon seit Jahren auf den großen Plattformen und Publisher-Netzwerken für die Erhöhung von Conversion Rates und für die automatisierte Selektion der effizientesten Creatives. „Durch die Demokratisierung von KI und den Einsatz generativer KI lassen sich diese Tools besser zu eigenen Gunsten nutzen und beeinflussen“, sagt Niklas Stog, Partner von TD Reply. Wenn Werbetreibende die richtige Infrastruktur aufbauen, können sie Stog zufolge noch vor dem Mediaeinkauf automatisiert Content generieren, der datenbasiert besser auf die Zielgruppen oder den Point of Sale zugeschnitten ist. KI kann also Dynamic Creative Optimization (DCO) auf ein neues Level heben – Agenturen damit aber auch vor neue Herausforderungen in der Exekution stellen. „Durch Generative KI wird die Anzahl eingesetzter Creatives künftig wahrscheinlich in die Höhe schießen, was eine Transformation bestehender Workflows und Messansätze nach sich ziehen müsste“, prognostiziert Stog.
Manueller Aufwand sinkt
Im Programmatic Advertising ist der Fokus im Mediaeinkauf und der Kampagnenoptimierung zudem traditionell darauf gerichtet, Streuverluste zu reduzieren und Daten präzise zu analysieren, um die Kampagnen-Performance zu maximieren. Max von Weber, Gründer & CEO von Adnomaly Technologies, macht auf einen weiteren Effekt aufmerksam: „Die Integration von künstlicher Intelligenz verspricht nicht nur herausragende Kampagnenergebnisse, sondern auch eine signifikante Minimierung des manuellen Aufwands“, betont der Experte. Bislang aufwendige Prozesse wie Dynamic Creative Optimization (DCO), A/B-Testing und die daraus resultierende Generierung von Kampagnen- und Dateninsights werden von KI nicht nur automatisiert, sondern auch mit einer Komplexität und Präzision ausgeführt, die für Einzelpersonen oder Teams kaum realisierbar ist. Von Weber ist überzeugt: „KI wird vor allem die Korrelation zwischen menschlicher Arbeit und der Performance von Kampagnen eliminieren, und somit eine wegweisende Ära der Effizienz im Mediaeinkauf einläuten."
Viele Marktbeobachter gehen davon aus, dass KI die gesamte Mediabranche prägen und potenziell auch neue Plattformen oder Inventare hervorbringen wird. Das Internet und das damit verbundene Nutzerverhalten könnten tiefgreifend verändert werden. Dies könnte wiederum ebenfalls Auswirkungen auf die Instrumente der Werbegestaltung haben, meint von Weber: „Die Zukunft des Mediaeinkaufs bedeutet somit nicht nur eine Verschiebung in den operativen Abläufen, sondern auch eine potenzielle Neudefinition der strategischen Beratung und eine Anpassung an die sich wandelnde Landschaft des Webs und des Nutzerverhaltens."
Erweiterte Funktionen für DSPs
In der Videowerbung gibt es beispielsweise seit geraumer Zeit von verschiedenen Akteuren Bestrebungen, die fragmentierten und komplexen Vorgänge zu vereinfachen und zu rationalisieren. Demand-Side-Plattformen (DSP) haben dort bereits viele Jobs automatisiert. „Dies bedeutet jedoch nicht, dass hochkomplexe Probleme wie die Suche nach dem richtigen Preis für Ihre Videoanzeigenimpression oder auch für die Ermittlung der besten Conversion-Raten verschwunden sind“, sagt Tanno Krauss, Senior Director of Demand Sales von Audiencexpress. Und hier komme nun KI ins Spiel. „Während der Einsatz menschlicher Intelligenz sehr kostspielig wäre, können KI-Tools wie Algorithmen für maschinelles Lernen in jeder Branche zu erheblichen Effizienzsteigerungen führen. Der Medieneinkauf ist natürlich keine Ausnahme“, so Krauss, der davon ausgeht, dass KI selbst auf leistungsstarken und stark automatisierten Plattformen wie DSPs erweiterte Funktionen bieten wird. Bei Audiencexpress erwartet man daher viele Effizienzsteigerungen durch die Einführung von KI-Tools im Adtech-Ökosystem, einschließlich besserer Algorithmen-Leistungen zur Optimierung des Medieneinkaufs.
Da KI sich rasant entwickelt, wird sie in vielen Bereichen altgediente Prozesse aufbrechen und neue Setups ermöglichen. Entscheidungen für den optimalen Mediakauf werden noch präziser und effizienter möglich sein. Doch, dass KI von heute auf morgen das Media Buying auf links dreht, davon gehen Marktbeobachter nicht aus. „Mittelfristig ist es spannend, weil alte, ‘traditionelle’ Praktiken und Denkweisen mit modernsten Technologien koexistieren werden“, sagt Ingmar Zach, Vizepräsident für Produktmanagement bei Freewheel. Der Experte geht davon aus, dass nach einer Weile die Akzeptanzraten der besten Dienste exponentiell steigen werden. „Aber auch sie müssen sich zunächst beweisen“, sagt Zach. Wie das funktionieren kann, zeige Beeswax, die Demand-Side-Plattform von Freewheel. Sie zielt darauf ab, Agenturen die Kontrolle über den Medieneinkaufsprozess zu geben. „Als Teil davon möchte Beeswax nun KI-Tools für maschinelles Lernen nutzen, um die Gesamtleistung der Kampagne zu verbessern“, erläutert Zach. Diese Tools können Werbetreibenden dabei helfen, Erkenntnisse für die Prognose der Anzeigenbereitstellung zu gewinnen, bei der Entscheidungsfindung helfen und Komplexität reduzieren. „Wir glauben, dass es der richtige Weg ist, sich auf diesen Wandel einzulassen“, sagt Zach.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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