Datengetriebenes Marketing und Advertising stehen an einem Scheideweg. Diverse Datenplattformen haben sich in Stellung gebracht und ihre cookielosen Lösungen für die Erhebung, Verarbeitung und Aktivierung an den Start gebracht. Im Advertising kommt es insbesondere auf die Auslieferung an die richtige Zielgruppe und Erfolgsmessung der Kampagnen an. Doch bereits bei den Marketingmaßnahmen auf der eigenen Seite kann es zu Problemen kommen, wenn die Technologie nicht sauber aufgesetzt ist. Wie also sollen Marketing-Verantwortliche komplexe, seitenübergreifende Kampagnen künftig steuern und sogar optimieren können? ADZINE hat sich unter den Datenprofis umgehört, um zu ergründen, worauf sich die Marktteilnehmer in 2024 einstellen können.
Das Cookie schwindet, die Datenqualität leidet
“2024 wird das Entscheidungsjahr, wenn es darum geht, Daten selbst zu verarbeiten, anstatt sie Big Tech zu überlassen,” sagt Thomas Tauchner, Gründer und CEO des Wiener Tracking-Spezialisten Jentis. Er weist auf die kommenden – und durchaus bereits bestehenden – Probleme bei der Erhebung der Daten sowie die Schwierigkeiten bei der Interoperabilität der Technologien hin. “Datenqualität wird kein leeres Schlagwort mehr sein, denn wir alle werden die Auswirkung niedrigerer Data-Accuracy, mangelnder Datenschutz-Compliance oder schlechter Konnektivität in unseren Tech-Stacks spüren”, so Tauchner. Die Erhebung sei allerdings nur der erste Schritt. Die Verarbeitung von First-Party-Daten würde “absolut im Vordergrund” stehen. Der Schwerpunkt auf den eigens erhobenen Informationen ist notwendig, da sauber erhobene und sinnvoll einsetzbare Drittanbieter-Daten künftig rar sein werden – und es jetzt schon sind. Dafür sorgen sowohl verschärfte Datenschutzverordnungen vonseiten der Gesetzgebung als auch Schritte der marktbeherrschenden Technologieanbieter in Richtung mehr Privatsphäre im Netz.
Bei dem Thema First-Party-Daten könnten hiesige Marketing-Abteilungen jedoch ins Hintertreffen geraten. “Wir sehen bereits die Vorboten, dass dieses Thema in den USA im Jahr 2024 abheben wird. In Europa laufen wir aktuell wieder Gefahr, abgehängt zu werden, anstatt entschlossen und vorausschauend zu agieren”, glaubt Tauchner.
Datenzusammenarbeit mit Identity als Schlüssel
Einer dieser vorpreschenden US-amerikanischen Player ist Liveramp. Mit seiner “Data-Connectivity-Plattform” hat sich das Unternehmen frühzeitig dem Thema datenschutzkonforme Datenverarbeitung verschrieben. An der Westküste zählt man anscheinend schon die Tage. “Unabhängig von Browser-Timelines und anderen Makro-Unsicherheiten wird vor allem eine Veränderung das gesamte Ökosystem bestimmen: Im Jahr 2024 werden sich Marketer endgültig von Third-Party-Cookies lösen”, sagt Alexia Nakad, VP of Americas & Global Expansion bei Liveramp. Nakad rechnet in dem Zuge vor allem mit einem Aufschwung von alternativen Identity-Lösungen. In Sachen Measurement komme dann das Prinzip Data Collaboration ins Spiel. “Die sichere Kombination und Analyse von Datensätzen kann sich auch auf andere Bereiche wie Media Measurement ausdehnen, das lange Zeit von der Fragmentierung von Datensätzen, der Datenerfassung und den strengen Datenschutzbestimmungen eingeschränkt wurde”, so die Spezialistin.
Identity ist ein Feld, auf dem sich Markus Erwin, GTM Lead Data & Journey bei Adobe, bestens auskennt. Auch er ist sich sicher, dass Advertiser nach dem Abschied vom Third-Party-Cookie dringend Lösungen finden müssen, um datengetriebene Use Cases über alle Advertising-Kanäle zu realisieren. “Es braucht eine Datenplattform, um verschiedenste Partner-IDs, unter anderem von großen Publishern, zu verarbeiten, und so weiterhin signifikanten Top-of-the-Funnel-Traffic zu erreichen”, sagt Erwin. “Unternehmen müssen sich daher genau überlegen, wo sich ihre Zielgruppen befinden, und welche Partner-IDs sie benötigen, um sie zu erreichen.” Seiner Meinung nach liegt die Antwort in einer “ID-agnostischen CDP-Technologie”.
Nutzereinwilligungen sind das A und O
Wer “Identity” sagt, muss auch “Consent” sagen. Damit befinden wir uns auf dem Spielfeld des Züricher Cookieless-Experten Fusedeck. “Viele graue Tricks mit Cookies und Consent der letzten Jahre funktionieren nicht mehr. Es gilt daher einmal einen Frühjahrsputz zu machen, wie Einwilligungen eingeholt werden, was wirklich an Daten benötigt wird und ob diese sinnvoll erfasst und ausgewertet werden”, meint Michael Kornobis, Analytics & Data Consultant Lead bei der Fusedeck GmbH, dem deutschen Ableger des Schweizer Unternehmens. Eine Bereinigung des Trackings und des Tag-Managements stehe demnach an.
Der viel beschworene “Tod der Third-Party-Cookies” sei operativ schon länger ein Problem und trete nicht erst mit dem Jahr 2024 auf. Operativ betrachtet gibt es mit dieser Technologie schon viel länger Probleme, sagt Kornobis. “Der Fokus sollte daher auf die Sicherstellung der First-Party-Datenerfassung gesetzt werden”, pflichtet er seinem Mitstreiter Tauchner bei. Das Online-Marketing werde komplexer und aufwendiger. “Wir alle sollten uns technisch intensiver damit auseinandersetzen und über altbewährte KPIs hinausdenken”, so Kornobis.
Künstliche Intelligenz leistet vielfältig Hilfestellung
Beim ebenfalls in Zürich gegründeten Nexoya steht die Aggregation und Anonymisierung von Daten hoch im Kurs. Die hauseigene KI-gestützte Technologie, die diesen Ansatz verfolgt, kommt im Performance-Marketing zum Einsatz und soll Kampagnen kanalübergreifend optimieren. “Modernste Technologien wie anonymisierte Aggregationsmodelle und andere Analysen ermöglichen eine präzise Bewertung von Kampagnen, ohne die Privatsphäre der Nutzer zu beeinträchtigen”, ist Flavia Wagner, Head of Customer Experience bei Nexoya, überzeugt. “Dieser Paradigmenwechsel erfordert strategische Kalibrierung und drängt Werbetreibende dazu, transparente und vertrauenswürdige Analysetools einzusetzen”, so die Expertin.
Doch KI kommt auch anderweitig in den Datenplattformen zum Zuge. Dabei schielt die Werbeindustrie auf Use Cases aus anderen Sektoren. “Der Einsatz von künstlicher Intelligenz ist in vielen Branchen bereits weit verbreitet. Seit Jahrzehnten setzen Finanzinstitute Modelle ein, um Risiken und Ausfallwahrscheinlichkeiten zu errechnen”, erklärt Manuel Tönz, Director of Client Strategy EMEA vom CDP-Anbieter Bloomreach. “Im Bereich Advertisement und Datenplattformen hat man die vergangenen Jahre mit Modellen für Empfehlungen und Segmenten gearbeitet – aber der richtige Durchbruch war noch nicht gelungen. Das wird sich ändern.” Tönz geht davon aus, dass sich dadurch die Kundeninteraktion, aber auch die Arbeitsweise im Marketing “dramatisch ändern” werden. “Auf Kunden zugeschnittene und automatisch generierte Werbung, Copiloten für die Marketingmitarbeiter und vieles mehr sind nur einige Beispiele für die technologische Zeitenwende, vor der wir stehen”.
Ein konkretes Beispiel, wie KI-gestützte Echtzeit-Analytics im Bereich der Online-Shops aussehen könnte, liefert Helge Langensiepen, Director Revenue bei Mapp. “Ein Online-Shop für Sportbekleidung implementiert ein solches System. Es nutzt KI, um Echtzeitdaten der Kunden zu analysieren, einschließlich ihrer Suchanfragen und Kaufhistorie”. Wenn ein Kunde dann beispielsweise nach Laufschuhen sucht, identifiziert das System diese Präferenz und zeigt dem Kunden personalisierte Anzeigen für Laufschuhe und ähnliche Produkte auf verschiedenen digitalen Plattformen. “Durch Predictive Analytics wird zukünftiges Kaufverhalten vorhergesagt, was die Anzeigeneffizienz weiter steigert”. Dies ermögliche eine gezieltere Kundenansprache und optimiere den Werbe-ROI, so Langensiepen.
Die Cookieless-Fatigue und KI als Heilsbringer
Der Diskussion über den Schwund der Third-Party-Cookies und den Rattenschwanz, den dieser nach sich zieht, ist die Werbeindustrie mittlerweile müde. Vielerorts schalten die Markteilnehmer:innen direkt ab, wenn sie das Wort “Cookieless” hören. Seit Jahren wurde sehr viel darüber geredet und die Adtech-Welt hat durchaus probate Lösungen erarbeitet. Die Frage ist nur, ob diese mit dem gleichen Eifer, der sich bei den Debatten zeigte, in die Tech-Stacks integriert wurden?
So viel ist sicher: Die Erkenntnisse aus der eigenen Marketingwelt der Unternehmen werden künftig eine größere Rolle bei der Auslieferung der Werbung spielen. Um sinnvolle Insights zu gewinnen, ist ein technisch sauber aufgesetztes Tracking nötig – verbunden mit der entsprechend rechtssicheren Einholung der Nutzereinwilligung. Bei der Analyse dieser eigens erhobenen (und somit First-Party-)Daten kommt zunehmend Künstliche Intelligenz zum Zuge, die darüber hinaus verstärkt bei der Aktivierung hilft. Ansonsten dienen als Bindeglied zur externen Medienwelt voraussichtlich vor allem alternative IDs. Außerdem ist der Zusammenschluss von verschiedenen Parteien mithilfe von Data Clean Rooms denkbar, um die Daten auf neutralem Boden sicher abgleichen und für übergreifende Marketing-Maßnahmen einsetzen zu können. Auch im Bereich der Kreation greift man vermehrt auf KI aus den Datenplattformen zurück.
Aber eigentlich wissen das schon längst alle, denn das Problem ist schließlich nicht neu und die Tech-Stacks stehen bereit – oder?
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