Marketing-Chaos in Sichtweite?
Anton Priebe, 16. Januar 2024Das digitale Marketing kämpft seit jeher mit einer sich stetig wandelnden Datenlandschaft. Die Voraussetzungen für die Erfassung und Analyse von Daten ändern sich permanent, wobei insbesondere die DSGVO einen Höhepunkt seitens der Gesetzesgebung markiert. In 2024 gesellt sich mit Googles Plänen für Chrome voraussichtlich ein weiterer Höhepunkt hinzu, diesmal technischer Natur. Im Fahrwasser des anstehenden Wandels haben sich Technologie-Dienstleister positioniert, die den Anforderungen mit neuen Lösungen begegnen. Dazu zählt der Wiener Datenspezialist Jentis, der kürzlich eine stattliche Finanzierung auf die Beine stellen konnte. Laut Gründer und CEO Thomas Tauchner haben europäische Unternehmen in Sachen Datenverarbeitung sogar einen Wettbewerbsvorteil gegenüber dem Rest der Welt. Im Interview klärt Tauchner, wie sich deutsche Marketingabteilungen vorbereiten, und legt seine Erwartungen für das Ende der Third-Party-Cookies sowie die künftigen Entwicklungen dar.
ADZINE: Hallo Thomas, nach zwei Seed-Finanzierungen habt ihr gerade eine Series-A-Finanzierung gestemmt. Wie kam es dazu und was habt ihr mit dem frischen Kapital vor?
Thomas Tauchner: 2023 war kein leichtes Jahr für Start-ups. Um das festzustellen, reicht schon ein Blick in die Start-up-Medien. Wir haben viel weniger Finanzierungsrunden gesehen als im Boom der vergangenen Jahre, geringe Höhen und Evaluierungen. Dass Jentis unter diesen Rahmenbedingungen eine Series A in der Höhe von 11 Millionen vermelden kann, ist kein Zufall. Ein tolles Produkt und ein hervorragendes Team haben hier den Ausschlag gegeben. Jetzt geht es für uns darum, mit dem frischen Kapital unser Produkt weiterzuentwickeln und in bestehenden und neuen Märkten in Europa und Nordamerika zu wachsen.
ADZINE: Dieses Jahr soll auch in Chrome endgültig Schluss sein mit Third-Party-Cookies. Wie sind deutsche Marketingabteilungen eurer Erfahrung nach darauf eingestellt? Läuft das Cookieless-Tracking dort in der Regel schon?
Tauchner: Viele Marketingabteilungen im DACH-Raum scheinen die Bedeutung dieser Änderung, ähnlich wie bei der DSGVO 2018, zu unterschätzen. Der große Unterschied liegt diesmal darin, dass Unternehmen, die 2018 keine Anpassungen vornahmen, nicht sofort negative Konsequenzen spürten. Das wird sich mit dem Ende der Third-Party-Cookies 2024 deutlich anders darstellen.
ADZINE: Was also wird deiner Meinung nach geschehen, wenn Google 2024 den Schalter kippt? Marketing-Chaos und lauter fehlgeleitete Kampagnen oder alles halb so wild?
Tauchner: Ich fürchte, dass wir weit näher am Marketing-Chaos sein werden, als den meisten bewusst ist, sobald Google 2024 den Schalter umlegt. Die Datenqualität wird noch weiter sinken. Sobald sie unter 30 Prozent fällt, also 70 Prozent der Webseiten-Daten verloren gehen oder unbrauchbar sind, können digitale Marketingaktivitäten kaum mehr effektiv aufrechterhalten werden. Nicht alle Unternehmen werden auf Server-Side Tracking umgestellt haben, und noch weniger werden gelernt haben, mit den neuen First-Party-Daten umzugehen. Ich male ungern schwarz, aber es wird ein Ruck durch die Branche gehen.
ADZINE: Wie sollten die Marketingverantwortlichen, die bislang geschlafen haben, jetzt reagieren? Oder ist es schon zu spät?
Tauchner: Wer bisher gezögert hat, sollte jetzt aktiv werden. Es ist nie zu spät, und jeder Tag, an dem nicht weiter geschlafen wird, ist ein Gewinn. Wir sehen aber, dass der große Switch schon voll im Gange ist, ausgehend von stark datengetriebenen Unternehmen und der Digital-Analytics-Branche, wo diese Themen immer als Erstes aufschlagen. Dort gibt es aktuell ein großes Thema: Server-Side Tracking. Die Transformation umfasst hauptsächlich diesen Technologiewechsel und den Aufbau von Know-how. Hierbei steht eine wichtige Entscheidung an: Soll die Umsetzung intern oder extern erfolgen? Für beide Wege wird Zeit langsam knapp.
ADZINE: Third-Party-Cookies sind nur die Spitze des Eisbergs. Letztlich stehen der Wunsch nach mehr Privatsphäre online und verschärfte Datenschutzgesetze dahinter. Richtlinien wie die DSGVO werden zunehmend außerhalb Europas umgesetzt. Was bedeutet dies für den Werbemarkt?
Tauchner: Die Entwicklung hin zu mehr Online-Privatsphäre und strengeren Datenschutzgesetzen ist aufgrund der weltweiten Vorbildwirkung der DSGVO mehr als nur ein europäisches Phänomen. Es stellt tatsächlich auch einen Vorteil für Europa dar. Europäische Unternehmen, die als erste von diesen Änderungen betroffen waren, hatten die Chance, frühzeitig zu lernen, wie man mit dieser neuen Situation umgeht. Das wird sich in Zukunft als bedeutender Wettbewerbsvorteil erweisen. Jentis ist ein Paradebeispiel dafür, wie die Herausforderungen der DSGVO genutzt werden können, um weltweit neue Märkte anzusprechen.
ADZINE: Welches Trends siehst du darüber hinaus, die das datengetriebene Marketing in den kommenden Jahren begleiten werden?
Tauchner: In den kommenden Jahren wird sich das datengetriebene Marketing zunehmend auf die Verarbeitung von Informationen konzentrieren, statt auf das reine Sammeln von Daten. Wir müssen wieder lernen, aus unseren eigenen Daten wertvolle Informationen zu gewinnen und diese effektiver zu nutzen. Schließlich leben wir im Informationszeitalter, nicht im Datenzeitalter.
ADZINE: Wie sieht das datengetriebene Marketing der Zukunft aus?
Tauchner: Das Marketing der Zukunft wird stark von Technologien und Know-how getrieben sein. Unternehmen, die es verstehen, mit den richtigen Technologien Daten korrekt zu erfassen und diese in gewinnbringende Information umzuwandeln – und zwar nicht nur für das Marketing – werden wir auch in zehn bis 20 Jahren noch am Markt antreffen. Marketing wird eine neue Rolle übernehmen, indem es Informationen bereitstellt, die für das gesamte Unternehmen von Bedeutung sind.
ADZINE: Danke für das Interview, Thomas!
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