Nach dem Aus der Drittanbieter-Cookies weiterhin hochrelevant und personalisiert im Web zu werben und zugleich allen Datenschutzanforderungen gerecht zu werden: Das ist ein wenig wie die Suche nach dem heiligen Targeting-Gral. Doch die Adtech-Branche ist hellwach und hat viele Lösungen im Köcher. Das Cookie wird schwinden, das Targeting nicht. ADZINE hat sich unter Adtech-Anbietern umgehört und zeigt Targeting-Alternativen auf.
In diesem Jahr macht Google Ernst – diesmal wirklich, so scheint es zumindest. Die Drittanbieter-Cookies werden vom Chrome-Browser nicht mehr unterstützt. Damit sich der Werbemarkt daran gewöhnen kann, hat Google seit Jahresbeginn bereits ein erstes Abschalt-Experiment gestartet. Der Werbe-Gigant testet seit Anfang Januar seine neue, sogenannte "Tracking Protection"-Funktion, mit der ein Zugriff von Websites auf Drittanbieter-Cookies standardmäßig beschränkt wird. Ein Prozent aller Chrome-Nutzer:innen wurde dafür nach dem Zufallsprinzip ausgewählt. In der zweiten Jahreshälfte soll es dann in Gänze aus sein mit dem bei Nutzer:innen und Datenschützer:innen gleichsam unbeliebten Datensammeln. Bisher haben Werbetreibende versucht, das Problem so gut wie möglich zu ignorieren – nach dem Motto: irgendwelche Cookies werden schon noch funktionieren. Doch jetzt wird es ernst. Dabei haben viele Adtech-Anbieter die Zeichen der Zeit frühzeitig erkannt und an Cookie-Alternativen und alternativen Targeting-Ansätzen geschraubt. Kontextuelles Targeting, ID-Lösungen, alternative Daten oder schlicht die Buchung der guten alten Umfelder: viele Alternativen sind verfügbar und alles scheint möglich. Jetzt nimmt die Entwicklung Fahrt auf.
Den eigenen Datenschatz heben
"Für Publisher geht der Trend immer mehr zum Direktvertrieb auf Basis von First-Party-Daten, vor allem angetrieben durch die Datentiefe, die sie selbst vorhalten", sagt Max Henrychowski, Director DACH von Permutive. Daraus resultierend können die Publisher den Agenturen oder Advertisern Segmente maßschneidern und im Nachgang die Erfolgs-Metriken gleich ausspielen. Permutive arbeitet als Audience-Plattform mit First-Party-Daten und verarbeitet diese in Echtzeit. Die Technik im Hintergrund ist ein Patent des Unternehmens (Edge) und stellt die Adressierbarkeit und Ausspielbarkeit der Ads sicher. Für dieses Jahr sind zusätzliche Prospecting-Tools geplant. "Daten und der maßvolle Umgang mit diesen werden künftig entscheidend sein. Für die Werbetreibenden heißt es aber in 2024, endlich wieder 100 Prozent der Nutzer über alle Browser und Kanäle ansprechen und Werbung in hochwertigen Umgebungen schalten zu können", gibt der Experte die Richtung vor.
First-Party-Daten mit dem entsprechenden Consent bieten viele Vorzüge für das Advertising. Sie sind eine probate Antwort auf Datenschutzanforderungen und Browser-Restriktionen. Aber sie sind längst nicht die einzige Alternative in einer Welt ohne Drittanbieter-Cookies. Invibes Advertising setzt beispielsweise gezielt auf Shared-IDs und serverseitige Lösungen. Wichtig ist dem In-Feed-Spezialisten dabei eine transparente, vertrauenswürdige Werbelandschaft, die Verbraucherbedürfnisse erfüllt und Unternehmen leistungsstarke Targeting-Optionen bietet. "Die Welt wird geprägt durch schnelllebige Technologietrends mit einem Markt, der nach technologischer Unabhängigkeit strebt, um Kunden Skalierbarkeit, Exzellenz und Innovation zu bieten", sagt Jessica Tröger, Head of Partnerships Publishing & Data Management DACH, BE & NL bei Invibes. Schon 2020 hat das Unternehmen daher ein Modell entwickelt, das die Identifikation von User:innen mithilfe von Hashes ermöglicht, unabhängig von Third-Party-Cookies. Mit einem kombinierten Targeting-Ansatz fokussiere man sich nicht nur auf breite Targeting-Möglichkeiten, "sondern auch auf die erforderliche Tiefe des Targetings, um zuvor unerreichte Nutzer:innen zu identifizieren", so Tröger.
IDs bleiben im Trend
Das lang angekündigte und immer wieder verschobene Ableben der Third-Party-Cookies hat vor allem den Markt für Werbe-IDs explodieren lassen. Mehr als ein Dutzend ID-Anbieter buhlen um die Gunst der Advertiser. Doch dieser Markt dürfte auch wieder konsolidieren – bis zu einem gewissen Grad. "Es wird zwar nicht eine ID geben, die alle beherrscht, aber es wird deutlich weniger alternative IDs geben als heute", sagt Mathieu Roche, CEO und Co-Founder von ID5. Seiner Einschätzung nach werden sich die am weitesten verbreiteten IDs im Laufe der Zeit bewähren. Hingegen würden die IDs, die sich nicht durchsetzen, veralten und künftig lediglich noch für interne Zwecke verwendet werden. "In diesen Fällen können einige Unternehmen ihre IDs sogar mit etablierten universellen IDs interoperabel machen", prognostiziert Roche. Der Experte ist sich sicher: "Im Jahr 2024 wird sich die Einführung von IDs beschleunigen und die Interoperabilität zwischen IDs und anderen Identitätslösungen, wie Data Clean Rooms, zunehmen."
Haushalte statt Individuen
Und noch eine weitere Cookie-Alternative könnte in diesem Jahr Zuspruch erfahren: Die Modellierung von Werbezielgruppen, ohne dabei personenbezogene Merkmale zu verwenden. Das dänische Unternehmen Digiseg hat sich genau darauf spezialisiert: Es trackt keine Einzelpersonen und nutzt auch keine personenbezogenen Daten für das Targeting. Vielmehr verbindet man auf probabilistische Weise Haushaltsmerkmale mit IP-Adressen auf Nachbarschaftsebene, ohne einen einzelnen User oder Haushalt zu identifizieren. Im großen Maßstab wird dies zu einem leistungsstarken Ansatz für das Audience Targeting. "Eine große Entwicklung, die wir wahrscheinlich sehen werden, ist eine Überarbeitung der DSP-Datenmarktplätze, da so viele Cookie-basierte Datenanbieter abgebaut werden müssen", sagt Andrew Furst, Chief Commercial Officer von Digiseg. Advertiser müssen sich also auch dort auf Veränderungen einstellen und nach Alternativen suchen. "Die Herausforderung für Kunden besteht darin, dass viele der gängigen Alternativen zu den Daten von Drittanbietern immer noch Lücken aufweisen oder nur schwer in großem Umfang implementiert werden können", sagt Furst. "Unsere Kunden haben unsere Lösung als eine willkommene Plug-and-Play-Alternative zu den Third-Party-Daten-Anbietern kennengelernt, auf die sie bisher angewiesen waren", sagt er stolz.
Kontext und Daten kombinieren
Beim Contextual-Advertising-Spezialisten Seedtag geht man davon aus, dass die Kombination aus Contextual Targeting und First-Party-Daten eine mögliche Antwort auf die Herausforderungen der Branche ist, da sie personalisierte Werbung unter Wahrung der Privatsphäre der Nutzer:innen ermöglicht. "Die First-Party-Daten einer Marke sind der Schlüssel zu intelligenterem Marketing, wenn sie effektiv genutzt werden. Herkömmliche Ansätze sind aufgrund der sich ändernden Datenschutzbestimmungen nur schwer zu skalieren", erläutert Nicolas Poppitz, Managing Director DACH & VP Sales bei Seedtag. Der Vorreiter der Stunde könnte aus seiner Sicht Contextual Advertising sein. Der Grund: Kontextuelle Zielgruppen setzen sich aus Beiträgen mit ähnlichem Content zusammen. Für die Zuweisung zu den einzelnen Zielgruppen sind ausschließlich nicht-identifizierbare Daten der Webseiten, des Textes, des Bildes und der Stimmung nötig. Persönliche Daten kommen dabei nicht zum Einsatz. Kontextuelle, von KI-gestützte Technologie kategorisiert Texte plus visuelle Inhalte automatisch und erstellt immer wieder Verknüpfungen zwischen zueinander passenden Inhalten. "Das Zusammenspiel von Contextual Audiences, First-Party-Daten und generativer KI wird den Wandel in der Werbebranche vorantreiben und die Standards der Zukunft für Marken und Werbetreibende definieren", ist Poppitz überzeugt.
Fragmentierung als Chance
Kleine Ursache, große Wirkung: Zu diesem Schluss könnte man kommen, wenn man sich diesen Markt der Werbeansprache heute betrachtet, der künftig auch im marktbeherrschenden Browser Chrome ohne die Cookies von Drittanbietern auskommen muss. Ein heterogenes Wechselspiel der technischen und strategischen Möglichkeiten. Es gibt viele Trends, aber nicht die eine Lösung für ein Third-Party-Cookie-freies Targeting. Einige Werbetreibende setzen auf kontextbezogene Werbung. Andere auf Identitätslösungen. Wieder andere setzen auf First-Party-Daten oder bleiben datenschutzfreundlichen Alternativen treu. Man kann es Fragmentierung nennen oder auch Vielfalt – oder schlicht eine neue Chance für das Digital Advertising. Die Karten liegen auf dem Tisch. Jetzt ist es an den Advertisern, ein gutes Spiel daraus zu machen.
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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