Rückblick auf 10 Jahre Programmatic in Deutschland
Anton Priebe, 12. Dezember 2023Programmatic Advertising ist eine vergleichsweise junge Form des Mediahandels. Doch die Demand-Side-Plattform The Trade Desk feiert bereits ihr zehnjähriges Bestehen in Deutschland. 2013 nahm Lukas Fassbender hierzulande als DACH-Chef die Zügel eines kleinen kalifornischen Startups in die Hand, das einer großen Vision folgte. Heute ist The Trade Desk an der Börse 35 Milliarden US-Dollar wert und eine feste Größe beim Einkauf von programmatischem Inventar. Fassbender, der neuerdings den Titel SVP EMEA Revenue trägt, lässt im Interview die vergangene Dekade Revue passieren und wirft darüber hinaus einen Blick in die Zukunft des Programmatic Advertising.
ADZINE: Lukas, im Juli 2013 bist du als DACH-Geschäftsführer bei The Trade Desk eingestiegen und hast die erste deutsche Niederlassung der Kalifornier in Hamburg eröffnet. Wie ist es dazu gekommen und was hat dich dazu veranlasst, für The Trade Desk zu arbeiten?
Lukas Fassbender: Da muss ich ein bisschen weiter ausholen. Ich habe klassisch einen Business-Studiengang gewählt und bin dann eher durch Zufall in der Adtech-Branche gelandet, und zwar beim deutschen Vorgänger von Eyewonder, der von Eyewonder übernommen wurde. Damals habe ich zum ersten Mal verstanden, wie sich das Internet finanziert und so war meine Begeisterung für die Branche entfacht.
Zu der Zeit kam Programmatic in Deutschland auf und es herrschte Aufbruchsstimmung. Eyewonder wurde von Sizmek gekauft und bevor das wiederum an Amazon ging, hatte ich das Unternehmen bereits verlassen. Denn mein ehemaliger COO bei Eyewonder, Rob Perdue, rief mich Anfang 2013 an und erzählte mir von einem kleinen, amerikanischem Unternehmen mit einer “echt coolen Idee”.
Ich hatte damals das Glück, Jeff Green persönlich kennenzulernen, und war begeistert von seiner Vision, die nur Erfolg haben konnte, wenn sie von Anfang an global gedacht wird. The Trade Desk hatte damals so viele Mitarbeiter:innen wie eine Schulklasse und es ist sehr unüblich für amerikanische Unternehmen dieser Größe, darüber nachzudenken, wie man gleichzeitig Büros in London, Singapur und Deutschland eröffnet. Diese Vision, gepaart mit der Idee, nur die Einkaufsseite in Programmatic zu bedienen, hat mich überzeugt. So bin ich zum Unternehmen gekommen und habe das große Vertrauen des Gründers Jeff und des COO Rob genossen – ich hatte ja vorher noch nie ein Unternehmen oder einen Markt aufgebaut.
ADZINE: Wie sah die Programmatic-Landschaft hierzulande zu der Zeit aus? Programmatic war ziemlich neu, wenn ich mich recht erinnere.
Fassbender: Das war in der Tat Neuland. Die programmatische Welt hat das Werbegeschäft viel stärker internationalisiert, als es ohnehin schon der Fall war. Der Markt war auch damals bereits stark von globalen Playern geprägt. Die programmatische Einkaufsmöglichkeit hat aber dazu geführt, dass beispielsweise Marken aus Deutschland heraus bequem in Amerika, England, Spanien oder Asien einkaufen konnten. Gerade der deutsche Kundenstamm bestand aus ein paar wenigen Kunden, die uns bis heute erhalten geblieben sind, wie Serviceplan oder die Group M. Die Omnicom war sicherlich auch eine Agenturgruppe, die bereits sehr früh einen sehr klaren Fokus auf programmatische Werbung legte. Außerdem gab es vereinzelt Spezialagenturen, die eher aus dem Performance-Bereich stammten.
Insgesamt war der Markt deutlich offener – anders als heute. Beispielsweise war Inventar von Facebook mit FBX und auch Youtube programmatisch über externe DSPs verfügbar.
ADZINE: Wie hat sich Programmatic seitdem in Deutschland entwickelt? Inwiefern ist der Markt anders als beispielsweise Nordamerika?
Fassbender: Programmatische Werbung wurde am Anfang rein im Open Market gehandelt. PMPs (Private Marketplaces) waren nicht existent. Interessanterweise hat gerade Deutschland hier eine Vorreiterrolle gespielt.
Deutschland hat die Art und Weise geprägt, wie wir heute vielfach einkaufen. Wir haben den direkten Kontakt zwischen Advertiser, Agentur und Publisher in das programmatische Ökosystem überführt. Es ging hierzulande schon immer um Kontrolle und Qualität, weniger um die Aggregation von Long-Tail-Inventaren. Der deutsche Markt hat die Vorteile des programmatischen Einkaufs eingesetzt und dabei die direkten Beziehungen gehalten. Das war ein Modell, das wir sehr schnell weltweit ausgerollt haben.
ADZINE: Welchen Trend der vergangenen zehn Jahre betrachtest du mit Vorsicht?
Fassbender: Die Rolle der Agenturen ist immer wieder hinterfragt worden, letztlich aber erfolglos. Zum Beispiel sind vor nicht allzu langer Zeit große Beratungsunternehmen in die Branche geprescht und haben das Agentur-Modell für tot erklärt.
Der Markt ist allerdings extrem komplex und Media ist sehr vielfältig. Die eine Impression ist nicht wie die andere und auch nicht wie die nächste. Dies kann man von außen nicht unbedingt erkennen, wodurch Mediaagenturen oft einen Erfahrungsvorsprung gegenüber den Beratungsfirmen haben.
Klar ist jedenfalls, dass der Markt ein Servicemodell braucht, das darauf ausgelegt ist, Marken zu betreuen. Und das sie unterstützt, die richtigen Hypothesen aufzubauen. Welches ist die richtige Annahme für die Auslieferung der Kampagne, für die Wirkung der Marke? Hier sind Agenturen und Servicepartner nach wie vor extrem gut aufgestellt.
Auch wenn Marken natürlich die Rechnung bezahlen, ist es im Interesse der Advertiser, eine Drei-Wege-Beziehung zu haben, bei der eine Agentur der Marke sehr stark zuarbeitet und bei der Werbeauslieferung mittels ausgereifter Technologie hilft. Diese Relevanz wurde in den letzten Jahren immer wieder unterschätzt. In einer Branche, die so kreativ ist wie die Werbung, drückt man eben nicht nur auf einen Knopf.
ADZINE: Gibt es weitere Entwicklungen?
Fassbender: Die Bedeutung von geschlossenen Ökosystemen wird deutlich abnehmen. Dabei geht es um den Einfluss von Unternehmen wie Google, Facebook oder Amazon auf eine innovative und technologiegetriebene Branche wie die Werbung.
Es wird zwar immer Bereiche geben, die gegebenenfalls eher in einem geschlossenen Ökosystem funktionieren. Aber wenn man keine wirkliche Monopolstellung hat, kann man sich in geschlossenen Systemen nicht nachhaltig finanzieren. Außerdem geraten die entsprechenden Unternehmen oft in einen Interessenkonflikt, der in einigen Fällen momentan weltweit vor Gerichten verhandelt wird. Somit kann die Zukunft nur ein offenes Internet sein, in dem man wählen kann, wo und über welche Wege man einkauft.
ADZINE: Wir haben nach 2013 zurückgeguckt, jetzt gucken wir zehn Jahre in die Zukunft. Was wäre wohl der Fokus des Interviews, wenn wir uns 2033 wieder sprechen?
Fassbender: Wir werden keine Diskussion mehr über Kanäle und Verfügbarkeiten führen. Die Digitalisierung hält Einzug in alle Kanäle. Heute geht es oft noch um den richtigen Anteil von linearem TV und CTV, um eine Kampagne zu skalieren. Solche Kanaldiskussionen werden 2033 nicht mehr stattfinden. Statt Mediaplanung in Silos werden wir eine Media-Aussteuerung vorfinden, die Werbebotschaften über alle Endgeräte hinweg in unterschiedlichen Kanälen platzieren kann.
Das Thema KI wird definitiv präsenter sein, als es ohnehin schon ist. Unser Geschäft ist ja in vielen Bereichen bereits heute darauf ausgelegt und im kreativen Bereich sowie bei der Personalisierung von Produkten und Werbung wird KI noch viel mehr zum Einsatz kommen.
Eine der Hürden heutzutage ist die Frage nach dem richtigen Werbemittel. Ich habe kürzlich mit jemandem von einem großen Streaming-Anbieter gesprochen und da kam die Frage auf, ob wir nicht bald jeder unsere eigene Serie sehen – mit einer gemeinsamen Basis und einem Aufbau, der jedem Geschmack angepasst wird. Von genau diesem Prinzip werden wir auch in unseren Produkten und im Bereich der Kreation mehr sehen.
ADZINE: Danke für das Gespräch, Lukas!
Tech Finder Unternehmen im Artikel
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