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NEW WORK

Neue Arbeitszeitmodelle stehen in Marketing und Werbung hoch im Kurs

Sandra Goetz, 19. Dezember 2023
Bild: Roberto – Adobe Stock

Der stetige Wandel der digitalen Marketing- und Adtech-Branche betrifft mittlerweile auch die Arbeitsmodelle. So gewinnen Teilzeitarbeit wie auch alternative Jobsharing-Modelle immer mehr an Bedeutung, insbesondere als Instrument zur Förderung der Work-Life-Balance, und um hochqualifizierte Mitarbeiter zu binden. Dabei ist nicht alles Gold, was glänzt. Und stimmt der Mythos, dass Mitarbeitern der Karriereweg versperrt wird, wenn sie Eltern, vor allem Mütter werden, und/oder in Teilzeit arbeiten? Wir haben uns umgehört.

Ein bemerkenswertes Beispiel hierfür ist Otto, das im Juli dieses Jahres Schlagzeilen machte, indem es verkündete: “Alle Führungspositionen bei Otto jetzt in Teilzeit möglich”. Der begleitende Pressetext erklärte: “Otto schreibt Führungspositionen ab sofort grundsätzlich in vollzeitnaher Teilzeit aus, wobei 80 Prozent Arbeitszeit zum neuen Standard bei Ausschreibungen wurden.” Diese neuen Regelungen sollen mehr Frauen in Führungspositionen bringen, betonte das Unternehmen.

Sabine Jünger gehört zu den bekannten Nutznießerinnen dieser Regelung. Seit dem 1. August 2021 verantwortet sie das Retail-Media-Geschäft beim Onlineshop-Riesen in Teilzeit. Diese begehrte Arbeitssituation birgt sowohl positive Aspekte als auch harte Herausforderungen. Sin To, Senior Director Marketing Communications bei SAP in Hamburg, und Claudia Kim-Bönig, Associate Director Advertiser Solutions Central Europe bei Pubmatic, können aus eigener Erfahrung erzählen, wie anspruchsvoll es sein kann, in einer herausfordernden Branche und auch noch international in Teilzeit zu arbeiten – insbesondere in Positionen, die ihnen große Freude bereiten. Jobs und Projekte, die Spaß machen und bei denen man sich voll einbringt, lassen sich oft nicht streng in feste Zeitfenster pressen. Es ist ein Spagat zwischen Arbeit und Privatleben, den man bewältigen muss. Dieser Spagat ist auch unter „jonglieren“ bekannt.

Bild: SAP Sin To, SAP

Für beide Frauen wurde das Thema Teilzeit relevant, als sie Eltern wurden. Schon hier beginnt eine Umstellung, die sich oft komplizierter gestaltet, als es auf den ersten Blick scheint. “Teilzeit wurde für mich ein Thema, als ich 2015 bei SAP in Hamburg anfing zu arbeiten und in dieser Zeit zwei Kinder bekam. Momentan bin ich die Einzige in unserem Team, die in Teilzeit arbeitet”, sagt Sin To. „Es ist komplex und hängt von den jeweiligen Projekten ab. Meistens klappt es gut, aber man muss da auch konsequent sein. Es gibt in der Woche einen langen Arbeitstag, an dem ich versuche, alle Telefonate mit den Kolleginnen und Kollegen aus den USA unterzubringen”, erzählt Sin To, die mit ihren Kollegen Richard Howells und Nicole Smythe zusätzlich einen Podcast für SAP produziert und hostet.

Ergebnisse statt im Büro verbrachte Stunden entscheidend

Bild: Pubmatic Claudia Kim-Bönig, Pubmatic

Claudia Kim-Bönig begann ihre Reise bei Pubmatic im Jahr 2021 und suchte nach einer Teilzeitstelle als Mutter einer zweijährigen Tochter. Trotz der gesetzlichen Bestimmungen für Teilzeitarbeit in Deutschland stellte die praktische Umsetzung ihre Herausforderungen dar, insbesondere in den dynamischen Bereichen des digitalen Marketings, der Werbetechnologie und der Werbung. Die Suche nach familienfreundlichen Arbeitszeiten erwies sich selbst mit den allmählichen Verbesserungen in der Branche als schwierig.

Während ihres Vorstellungsgesprächs stieß Claudia auf Widerstand: “Nein, Claudia, wir benötigen einen Vollzeitarbeitnehmer, der sich zu 40 Stunden verpflichtet; Teilzeit reicht nicht aus.” Als erfahrene Kommunikationsexpertin fand sie diese Antwort verwirrend und ein wenig frustrierend. Claudia war fest davon überzeugt, dass die Diskussion über Arbeitsstunden als Maßstab für Engagement veraltet war. Für sie sollte der Fokus auf Leistungskennzahlen und der Erfüllung von Aufgaben liegen, anstatt starr an einer traditionellen 40-Stunden-Arbeitswoche festzuhalten.

Unbeirrt brachte Claudia ihre Perspektive zum Ausdruck, indem sie die konventionelle Vorstellung infrage stellte und Entscheidungsträger überzeugte. Sie plädierte für einen Paradigmenwechsel und betonte, dass die Diskussion sich auf die Qualität der Arbeitsergebnisse statt auf die Menge der im Büro verbrachten Zeit konzentrieren sollte. Ihr Einsatz zahlte sich aus, und Claudia sicherte sich die gewünschte Position, die auf ihre Vorliebe für Teilzeitarbeit zugeschnitten war. Sie genießt nun die beruflichen Wachstumschancen ihrer Position und erhält die uneingeschränkte Unterstützung ihres Teams. Darüber hinaus erhielt Claudia eine berufliche Prämie, was den Erfolg ihres innovativen Ansatzes zur Arbeitsdynamik unterstreicht.

Jobsharing in Führungspositionen angekommen

Einige Riesen-Brands wie Beiersdorf gehen neue Wege, indem sie aktiv das Jobsharing als flexibles Arbeitszeitmodell auf allen Hierarchieebenen, einschließlich der Führungsebene, promoten. Beiersdorf hat diese Praxis seit 2010 aktiv vorangetrieben und bietet Jobsharing-Optionen für offene Stellen an. Dabei handelt es sich um ein Modell, bei dem Arbeitnehmer:innen ihre Arbeitszeiten und Aufgaben individuell aufteilen und als Tandem fungieren. Selbst anspruchsvolle Positionen und Führungsaufgaben, die normalerweise schwer in Teilzeit vorstellbar wären, sind im Rahmen des Jobsharing möglich. “Jobsharing ist ein flexibles Arbeitszeitmodell, bei dem sich Arbeitnehmer:innen bei individueller Aufteilung von Arbeitszeiten und Aufgaben eine Rolle als Tandem teilen”, erklärt Beiersdorf auf seiner Unternehmensseite.

Die Beiersdorf-Testimonials hierfür sind Nadine Bartenschlager und Catherine Niebuhr. Im Jobsharing üben die beiden Managerinnen gemeinsam die Position des Marketing Director Management Unit Germany aus. In ihre Verantwortlichkeiten fällt der weltweit umsatzstärkste Nivea-Markt, ein jährliches Marketingbudget im Millionenbereich und ein etwa 50-köpfiges Team.

Klassische Rollenbilder noch immer Thema

Nora Bassy, Head of Ad Operation bei Burda Forward, kann bereits als Anfang 30-Jährige auf eine beeindruckende berufliche Laufbahn zurückblicken. Nach dem Abitur begann sie 2011 eine Ausbildung als Medienkauffrau bei Burda Forward und absolvierte später berufsbegleitend ihren Medienfachwirt. Seit 2019 bekleidet sie eine leitende Position bei Burda Forward und führt ein Team. Während ihrer Zeit bei Burda Forward wurde sie schwanger und brachte 2021 kurz vor Weihnachten ihr Kind zur Welt.

Bild: Burda Nora Bassy, Burda Forward

“Ich habe nach nur drei Monaten wieder mit der Arbeit begonnen, während mein Mann 18 Monate Elternzeit genommen hat”, sagt Nora Bassy. Dies ging jedoch nicht kommentarlos an ihrem und dem Leben ihres Mannes vorüber. “Ich musste mir viele kritische Kommentare anhören und es wurde oft infrage gestellt, warum ich nach nur drei Monaten wieder zur Arbeit gegangen bin. Zum Glück stand mein Unternehmen stets hinter mir und unterstütze meine Familie und mich mit enormer Flexibilität”, sagt Nora. Nunmehr weiß sie, dass das deutsche Gesellschaftsbild, selbst bei jungen Menschen, oft von der Vorstellung der “Rabenmutter” und des “Super-Papas” geprägt ist. Wobei auch Noras Mann, tätig in der Maschinenbaubranche, mit Vorurteilen zu kämpfen hatte. Er war in seiner 250-Personen-Firma erst der zweite Mann, der Elternzeit genommen hat, und der Erste für eine so lange Zeit.

Wo ein Wille ist…

Zu guter Letzt zeigt Digitas Pixelpark, dass es auch in der Agenturlandschaft Mittel und Wege gibt, um in Teilzeit zu arbeiten: Bianca Strasser, Senior Corporate Communications Manager, hat sich als Alleinerziehende auf eine Vollzeitstelle in Berlin beworben – allerdings mit dem Wunsch bei Digitas Pixelpark in Teilzeit zu arbeiten. Ihr damaliger Chef setzte sich für sie ein. Dabei haben die „Unicorns“ nicht nur Frauen, die in Teilzeit und in Führungspositionen arbeiten, sondern auch Männer vorzuweisen. Einer, Udo Hoffmann, ist seit 1999 bei den Unicorns in Köln. Seit 2003 arbeitet dieser in Teilzeit.

Obgleich das Recht auf Teilzeitarbeit erst mit einer Unternehmensgröße ab 15 festangestellten Mitarbeitern gesetzlich verankert ist, gibt es immer wieder erfreuliche Ausnahmen, die die (neue) Regel bestätigen. Im kleinen Adzine-Redaktionsteam arbeitet Chefredakteur Anton Priebe, Vater eines Kindergartenkindes, in Teilzeit. Es kommt oftmals sicherlich auf die Branche, das Umfeld und auf die Geschäftsführung an, aber generell lässt sich für Deutschland sagen: Karrieren scheitern nicht mehr an Teilzeitarbeit, im Gegenteil: Neue Arbeitszeitmodelle stehen hoch im Kurs. Und damit öffnen sich neue Karrierewege, für Frauen und für Männer.

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