Wenn Nutzer:innen sie nicht bewusst wahrnehmen, verpufft selbst die beste Videowerbung im Nichts. Sichtbarkeit ist wichtig, aber längst nicht mehr ausreichend. Die Aufmerksamkeit, oder neudeutsch: Attention, ist das Gebot der Stunde. Für Branding-Kampagnen sowieso – doch auch für Performance-Kampagnen wird die Messung der Attention wichtiger.
Lange Zeit war die Sichtbarkeit das Hauptkriterium, um die Qualität digitaler Bewegtbildwerbung zu bewerten. Mittlerweile hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass Viewability allein nicht aussagekräftig genug ist. Wenn eine Anzeige prinzipiell sichtbar ist, bedeutet dies nicht, dass sie auch wahrgenommen wurde. Oder – was noch viel besser wäre – dass sie Reaktionen ausgelöst hat. Entsprechend sind nicht alle Impressionen gleichwertig. Aufmerksamkeits-Metriken wie Situation, Sichtbarkeit oder Interaktion spielen zunehmend eine Rolle, um die Qualität der Werbeausspielung zu bewerten.
Rund drei Viertel der Digital-Marketing-Experten und -expertinnen in Deutschland kurbeln ihre zentralen Kampagnen-KPIs bereits mit gezielten Strategien für die Aufmerksamkeitsmessung und -optimierung an – so lautet die Erkenntnis einer Studie, die Yougov im Auftrag von Integral Ad Science durchgeführt hat. Es scheint, als bekomme Attention nun die Beachtung, die sie verdient. Denn Aufmerksamkeit ist die Grundvoraussetzung, dass sich User überhaupt mit dem Inhalt auseinandersetzen und sich an die Werbebotschaft erinnern. „Attention ist ein wichtiger Indikator für weitere Aktionen im Funnel. Er ist der Trigger für die Exploration- und Evaluation-Phase, die letzten Endes mit der Conversion ihren Abschluss findet. Daher zahlt eine höhere Attention auch auf Mid- und Lower-Funnel-Ziele ein“, sagt André Pätzold, Managing Director DACH bei Outbrain. Der Attention-Measurement-Anbieter Adelaide stellt fest, dass Attention den ROAS, die Conversion Rate und die Kaufabsicht erhöht. „Das deckt sich auch mit den Erwartungen der Marketer, die nicht nur ihre Videos verbreiten möchten, sondern eine Auseinandersetzung, ein hohes Engagement mit dem Werbemittel und der Marke erwarten“, so Pätzold.
Immer mehrere Metriken berücksichtigen
In den vergangenen Jahren haben unter anderem Fortschritte in der Eye-Tracking-Technologie dazu beigetragen, Attention-Metriken zu entwickeln, mit deren Hilfe Anzeigen so gestaltet werden können, dass sie die größtmögliche Aufmerksamkeit der Verbraucher:innen auf die entscheidenden Botschaften der Werbung lenken. „Attention ist also nicht nur für Branding-Kampagnen geeignet, sondern generell ein Indikator dafür, wo innerhalb einer Anzeige noch Optimierungspotenzial herrscht“, sagt Paco Panconcelli, Managing Director DACH von Channel Factory Deutschland. Die Verlässlichkeit von Attention-Metriken hänge von der Genauigkeit der verwendeten Technologie sowie der Repräsentativität der Stichproben ab. „Daher ist es wichtig, immer mehrere Metriken wie die Betrachtungszeit, Klicks und andere Interaktionen mit dem Werbemittel für eine ganzheitliche Beurteilung hinzuzuziehen“, so der Experte.
Trotz aller Optimierung beeinflussen weiterhin verschiedene Faktoren – zum Beispiel die Zielgruppe und der inhaltliche Kontext, in den die Anzeige eingebettet wird – wie wirksam ein Werbemittel ist. Untersuchungen von Channel Factory zeigen, dass die Kaufabsicht um acht Prozent steigt, wenn Werbung in dazu passenden Kontexten gezeigt wird – ganz unabhängig vom Grad der Attention-Optimierung. Denn jemand, der gerade ein Video zum Thema Aquaristik schaut, hat voraussichtlich auch Interesse am Kauf eines Aquariums oder Zubehörs. „Brand-Suitability- und Contextual-Targeting-Technologien sind folglich für eine erfolgreiche Kampagnenschaltung nicht wegzudenken“, betont Panconcelli.
Unterer Funnel, andere Regeln
Wenn es um die Attention-Optimierung geht, stellt sich auch die Frage, in welchen Abschnitten des Funnels sie sinnvoll ist. Attention dient in erster Linie als unterstützender KPI für die Optimierung von Branding-Kampagnen. Dabei fließen Faktoren wie die Größe des Werbemittels, der Anteil des Bildschirms, die Position des Werbemittels und die Sichtbarkeit in die Messung mit ein. „Diese Parameter sind klassischerweise nicht die Hauptfaktoren bei Performance-Kampagnen. Performance-orientierte Abrechnungsmodelle, wie zum Beispiel CPC, zielen in erster Linie darauf ab, Nutzer:innen anzusprechen, die eine konkrete Handlung – wie einen Kauf, einen Download oder eine Anmeldung – ausführen möchten. Attention und Conversion befinden sich also am jeweils anderen Ende des Spektrums“, erläutert Pätzold. Marketer sollten dem Experten zufolge daher im Upper-Funnel-Bereich die Attention und im Lower Funnel die Conversion optimieren. „Die Conversion Rate wird dabei von einer höheren Attention profitieren.“
Ob Performance sogar ohne Branding funktioniert, hängt sehr stark von der Situation und Zielsetzung der Marke und Kampagne ab. In der Regel macht das Zusammenspiel zwischen Branding und Performance den Erfolg aus. „Attention funktioniert für Performance anders, die Kontakte haben andere Regeln zu beachten. Media-KPIs treten hier stärker in den Fokus“, sagt Julian Jonas, Direktor Planungsspezialisten Digital bei der Pilot Agenturgruppe. Aus seiner Sicht gibt es zwei grundlegende Unterschiede, die es zu beachten gilt: Performance im eigenen Shop, über den Conversions oder Site-Engagements direkt mitgemessen werden können, sowie Kampagnen, die auf Performance abzielen, aber nicht direkt über ein Conversion Tracking optimiert werden können. „Für beide Fälle gilt, dass Zielgruppen, die sich im Kaufprozess befinden, eine andere Kommunikation brauchen“, sagt Jonas. Klassisch stehen hier Call-to-Actions, Rabatte oder Produktvorteile im Fokus. „Hier reichen oft deutlich kürzere Kontakte, da die User unterbewusst über die Relevanz einer Anzeige entscheiden, und somit bei Relevanz eine eigene Attention mitbringen, die nicht allein über die Qualität der Media und Kreation kommen. Die Ansprüche sind also ganz andere, als bei Branding-Kampagnen“, so der Experte. Im ersten Fall gelte es vor allem, die Viewability als Attention-Metrik zu beachten. Im zweiten Fall trete die Attention wieder stärker in den Fokus und Video werde dort wieder relevanter.
Attention – Zwischenschritt oder zentrale Metrik?
Somit stellt sich die Frage, ob die Aufmerksamkeit letztlich sogar zur zentralen Metrik für Bewegtbild-Branding-Kampagnen werden kann. „Media-KPIs sind im Grunde genommen fast nichtssagend, sie bilden nur Eselsbrücken hin zu den eigentlichen Kampagnenzielen: ein Uplift in den klassischen Brand-Metriken wie Awareness, Mental Availability oder Consideration“, sagt Jonas. Pilot gehe dabei noch einen Schritt weiter und arbeite stetig an “Impact-basierter” Planung. Die Attention sei hierbei ein Zwischenschritt zum Uplift der Marken-KPIs.
Über eine Grundlagenstudie konnte Pilot – neben dem Werbemittel – einige Hebel für die Steigerung der Attention ausmachen. Darüber hinaus arbeitet die Agentur mit Wirkfaktoren einzelner Gattungen. Für Kanäle lassen sich Annahmen als Grundlage definieren. Die Attention kommt, neben der Relevanz für die Zielgruppe, über die Media. „Hier können wir gezielt ansetzen“, sagt Jonas. Neben der Dauer des Kontaktes und der Zahl der angesprochenen Sinne (Ton an) sind für die Agentur der Ad Clutter (Zahl der Werbungen), die Prominenz der Anzeigen, emotionale Prädisposition (Vermeidbarkeit der Werbung), Qualität der Umfelder, die generelle Aufmerksamkeit der Plattform und der Fit zwischen Kampagneninhalten und Content relevant. „Messbar in Echtzeit wird die Attention kaum. Die Marktstandards wie Viewdauer, Sichtbarkeit und Frequenz lassen sich gut abbilden, sind aber wieder reine Media-KPIs“, so Jonas.
Quo vadis Attention?
Bei Unilever begrüßt man die Entwicklung rund um die Attention als zentrale Metrik für Bewegtbild-Branding-Kampagnen sehr. „Der KPI gewinnt weiterhin an Bedeutung, da eine hohe Attention Rate Aufschluss darüber gibt, wie gut die Werbung die Aufmerksamkeit der Zielgruppe erreicht und diese dazu bringt, sich mit der Botschaft auseinander zu setzen“, sagt Sarah Ostkamp, Consumer Experience Manager DACH bei Unilever. Allerdings ist Attention für das Unternehmen nicht die einzige Metrik, die berücksichtigt werden sollte. „Qualitative Brand-KPIs, wie zum Beispiel Markenbekanntheit, Markenwahrnehmung, Kaufabsicht und insbesondere das Konsumentenverhalten nach Werbekontakt sind weiterhin ebenfalls von hoher Bedeutung, um den Erfolgreich einer Kampagne umfassender bewerten zu können. Attention bietet aber in Kombination wertvolle additive Erkenntnisse“, so Ostkamp.
Um die Attention im Vorfeld einer Bewegtbild-Kampagne abzuschätzen, berücksichtigt die Marke verschiedene Faktoren, dazu zählen die Zielgruppe, die Ad-Kreation (die Art der Werbung, der Inhalt, ihre Relevanz und die Emotionalität kann die Aufmerksamkeit der User deutlich beeinflussen) sowie die Platzierung. „Über den Zeitverlauf haben wir gelernt, dass unterschiedliche Platzierungen wie TV, CTV, OLV oder Short-Formate, die Aufmerksamkeit der Nutzer:innen unterschiedlich beeinflussen. Daher steht die Auswahl des richtigen Channel- und Format-Mixes, sowie die Steuerung von Reichweite und Frequenz für uns auch im unmittelbaren Zusammenhang mit Attention der Zielgruppe“, sagt Ostkamp.
Damit wird deutlich: Attention optimiert zwar nachweislich die Effizienz von Branding-Kampagnen, das Feld ist allerdings noch nicht final abgesteckt, weshalb der Markt das Thema auch intensiv diskutiert. „Marketer sollten sich intensiv mit dem Thema auseinandersetzen, in die Messung und Metriken der Measurement-Anbieter eintauchen, A-/B-Tests durchführen und Creatives testen und optimieren“, rät Pätzold. Zwar hat sich noch kein einheitlicher Standard etabliert, aber Werte wie der AU-Score von Adelaide geben dem Experten zufolge schon stichhaltige Anhaltspunkte zur Einordnung der eigenen Kampagnen. „Zudem ergeben sich im Digitalen auch zahlreiche Möglichkeiten zur Optimierung der Creatives. Selbst Videos lassen sich mit Engagement-steigernden, interaktiven Elementen anreichern.“
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