Bei der Kategorisierung von Umfeldern für die Werbevermarktung herrscht oftmals Wildwest. Publisher oder deren Vermarkter sortieren ihre Seiten nach unterschiedlicher Manier in Themen ein, um sie der Nachfrageseite zum Einkauf zur Verfügung zu stellen. Dagegen möchte der Online-Vermarkterkreis (OVK) im Bundesverband Digitale Wirtschaft (BVDW) vorgehen und hat einen Standard für den deutschen Markt definiert, der vermarkterübergreifend genutzt werden soll. Doch auch aus anderen Lagern kommen Bestrebungen, sich einem Standard zu nähern. Schließlich kommt dem Thema Umfeldbuchungen im Rahmen des Cookie-Schwunds wieder stärkere Bedeutung zu. Unter anderem engagiert sich hier die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW).
Im Grunde genommen handelt es sich beim OVK Classifier um nichts anders als einheitliche Kategorien, in die Text- und perspektivisch auch Audio- und Video-Inhalte eingeteilt werden. Bei dem Prozess beruft sich der OVK auf eine Taxonomie mit 700 Begriffen, die der US-Branchenverband Interactive Advertising Bureau (IAB) entwickelt hat. Diese wurden lokalisiert und an die Datenschutzanforderungen angepasst, Themen wie Krankheiten oder Religion dürfen zum Beispiel nicht berücksichtigt werden. Ob die Einteilung händisch oder per Maschine erfolgt, spielt keine Rolle – entscheidend ist Transparenz bei der erforderlichen Dokumentation.
Die Entwicklung des OVK Classifier startete im Februar, im Sommer gab ihn der OVK frei und nun ist der Standard einsatzbereit. Drei Vermarkter aus den eigenen Reihen – Ad Alliance, Media Impact und Ströer – haben ihn gemeinsam mit Renault getestet. Im Rahmen einer Contextual-Kampagne kauften OMD und Annalect für Dacia mithilfe der OS Data Solutions (OSDS) bei den Vermarktern ihre Umfelder ein. Die Beteiligten waren zufrieden. “Eine einheitliche Klassifizierung von Inhalten schafft Vereinfachung und Harmonisierung”, erklärt Isabella Thissen, Chief Operating Officer der Ad Alliance. “Der OVK Classifier ist ein wichtiger Schritt dies zu erreichen, aber auch, um dem Thema noch mehr Bedeutung zu geben.”
Auch auf Advertiser-Seite kommt der Classifier gut an. “Wir sehen, dass Insellösungen keine nachhaltigen Optionen für den Markt darstellen”, sagt Tobias Spitzer, Manager Digital Marketing, E-Commerce und CRM von Dacia. Die sorgfältige Klassifizierung der Inhalte sei ein erster Schritt, um Vergleichbarkeit der Metriken beim Contextual Advertising herzustellen. Perspektivisch könne sie auch mehr Effizienz in Programmatic-Planungen sowie einen Reichweitengewinn mit sich bringen.
KI bei der IVW
Die Informationsgemeinschaft zur Feststellung der Verbreitung von Werbeträgern (IVW) ist ebenfalls an dem Thema Standardisierung von Publisher-Umfeldern dran. Seit 2011 auditiert der “Werbeträger-TÜV” unter anderem, ob seine Mitglieder Inhaltskategorien richtig vergeben. Dafür können sich die Publisher mit einem entsprechenden Siegel schmücken.
Statt einer Turnusprüfung, die händisch zweimal im Jahr erfolgte, wird neuerdings von einer Künstlichen Intelligenz überprüft, ob die Inhalte zu den 22 Themen wie Politik, Sport oder Entertainment passen. Gemeinsam mit einem Startup der Universität Duisburg Essen hat die IVW dafür den „IVW AI Inspector“ entwickelt, der im Wochentakt kontrolliert, ob die Kategorisierung der etwa 300.000 auditierten Seiten stimmt. Dazu benötigt die KI 43 Millisekunden pro Seite. Im Vergleich: Ein menschlicher Prüfer kommt auch mal auf zwei bis drei Minuten.
Daraus könnte sich durchaus ein Marktstandard entwickeln, wenn es nach Martin Krieg, Leiter Digital bei der IVW, ginge. “Ein Contextual Classifier, der bei der programmatischen Buchung zum Einsatz kommt, crawlt und analysiert ebenfalls Seiteninhalte von URLs wie der ‘IVW AI Inspector’.” Ein Algorithmus klassifiziere die Seiten meist nach den IAB-Standard-Kategorien und keywordbasierten Segmenten. Diese würden an die entsprechenden Instanzen im Programmatic-Ökosystem weitergegeben werden. “Der Einsatz des von der IVW zertifizierten ‘IVW AI Inspector’ direkt beim Publisher wäre die komfortabelste Lösung”, ist Krieg überzeugt.
Contextual Advertising vs. Umfeldbuchungen
Dass OVK-Publisher und IVW-Mitglieder ihre Umfelder in einheitliche Kategorien stecken, ist löblich und vom Markt gefordert. Man sollte jedoch nicht außer Acht lassen, dass Contextual Advertising nicht nur bedeutet, themenbasierte Umfelder einzukaufen. Dabei geht es vor allem darum, verschiedene kontextuelle Signale in Echtzeit miteinander zu kombinieren. Hier können beispielsweise sowohl Geo-Daten als auch die Uhrzeit oder Informationen über das Gerät mit einbezogen werden. Dies geht über reines Umfeld-Targeting hinaus und meint mehr als die nachträgliche Klassifizierung von Texten. Eine einheitliche Taxonomie hilft dabei sicherlich trotzdem ungemein.
Es hat sich jedoch eine Vielzahl an Contextual-Spezialisten etabliert, die diese verschiedenen Signale bündeln – dazu gehört auch die Klassifizierung der Inhalte. Läge die Verantwortung für die einheitliche Einteilung des Contents also nicht aufseiten der Technologiedienstleister, die dies in Echtzeit tun, im Gegensatz zu der Kategorisierung durch die Publisher im Voraus? Oder sollten die beiden Akteure nicht vielmehr zusammen an einem Strang ziehen?
Darüber hinaus versucht das IAB mit den Seller Defined Audiences (SDA) seit langem einen internationalen Standard für Content-Kategorisierung in den Markt zu treiben. Auf technischer Ebene sollen damit die verschiedenen Adtech-Systeme anhand einer ID auslesen können, was hinter den Inventarpaketen der Publisher steckt, um sie für kontextuelles Targeting einzusetzen. Damit die Spezifikationen (die Segment-IDs) im Bid Stream weitergereicht werden können, hat der Verband in Kooperation mit der Non-Profit-Organisation Prebid extra neue Felder im Open-RTB-Protokoll geschaffen.
Eine technische Lösung des Problems existiert demnach zumindest in der Theorie, die zwar durchaus ihre Lücken aufweist, aber sogar von Google unterstützt wird. Nur basieren die SDA wiederum auf einer eigenen einheitlichen Taxonomie.
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