TV ist das nächste Schlachtfeld für Identity
Anton Priebe, 5. September 2023Die Deadline für Third-Party-Cookies rückt näher. Die deutschen Publisher scheinen ihre Cookieless-Produkte überwiegend in Stellung gebracht zu haben, während sich die meisten Advertiser noch zögerlich gebärden. Einer der Ersatzstoffe zur (Wieder-)Erkennung von Nutzern sind alternative IDs wie die des europäischen Anbieters ID5. In Europa findet der Identifier laut eigener Aussage bei über 54.000 Domains Verwendung, mehr als 16.000 davon stammen aus Deutschland. Mathieu Roche, Mitgründer und Geschäftsführer von ID5, wirft im Interview einen Blick auf den deutschen Markt für Identity, zeigt die nächsten Schritte auf und erklärt, wie die Werbeindustrie endlich zu einer gemeinsamen Währung gelangen kann.
ADZINE: Hallo Mathieu, wie bist du in Adtech gelandet?
Roche: Oh wow, das katapultiert uns zurück ins letzte Jahrhundert. Ich habe meine Adtech-Karriere 1999 als Investment-Analyst begonnen, als E-Commerce und Display Advertising Fahrt aufnahmen. Da bin ich gerade mit einem Master-Abschluss und komplett digitalem Mindset aus den USA nach Europa zurückgekehrt. So habe ich als Analyst die digitale Werbeindustrie früh kennengelernt. 2005 fing ich dann beim Adtech-Unternehmen Weborama an. Das ist ein Datenspezialist, den es heute noch gibt.
ADZINE: Das Adtech-Ökosystem hat sich damals auf Third-Party-Cookies gestützt und tut es zu großen Teilen heute noch. Wir nähern uns jedoch der Deadline für Drittanbieter-Cookies. Wie fühlt sich das für dich an? Wird es realer, jetzt, wo Google endlich ernst macht?
Roche: Es fühlt sich schon länger real an, denn in Safari, also auf Apple-Geräten, und auch im Firefox-Browser gibt es gar keine Third-Party-Cookies mehr. Beide haben insbesondere in Deutschland hohe Marktanteile. Die Advertiser sehen nur den Wald vor lauter Bäumen nicht und fokussieren sich momentan ausschließlich auf Chrome.
Als Google 2020 die Ankündigung machte, war alles noch halbgar. Nach dem jahrelangen Austausch mit der Community und der Arbeit an der Privacy-Sandbox kann es nun endlich losgehen und als Industrie sind wir bereit, den nächsten Schritt zu gehen. Der Third-Party-Cookie ist schon jetzt ein mangelhaftes Werkzeug zur Monetarisierung für Publisher. Um das Werbe-Business, auf das sich das Internet stützt, aufrechtzuerhalten, müssen wir uns mehr anstrengen.
ADZINE: Lass uns auf die Sell-Side konzentrieren. Worüber sollten sich die Publisher derzeit am meisten Gedanken machen, mit Blick auf die Deadline?
Roche: Advertiser wollen Targeting betreiben, messen und optimieren. Dafür muss man User wiedererkennen können. Identity ist also der Kern des Advertising-Business.
Das merken zum Beispiel werbefinanzierte Publisher, die ein Geschäftsmodell rund um Safari aufbauen wollen. Meistens verkaufen diese Publisher ihre Anzeigen sehr günstig, wenn überhaupt. Das ist ein Problem und Publisher sind sich dessen durchaus bewusst. Daher investieren viele in Contextual-Lösungen oder alternative IDs.
Noch haben Publisher ein Jahr, um sich vorzubereiten, doch es wird langsam wirklich Zeit. Identity ist nur ein Enabler für die verschiedenen Use Cases, die Advertiser fordern. Es ist ein Tool – man muss auch damit umzugehen wissen.
Die Werbebudgets kommen nicht von selbst zurück, wenn die Cookies verschwinden. Eher fließen sie in Richtung der Walled Gardens.
ADZINE: Ihr bezeichnet ID5 als einen Universal Identifier. Worin liegt der Unterschied zu anderen IDs?
Roche: In zwei Punkten: Erstens ist ein Universal Identifier für alle Einsatzbereiche nutzbar, sei es Targeting, Frequency Capping oder Conversion-Messung et cetera. Zweitens ist er für alle Marktteilnehmer zugänglich, als Währung für die Industrie. Viele Anbieter von alternativen IDs unterstützen damit ihr eigenes Business, das entweder auf Daten oder Media fußt.
ADZINE: Wie bewegt sich der deutsche Markt im Allgemeinen auf die Cookie-Deadline zu? Insbesondere, was die Implementierung von alternativen IDs betrifft?
Roche: Wir sehen viele Early Adoptors in Deutschland, wie Virtual Minds, Ströer, OMG oder die NetID. Die Adaption von IDs auf der Buy-Side ist besonders groß, wir arbeiten hier zum Beispiel auch mit The Trade Desk oder Adform zusammen. Die Dynamik des deutschen Markts ist jedoch anders als die des US-amerikanischen oder britischen, die sehr Buy-Side getrieben sind. Deutschland ist eher von der Sell-Side getrieben, mit mächtigen Verlagshäusern.
Der Markt ist also sehr aktiv, gleichzeitig ist er sehr vorsichtig. Es wird eher Wert auf Experimente in kontrollierbaren Umgebungen gelegt, als einfach auszuprobieren, was funktioniert. Das macht den deutschen Markt wiederum sehr interessant für uns, denn wir haben hier einige der spannendsten Cases auf die Beine gestellt. Der deutsche Markt ist mit dieser Strategie zwar global gesehen nicht am weitesten entwickelt, doch einer der reifsten.
ADZINE: Third-Party-Cookies sind der erste Schritt und es scheint, dass mobile IDs das Schicksal der Cookies teilen könnten. Im Gegensatz dazu gibt es Player in neuen Kanälen wie Samsung, die eine ID für ihr eigenes CTV-Universum bereitstellen. Wie kommen wir so zu einer echten Währung, mit der Werbetreibende, Publisher und Adtech-Unternehmen kanalübergreifend arbeiten können?
Roche: Ich sehe hier zwei Triebfedern: erstens Regulierung mit Verordnungen wie der DSGVO oder dem CCPA. Das Erkennen von Geräten und Benutzern ohne einen gewissen Grad an Kontrolle wird gesetzlich verboten – dies ist ein globaler Trend. Zweitens sind es von technischer Seite aus Gatekeeper wie eben Samsung, Google oder Apple, die ihre Infrastruktur für das eigene Unternehmenswachstum kontrollieren.
Die Regulierung durch Verordnungen wird strenger und der technische Zugang zu Identity wird schwieriger. Denn native Mechaniken wie Cookies, Mobile-Identifier oder auch IP-Adressen für TV-Umgebungen schwinden. Dies geschieht weltweit in allen Umgebungen, ob in Apps, im TV oder auf Gaming-Plattformen.
Wir sollten Identity als Herausforderung für das gesamte Advertising-Ökosystem verstehen und sie nicht bloß als “Cookie-Herausforderung” ansehen. Die komplette Werbeindustrie ist für Measurement, Targeting und Frequency Capping auf eine Form von Identity angewiesen. Wir selbst arbeiten zunehmend mit Mobile-App-Entwicklern und TV-Plattformen zusammen, mit Geräteherstellern und Kanalanbietern.
ADZINE: Ihr nähert euch also auch der CTV-Umgebung an?
Roche: Ja, der Markt ist jedoch noch recht undurchsichtig. Man muss zwar nicht mehr erklären, dass Third-Party-Cookies verschwinden oder Mobile-IDs problematisch sind, das konnte jeder anhand von Apples ATT mit eigenen Augen sehen. In TV ist vielen Marktteilnehmern jedoch nicht klar, inwiefern IP-Adressen und Geräteerkennung zusammenhängen. Dort ist viel aus der linearen Welt gelernt, in der Targeting und Messung traditionell nicht funktioniert.
Doch ist es elementar, denn in der digitalen Welt sind die User schon genervt, weil sie immer die gleiche Werbung angezeigt bekommen. Ohne ID wird sich dies auf den TV-Geräten fortsetzen. TV ist also das nächste Schlachtfeld für Identity in 2024 und 2025.
ADZINE: Apropos nächstes Jahr – wie wird sich die Identity-Landschaft kommendes Jahr in Deutschland verändern? Und wie sieht sie in fünf Jahren aus?
Roche: Es wird zu einer massiven Konsolidierung kommen. Mit Googles Ankündigung schossen 50 bis 60 Anbietern aus dem Boden, um Third-Party-Cookies zu ersetzen. Davon werden nächstes Jahr nicht mehr viele übrig sein. Mit Blick auf Adaption, Nutzung und technische Integrationen sind nur fünf bis zehn überhaupt noch im Rennen. Post-Cookie wird sich diese Zahl abermals auf drei oder vier reduzieren, die auf globaler Ebene kanalübergreifend Traktion aufweisen können. Anbieter, die lediglich Cookies ersetzen, lösen nur einen Teil des Problems. Advertiser und Publisher wollen kanal- und geräteübergreifend mit ihrer Audience interagieren.
Die ID-Anbieterlandschaft wird sich also zunächst reduzieren und es werden nur sehr wenige globale Währungen übrigbleiben, die das Advertising in Zukunft kanalübergreifend antreiben werden.
ADZINE: …und ID5 wird eine davon sein?
Roche: Natürlich.
ADZINE: Natürlich. Danke für das Interview, Mathieu!
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