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Die vierte Werbewelle rollt 2024 an – sind Advertiser bereit, sie zu reiten?

Jan Heumüller, 6. September 2023
Bild: Matt Hardy – Unsplash

Ich bin ein wenig erstaunt, wie viel Aufmerksamkeit die Medien der Künstlichen Intelligenz im vergangenen halben Jahr widmeten. Vor allem in Form von ChatGPT kam es zu einem “Watercooler-Effekt” für die Werbeindustrie und die Gesellschaft insgesamt. Während die Bedeutung von KI in der Werbung sicherlich zunehmen wird, steht jedoch eine unmittelbare Veränderung bevor, die meiner Meinung nach einem Erdbeben für unser Geschäft gleichkommt. Ein Kommentar.

In weniger als sechs Monaten – und damit schneller als gedacht – beginnt Google tatsächlich, Third-Party-Cookies abzuschalten. Diese ID-basierten Codezeilen dienten lange Zeit als Motor für das Tracking von Verbrauchern durch die Werbetreibenden. Doch angesichts des weltweiten Strebens nach Datenschutz und der Forderung nach mehr Privatsphäre für Verbraucher ist nun ihr Ende in Sichtweite. Advertiser, Publisher, Mediaagenturen und Adtech-Anbieter, die gemeinsam das Ökosystem der Digitalwerbung bilden, stehen somit an einem Scheideweg. Die einzelnen Parteien haben jetzt die Möglichkeit, für die Nachhaltigkeit ihres Angebots und ihren künftigen Erfolg zu sorgen.

Viele Marktteilnehmer machen sich indes Gedanken darüber, dass KI ihnen ihre Arbeitsplätze in der Digitalwerbung streitig macht. Diese sehen den Wald vor lauter Bäumen nicht, denn das Ende der Cookies und anderen IDs wird die Industrie mindestens genauso revolutionieren wie die KI. Dabei ist die Werbeindustrie eindeutig noch nicht bereit für diese Disruption: Laut einer globalen Umfrage sind nur 41 Prozent der Advertiser kaum oder gar nicht mit alternativen Targeting-Methoden vertraut, die ohne Cookies oder IDs funktionieren.

Die vier Wellen der Werbung

Um die Tragweite der bevorstehenden Post-ID- und Cookie-Ära richtig einschätzen zu können, hilft es, auf die drei vorangegangenen Epochen zurückzublicken. Technologische Innovationen bilden den roten Faden, der sie miteinander verbindet.

Zunächst rollte mit der Suchmaschinenwerbung die erste Welle heran. Sie entstand durch die Vorherrschaft von Googles Suchmaschine und revolutionierte die Intent-basierte Werbung. Die zweite Welle folgte mit dem Aufkommen der sozialen Medien und wurde vor allem durch Facebooks Dominanz beim Sammeln von First-Party-Daten getrieben. Momentan befinden wir uns auf der dritten Welle der Digitalwerbung, die von Retail Media geprägt ist. Händler profitieren heute von ihren einzigartigen Nutzerdaten und schaffen sich auf diese Weise neue Einkommensquellen. Advertiser erreichen über Retail-Media-Netzwerke ihre Kunden genau zum Zeitpunkt des Kaufes. In kürzester Zeit hat sich Retail Media so als stark wachsender Werbekanal etabliert, der 2023 laut GroupM ein globales Wachstum von rund zehn Prozent auf 125,7 Milliarden US-Dollar verzeichnen wird.

Der Treibstoff für die Social- und Retail-Media-Wellen waren First-Party-Daten. Nutzerdaten, die freiwillig und mit Einverständnis (Consent) erhoben wurden, bilden das gemeinsame technologische Fundament, das beide Bewegungen miteinander verbindet. Doch es existiert abseits von Händlern und Walled Gardens – mit Social-Media-Plattformen an der Front – ein weiteres Werbeökosystem aus Unternehmen (und Advertisern), das immer noch auf Third-Party-Cookies basiert. Wie eingangs erwähnt, steht das Abschalten der Identifier kurz bevor und das Jahr 2024 kristallisiert sich als Startschuss für eine neue Ära heraus.

Die vierte Welle wird folglich die Ära der ID-losen Werbung einläuten. Diese Welle ist unaufhaltsam und diejenigen, die sich stur an die absurde Vorstellung klammern, dass ID-basierte Werbung skalierbar bleibt, stecken den Kopf in den Sand. Warum? Erstens lehnen die Konsumenten Tracking zu Werbezwecken massenhaft ab. Zweitens haben die Konsumenten Rückendeckung von den Datenschutzbehörden auf der ganzen Welt, die eine Vielzahl von Datenschutzverordnungen wie die DSGVO oder CCPA auf die Straße gebracht haben. Den Privacy-Geist bekommt man ganz sicher nicht zurück in die Flasche.

Der Ritt an die Spitze beginnt jetzt

Zunächst die gute Nachricht: Die vierte Welle bietet unserer Industrie eine einzigartige Gelegenheit für einen Paradigmenwechsel. Wir können einen skalierbaren Privacy-First-Ansatz entwickeln, der die unlauteren Praktiken ersetzt, auf die wir uns bislang viel zu sehr gestützt haben. Aber das muss jetzt passieren! Vor uns liegt ein neuer Pfad und ich bin zuversichtlich, dass er uns über personalisierte Werbung hinaus führen wird. Am Horizont zeichnet sich ein neues Paradigma ab, das mit allen Datenschutzverordnungen weltweit im Einklang steht. Anstatt sich auf User-IDs zu fokussieren, können sich Marketer auf die digitalen Orte konzentrieren, an denen Inhalte konsumiert werden. Ich glaube, dass diese Alternative unserer Branche einen vielversprechenden Weg bietet, um einen skalierbaren, datenschutzfreundlichen Ansatz zu entwickeln, der die problematischen ID-basierten Methoden der jüngsten Vergangenheit ersetzt. Doch diese Umstellung muss jetzt erfolgen – und er ist auch notwendig für das Überleben des eigenen Geschäfts.

Laut des Reports der GroupM wird KI bis Ende 2023 voraussichtlich die Prozesse hinter der Hälfte der durch Werbung generierten Umsätze beeinflussen. Das bevorstehende Ende der Drittanbieter-Cookies krempelt die Branche jedoch um wie niemals zuvor. Ich bin fest davon überzeugt, dass dessen Auswirkungen auf die digitale Werbung in den nächsten Monaten weitaus gravierender sein werden als etwaige Beeinträchtigungen durch ChatGPT oder andere KI-Produkte. KI sollte sich definitiv auf dem Radar der Marktteilnehmer befinden. Der Übergang zu einem digitalen Ökosystem ohne IDs, der die Zusammenarbeit der gesamten Werbeindustrie erfordert, sollte jedoch höhere Priorität genießen.

Tech Finder Unternehmen im Artikel

Bild Jan Heumüller Über den Autor/die Autorin:

Seit Anfang 2019 baut Jan Heumüller für Ogury, dem Spezialisten für Personified Advertising, das Geschäft in den deutschsprachigen Märkten auf. Heumüller hat über 18 Jahre Erfahrung in der internationalen digitalen Marketing-Branche. Nach Stationen unter anderem bei eVita und ePost war er Geschäftsführer des Softwarespezialisten dacoma und des AdNetworks Ybrant Digital, bevor er als Managing Director Europe bei DataXu, einem führenden Anbieter von Programmatic Marketing Software, das europäische Geschäft verantwortete. Im Anschluss etablierte er TabMo, die führende Creative Mobile DSP, erfolgreich im deutschsprachigen und osteuropäischen Raum.

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