Die digitale Transformation läuft nicht einfach nebenbei
Sandra Goetz, 25. August 2023Trotz widriger Schlagzeilen, existenzieller Unsicherheiten und Naturkatastrophen hat der Luxusmarkt noch immer beeindruckend gute Zahlen vorzuweisen. Weltweit wurde erstmals die 300-Milliarden-Euro-Marke überschritten, wie das Institut für deutsche Wirtschaft (IWD) berichtet. Auch in Deutschland ist der Luxuskonsum nach wie vor stark. Im Jahr 2022 belief sich der Umsatz mit Luxusgütern hier auf rund 11,5 Milliarden Euro, wobei das Segment Luxusmode (Bekleidung und Schuhe) den größten Anteil mit über 4 Milliarden Euro verzeichnete. Besonders beeindruckend ist der Umsatz mit Luxusbekleidung, der allein über 3 Milliarden Euro ausmacht. Die Prognosen sehen für das Marktsegment weiterhin vielversprechend aus: Bis 2028 soll der Umsatz mit gehobener Bekleidung und Schuhen in Deutschland auf mehr als 6 Milliarden Euro steigen. Neben den bekannten Luxusmarken wie Gucci, Dior und Chanel sind es auch Familienunternehmen wie die Unger GmbH & Co. KG in Hamburg, die den Luxusmarkt in Deutschland vorantreiben. Unger wurde 1887 als Lederwarengeschäft gegründet und wird nun in dritter Generation von Florian Braun geführt. Seit Anfang 2023 hat Unger, ein Unternehmen mit etwa 110 Mitarbeitenden und einem jährlichen Umsatz von 30 Millionen Euro, erstmalig einen Chief Digital Officer namens Fabian Haustein.
Fabian ist Jahrgang 1981, hat eine Ausbildung als Groß- und Einzelhandelskaufmann absolviert und berufsbegleitend ein BWL-Studium dran gehängt. In einem Gespräch mit ADZINE, das im großen Konferenzraum des Concept Stores von Unger in der eleganten Kaisergalerie in der Hamburger Innenstadt stattfand, erklärt Fabian, dass sein Job sowohl Marketing- als auch E-Commerce-Aspekte umfasst. Er diskutiert auch die erweiterte Rolle, die Künstliche Intelligenz (KI) in Zukunft bei Unger spielen wird. Seine Expertise zeigt, warum eine digitale Führungskraft für den Mittelstand unverzichtbar ist.
ADZINE: Hallo Fabian, schön, dass es mit einem Treffen geklappt hat. Du bist seit diesem Jahr Chief Digital Officer bei Unger Fashion in Hamburg. Ist die Position nicht ungewöhnlich bei einem Luxus-Modeunternehmen?
Fabian Haustein: Das ist auf den ersten Blick sicherlich so. Generell weiß ich, dass viele Mittelständler endlich erkannt haben, dass die digitale Transformation nicht einfach nebenbei läuft, sondern als Gesamtprozess gesteuert werden muss. Das betrifft auch die Modeindustrie, die sich in den letzten Jahren digital transformiert hat, was bedeutet, dass traditionelle Geschäftsprozesse und -modelle durch digitale Technologien und Plattformen verbessert und ergänzt wurden. Dies beinhaltet beispielsweise den Einsatz von Datenanalyse, Cloud-Computing und anderen Technologien, um den Betrieb effizienter zu gestalten und die Kundenerfahrung zu optimieren.
ADZINE: Was ist deine Aufgabe?
Haustein: (lacht) In meiner Position als CDO begleite ich den umfassenden Change-Prozess. Bei all dem, was Technologie mit sich bringt, muss man den Menschen, die Teams im Unternehmen im Blick behalten, diese mitnehmen.
Meine Verantwortung liegt zusätzlich darin, eine umfassende digitale Strategie zusammen mit Inhaber und Unger-CEO Florian Braun zu entwickeln, die die Geschäftsziele von Unger berücksichtigt. Dies beinhaltet unter anderem die Nutzung digitaler Technologien und Plattformen, um den Umsatz zu steigern, die Kundenerfahrung zu verbessern und die Wettbewerbsfähigkeit zu stärken, und so weiter.
ADZINE: Wie sieht’s aus mit Marketing und E-Commerce?
Haustein: (schmunzelt) In meinen Verantwortungsbereich fällt ebenso E-Commerce und die Online-Präsenz, wozu unter anderem die Optimierung der Benutzererfahrung und die Implementierung von Omnichannel-Strategien zählt. Ein weiterer Schwerpunkt ist das digitale Marketing mit Display-Werbung, Social-Media-Marketing und Influencer-Marketing. Ganz wichtig ist noch der Part der Datenanalyse und jetzt verstärkt der KI.
Ebenso sind wir gerade dabei, unsere E-Commerce-Landschaft zu aktualisieren und auszubauen. Zusätzlich rückt das Thema Customer Loyalty und Nachhaltigkeit immer mehr in den Fokus.
ADZINE: Unger hat bereits 2007 einen Online-Shop aufgebaut. Das heißt, du konntest bereits auf eine gewisse interne Expertise aufbauen?
Haustein: Ja, das konnte ich und das fand ich auch so spannend. Unger hat bereits frühzeitig bewiesen, dass stationärer Handel und E-Commerce sich nicht gegenseitig ausschließen. Als Einzelhändler stehen wir jedoch vor der Herausforderung, unsere Prozesse weiter zu digitalisieren und unseren E-Commerce-Kanal auszubauen, um unseren digitalen Verkaufsbereich auch in Zukunft optimal und effizient zu gestalten und weiter zu expandieren.
In den vergangenen Jahren wurden erhebliche Investitionen in das E-Commerce-Team des Unternehmens getätigt, das nun aus 20 bis 30 Mitarbeitern besteht.
ADZINE: In welchen Bereichen ist das E-Commerce-Team tätig?
Haustein: Die meisten arbeiten in der Content-Erstellung. Das ist auch wichtig, da wir unseren eigenen Content produzieren. Neben E-Commerce-Inhalten wird Content für den Store und für das hauseigenen Magazin produziert. Weil hochwertiger Foto-Content sehr wichtig für uns ist, haben wir drei festangestellte Fotograf:innen an unserem Standort Neuer Wall, zudem drei festangestellte Stylist:innen und eine Postproduktion. Aktuell suchen wir zwei bis drei Hausmodels in Festanstellung.
ADZINE: Unger scheint in allem die Fäden in der Hand zu haben. Was für Marken führt Unger und wer ist die Zielgruppe?
Haustein: Wir führen die Eigenmarken Unger und Uzwei und zudem bekannte Luxusmarken wie Celine, Loewe, Bruno Cucinelli und natürlich Iris von Armin (aus Hamburg). Wichtig ist uns ebenso, junge, noch unbekanntere Designer in unseren Stores zu featuren, beispielsweise Acne Studios oder Khaite. Das Haus Unger hat hierfür ein gutes Händchen. Mit neuen Designern erreichen wir auch eine jüngere weibliche Zielgruppe unter 45 Jahren, die Lust auf Mode hat und sich das ein oder andere gute Kleidungsstück im Jahr gönnt. Ansonsten haben wir eine stabile Zielgruppe und treue Kundschaft ab 45 Jahren aufwärts, für die unsere Geschäfte die erste Adresse sind. Bei Luxus möchte man den Stoff (noch) fühlen und eine exquisite Fachberatung haben. Und natürlich auch ein Glas Champagner trinken, wer mag.
ADZINE: Stichwort Marketing – was ist besonders wichtig?
Haustein: Onlinemarketing, Display-Werbung und Affiliate-Marketing sind gängige Tools, die wir einsetzen. Am wichtigsten ist uns, unsere Community weiter auszubauen. Wir sehen, dass es immer wichtiger wird, früh in der Customer Journey anzugreifen. Von daher haben Influencer-Kampagnen, aber auch Einzelaktionen einen höheren Stellenwert.
ADZINE: Wo siehst du Herausforderung von Marketingleiter:innen? Wird Marketing durch Wirkungstransparenz und Entscheidungshilfen oder durch Automatisierung und Prozessoptimierung besser?
Haustein: Die Herausforderungen für Marketingleiter:innen sind vielfältig. Die Verbesserung der Wirkungstransparenz ermöglicht fundierte Entscheidungen über effektive Kampagnen und Ressourcenallokation. Intelligente Entscheidungshilfen, basierend auf Datenanalysen und KI, unterstützen bei der Identifizierung von Trends und der Optimierung der Strategie. Automatisierung reduziert repetitive Aufgaben wie E-Mail-Marketing und steigert die Effizienz, während Prozessoptimierung reibungslose Abläufe fördert. Die ideale Strategie integriert diese Ansätze, balanciert Technologie mit Kreativität und menschlichem Geschick, um den dynamischen Anforderungen des Marketings gerecht zu werden.
ADZINE: Wie wird KI den Markt verändern? Wie plant Unger, KI einzusetzen?
Haustein: KI wird auch die Modeindustrie und ihre digitalen Prozesse stark verändern. Ich sehe das grundlegend positiv. Auf Unger bezogen denke ich, dass wir in sechs bis 12 Monaten bestimmte Texte von der KI schreiben lassen, auf Basis der Daten, die wir von den Herstellern bekommen. Das wird unser Content-Team nicht arbeitslos machen, sondern sie können sich anders fokussieren. Die KI ist nur so gut, wie der Prompt ist, und der wird von Menschen kreiert.
Mittelfristig wird auch in der Postproduktion KI zum Einsatz kommen, um, beispielsweise, Bilder freizustellen. Das wird die Arbeit effizienter machen. Auf lange Sicht werden Hersteller immer mehr auf digitale Produktentwicklung setzen, das heißt, dass Stoffe digital entwickelt werden. Für uns als Händler ist das ein Gewinn, da wir Kleidungsmaterialien einfacher an einem Avatar darstellen können.
ADZINE: Du hast eine eher ungewöhnliche Berufsvita. Du bist von Babyone zu Unger gekommen. Wie sahen deine Karrierestationen aus? Und wie war der Wechsel vom Baby zum Luxus?
Haustein: Ich habe eine Lehre als Groß- und Einzelhandelskaufmann absolviert. Danach in verschiedenen Unternehmen gearbeitet, auch im B2B-Bereich, im Plattformbusiness. Neben der Arbeit habe ich meinen Handelsfachwirt gemacht, danach BWL studiert, mit meiner Frau zwei Kinder bekommen. Wir beide arbeiten Vollzeit.
Natürlich war es eine Umgewöhnung, von dem Franchise-Unternehmen Babyone zur Unger Fashion GmbH zu wechseln, aber ich hatte einen hervorragenden Einstieg hier am neuen Wall, das ganze Team hat mir den Start einfach gemacht.
ADZINE: Danke für das Gespräch und weiterhin viel Erfolg, lieber Fabian Haustein.