Targeting-Neuling Utiq – Wie die Technologie der Telkos funktioniert
Anton Priebe, 14. Juni 2023Mit Spannung erwartet der Markt das Technologieangebot von Utiq, dem Joint Venture der Telekommunikationsanbieter Telekom, Vodafone, Telefónica und Orange. Utiq ist nach der Freigabe der EU-Kommission im März gegründet worden und agiert als eigenständiges Unternehmen mit den vier Telkos als Gesellschafterinnen. In Deutschland und Frankreich ist der neue Adtech-Player in der ID-Landschaft bereits gestartet, diese Woche kommt Spanien hinzu und am Ende des Jahres folgen Italien sowie das Vereinigte Königreich. Utiq bezeichnet sein Angebot selbst als Consent-Service für Mobilgeräte in Europa und ist technologisch aus dem Testprojekt Trustpid geboren, das vorher unter der alleinigen Schirmherrschaft von Vodafone stand. Norman Wagner, der ehemalige Telekom-Mediachef, hält hierzulande die Zügel von Utiq in der Hand. In einem Interview auf der Adtrader Conference erklärt er die Funktionsweise der Technologie für Zielgruppenansprache und Messungen und gibt einen kurzen Ausblick auf die Zukunftspläne des Unternehmens.
ADZINE: Hallo Norman, bislang hört es sich sehr kryptisch an, was im Rahmen von Utiq kommuniziert wurde.
Norman Wagner: Grundsätzlich sind wir transparent. Auf unserer Website, die gestern online gegangen ist, findest du die komplette technische Dokumentation. Wir haben in den vergangenen zwei Jahren mit verschiedenen Datenschutzbehörden gesprochen, uns überall Input geholt und mit eingearbeitet. Am Ende geht es uns um Datensouveränität für das gesamte Werbeökosystem, bestehend aus Menschen, Marken und Medien.
ADZINE: Magst du für uns bitte entschlüsseln, wie das technologisch funktioniert?
Wagner: Der Service ist per se deaktiviert und startet erst nach Nutzereinwilligung. Wenn du eine Publisher-Seite betrittst, kommt zunächst das gewohnte Consent-Banner, und erst danach ein explizites Banner für Utiq. Dort beschreiben wir, was geschieht, wenn du zustimmst, und wie du widerrufst. Die Buttons für Akzeptieren und Ablehnen sind gleich groß – wie du es eben umsetzen solltest. Das alles ist vertraglich festgesetzt mit unseren Partnern.
Nach der Zustimmung geht die IP-Adresse des Geräts an Utiq. Wir wiederum fragen bei der zuständigen Telko an, uns für diesen Nutzer ein pseudonymes Netzwerk-Signal zu senden. Wie dieses verschlüsselt ist, obliegt der jeweiligen Telko. Wir als Utiq haben keinen Schlüssel, legen aber einen sogenannten Consentpass bei uns ab.
Der Publisher bekommt ein abermals pseudonymisiertes Token von uns, das nur für diesen einzelnen Publisher 90 Tage lang gilt. Dieses nennen wir Martechpass. Daran kann er seine First-Party-Daten knüpfen, also beispielsweise Nutzer wiedererkennen und Segmente zum Targeting bauen. Dieser Pass ist zwangsläufig stabil.
ADZINE: Warum ist der stabil? Ändert sich die IP-Adresse nicht? Und was geschieht, wenn beispielsweise Cookies gelöscht werden?
Wagner: Die IP-Adresse wird nur einmalig verarbeitet, um den Nutzer auf Telko-Seite zuzuordnen. Aufseiten der Telko ist ein Nutzer ja immer stabil. Ob der Nutzer einen Safari-Browser, Chrome oder den In-App-Browser von Instagram auf den Publisher gelangt, spielt keine Rolle.
Wir als Utiq legen technisch einen First-Party-Cookie auf dem Gerät ab. Wenn der gelöscht wird, holen wir den Consent nochmal ein. Wir verfügen aber nicht über irgendwelche persönlichen Daten wie die Telko und wollen diese auch gar nicht.
ADZINE: Wie kommen die Advertiser ins Spiel?
Wagner: Die Advertiser nutzen eine Demand-Side-Plattform, die Utiq integriert hat. Zum Launch ist dies exklusiv Adform, wir sind aber offen für den Markt. Das Thema Datenschutz muss man US-Unternehmen allerdings etwas ausführlicher erklären, daher wird es mit denen wohl noch etwas dauern.
Abseits von den Möglichkeiten im Lower Funnel können die Advertiser mit den DSPs Reichweiten und Frequenzen sowohl seiten- als auch browserübergreifend sauber aussteuern.
ADZINE: Wie funktioniert die ID seitenübergreifend, wenn jeder Publisher eine eigene ID bekommt?
Wagner: Die DSP kann die Passes auflösen und ein Reporting erstellen. Dafür erhält sie einen sogenannten Adtechpass, der nur einen Tag gilt und für jede Session unterschiedlich ist. Mit dem greift sie auf den Bid Stream zu und ordnet die komplett randomisierten Passes darin zu. Wir arbeiten mittelfristig auch mit Anbietern an der Stabilisierung von Attributions-Modellen.
Denn der Consentpass bei uns ist stabil. Wir wissen, welcher User zu welchem “Publisher-Pass” gehört. Die DSPs bekommen mit unserer Hilfe also verschlüsselt Zugriff auf die Matching-Tabellen.
ADZINE: Um ihre “eigenen” User zu finden, brauchen die Advertiser aber auch eine ID von Utiq.
Wagner: Genau, auch ein Advertiser kann ein stabiles Token einholen, auf seiner Website, in seinem Shop oder in seiner App, und einen Martechpass generieren. An seinen Martechpass lassen sich wiederum ebenfalls First-Party-Daten knüpfen.
Ein Hotel könnte zum Beispiel ein Segment bauen wie “Personen, die nur einmal im Monat zur Übernachtung zu Gast sind” und diese gezielt mit 50 Prozent Rabatt auf die zweite Buchung ansprechen. Die Unique User findest du bei der Aktivierung im programmatischen Ökosystem mit dem Adtechpass stabil im offenen Web.
ADZINE: Wie kommt der User wieder aus der Nummer raus?
Wagner: User können auf unser Consent-Portal, dem Consenthub, gehen, das zentral im Netz liegt und auf jedem Consent-Banner angezeigt wird. Dort kann der User sich authentifizieren und wir bringen den Consentpass mithilfe der Telko mit ihm in Verbindung. Die Einwilligungen lassen sich momentan nur komplett widerrufen, aber in Zukunft auch einzeln. Wir arbeiten noch an einer Zweifaktor-Authentifizierung, um das datenschutzrechtlich abzubilden.
ADZINE: Damit das funktioniert, müsst ihr mit jedem einzelnen Advertiser und Publisher eine Integration haben. Dauert das nicht ziemlich lange?
Wagner: Wir müssen sogar mit jedem einzelnen einen Vertrag aufsetzen, ja. Aber das Problem lässt sich mit Skalierung lösen.
ADZINE: Apropos Skalierung – wie sieht es bei der Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern hierzulande aus?
Wagner: Wir starten in Deutschland mit Telekom und Vodafone, O2 kommt im Laufe des Jahres hinzu. Damit decken wir 70 Prozent des Netzes ab. Wir reden auch mit weiteren Telkos, die als ID-Provider fungieren würden. Das Interesse ist da.
ADZINE: Am Ende steht und fällt der Service aber mit dem Consent. Habt ihr schon Tests mit Blick auf Opt-out-Raten gemacht?
Wagner: Ja, wir sehen viele Nutzer, die den Consenthub verwenden, aber die Opt-outs sind sehr gering.
ADZINE: Das ist überraschend.
Wagner: Na ja, Personalisierung ist ja nichts Schlechtes, wenn man als User die Kontrolle darüber hat. Außerdem nerven Consent-Banner und Publisher können Nutzern ab und zu mal zeigen, worauf sie ohne den Consent verzichten.
ADZINE: Hier auf der Adtrader Conference fiel euer Name im CTV-Panel im Kontext von Messbarkeit. Was könnt ihr in dieser Richtung leisten?
Wagner: Wir planen unseren Service vom mobilen Netz ins Festnetz auszuweiten. Dafür haben wir aber noch ein paar Hürden zu gehen, unter anderem benötigt man auf Haushaltsebene ein anderes Consent-Modell.
ADZINE: Klingt spannend, warum seid ihr diesen Schritt nicht gleich gegangen?
Wagner: Wir haben einfach noch keine optimale Lösung dafür. Ich möchte keine offene Flanke. Ich will mich ruhigen Gewissens mit einem Hardcore-Datenschutzaktivisten zusammen auf die Bühne stellen können.
ADZINE: Dann sind wir gespannt, was noch folgt. Danke für das Interview, Norman!
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